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Die armen Reichen»Gerechtigkeit erhöht ein Volk – Armut und Reichtum« war das Schwerpunktthema der jüngsten Synode, also des Kirchenparlaments der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Zweifellos ein Griff ins Aktuelle, schon im Hinblick auf das Kirchensteueraufkommen. Aber so profan hatten es die Synodalen nicht gemeint, sie hatten Höheres im Sinn: »Um »Respekt und Würde« für die Armen war es ihnen zu tun und um »Verantwortung der Reichen für das Gemeinwesen«. Einer »gerechten Verwendung von Reichtum, die Freiheit und Teilhabe ermöglicht«, sei »Gottes Segen verheißen«, erklärte die Synode. Vom »Robin-Hood-Prinzip« allerdings sei abzuraten, »die Verteilung der Güter von den Reichen zu den Armen« setze nämlich aus sich heraus »keine nachhaltige Wohlstandsentwicklung in Gang« (was aber wohl auch nicht so sehr das Anliegen des edlen Räubers war). Die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, Mitglied der Synode, trat wegweisend auf: Reichtum sei »an sich nichts Verwerfliches«, die Frage sei nur: »Wie geht man damit um?« (Ohne ihn wegzugeben, versteht sich, sonst könnte man ja nicht mehr damit umgehen.) Da will nun die EKD Hilfe geben und möchte deshalb, wie der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Wolfgang Huber sagte, an die »Verantwortungselite« der Gesellschaft herankommen. Motto: »Reichtum verpflichtet«. Aber da die Armen immer zahlreicher werden, sind die Reichen, so fürchte ich, arm dran; ihre Wohltätigkeitsverpflichtungen wachsen ihnen über den Kopf. Immerhin kann die Kirche den Armen Respekt erweisen, wie Katrin Göring-Eckardt vorschlug: Die sollen »nicht nur in kirchlichen Suppenküchen essen, sondern auch im Kirchenchor singen und im Gemeinderat mitgestalten«. Dort können sie dann sogar auch resolutionieren und Hubers Satz wiederholen: »Armut ist ein Skandal.« Eigentlich. Marja Winken
Stets flexibelDer Deutsche Bundestag hat, dem Willen der Großen Koalition folgend, das Mandat für die Teilnahme der Bundeswehr an der US-amerikanisch geführten Militäroperation »Enduring Freedom« verlängert, diesmal aber mit einer schwächer gewordenen Mehrheit. Dagegen stimmte nicht nur die Fraktion der Linken, sondern auch die der Grünen, nebst etlichen SPD-Abgeordneten und einigen der Union. Fritz Kuhn als Fraktionschef der Grünen beteuerte, als Absage an Militärinterventionen generell sei das Abstimmungsverhalten der Grünen nicht zu verstehen. Immerhin waren es ja die Grünen, die zu Zeiten der Schröder-Fischer-Regierung diesem deutschen Militäreinsatz in Afghanistan und in Ostafrika zum Durchbruch verholfen (und vorher schon den Krieg gegen Jugoslawien mit herbeigeführt) hatten. Woher der Sinneswandel? Zur Begründung wiesen die Grünen auf »Mißerfolge« der Operation und auf veränderte »Rahmenbedingungen« hin. Merke: Der US-Militärpolitik Beistand zu leisten, empfiehlt sich nur so lange, als sie Kriegsglück verspricht, und eine Oppositionspartei agiert unter anderen innenpolitischen »Rahmenbedingungen« für Militäreinsätze out of area als eine Regierungspartei – ein Lehrsatz, der sich umkehren läßt. An militärpolitischer Flexibilität mangelt es den Grünen nicht. Übrigens: Auf eine Anfrage der Linkspartei hin hatte das der weltweiten »Verteidigung« dienende Ministerium bestritten, daß deutsche Soldaten in Afghanistan an einer »Festsetzung« von Widerständigen beteiligt gewesen seien, bei der es Verletzte und einen Toten gab. Eine Lüge, so das Ministerium jetzt nach aufklärenden Presseberichten, sei das nicht gewesen, denn die Bundeswehr-»Spezialkräfte« hätten die afghanischen Verdächtigen nicht »festgenommen«, sondern »festgehalten«. Sprachliches Differenzierungsvermögen ist offenbar bei der deutschen Regierung hochentwickelt; das mag denen, die bei einer solchen Operation Schäden an Leib und Leben erleiden, zum Trost gereichen. Arno Klönne
Die Wahrheit ist nachlesbarZu einem der besten Verlage deutschsprachiger gesellschaftskritischer Literatur hat sich Promedia in Wien entwickelt, geleitet von Hannes Hofbauer, der einer seiner fleißigsten und besten Autoren ist. Höchst lesenswert ist zum Beispiel sein Reisebuch »Mitten in Europa« mit Beobachtungen aus ganz unterschiedlichen Ländern wie Kroatien, Moldawien, Transnistrien und Weißrußland; man kann daraus unter anderem lernen, daß das im Westen vielbeschimpfte Weißrußland, das sich seinen Weg nicht von außen vorschreiben lassen will, wirtschaftlich und sozial die größten Fortschritte macht. Eine aktuelle Neuerscheinung, die noch lange aktuell bleiben wird, ist »Der Milosevic-Prozeß« von Germinal Civikov. Der aus Bulgarien stammende Autor, viele Jahre Südosteuropa-Redakteur der Deutschen Welle , saß während des Prozesses oft allein im Zuhörerraum; die Medien der NATO-Länder hatten jedes Interesse verloren, seit sehr bald feststand, daß die Anklage erlogen und mit noch so schäbigen Methoden nicht zu beweisen war. Darum muß man jetzt dieses Buch lesen, wenn man die Wahrheit erfahren will. Eckart Spoo Germinal Civikov: »Der Milosevic-Prozeß«, Promedia Verlag, 214 Seiten, 13.90 €
Die Stasi ist an allem schuldIn den vergangenen Monaten haben verschiedene deutsche Zeitungen das Buch »Aschemenschen« des Schweizer Journalisten Ulrich Schmid rezensiert. An der Handlung des Buches insgesamt zeigten sie sich wenig interessiert, um so mehr am zweiten Teil, wo ein fieser Deutscher namens Gerd auftaucht. Er hat, wie kann es anders sein, früher bei der Stasi gearbeitet. Mehr noch, er war auch Berater der äthiopischen Sicherheitskräfte für Verhöre und Folter und am »Roten Terror« unter Präsident Mengistu Haile Mariam beteiligt. Auf das fiktive Geschehen stürzten sich die Rezensenten, als wäre es Realität. Auch 3SAT stellte das Buch in seiner Sendung »Kulturzeit« vor. Der Berliner Afrika-Historiker und -Politikwissenschaftler Ulrich van der Heyden sah sie, nachdem er zufällig am selben Tag die Akten aus der Behörde der »Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR« studiert hatte, die die Filmemacherin Julia Fensterer als Belege für den Foltervorwurf heranzieht. Da der Wissenschaftler aus den Akten wie auch aus seiner jahrelangen Beschäftigung mit dem Thema zu ganz anderen, gegenteiligen Schlüssen gelangt war, wandte er sich an die 3SAT- Redaktion . Kurz darauf antwortete ihm die Filmemacherin, sie habe »bewußt nicht – wie andere Medien ... – behauptet, daß die Stasi in Äthiopien gefoltert oder gar gemordet hat. Das läßt sich in der Tat nicht nachweisen und das halte ich auch nicht unbedingt für wahrscheinlich. Es ging um die Aussage, daß die Stasi ein Regime, das auch vor Folter nicht zurückschreckte, massiv unterstützt hat – nicht nur finanziell, sondern auch ideologisch...« Sie sei keine Wissenschaftlerin, sondern Journalistin und habe die Auswertung der Dokumente in enger Abstimmung mit der Birthler-Behörde vorgenommen, teilte die Autorin mit. In der 3SAT -Sendung hieß es unter anderem: »Die Stasi war an der Folter in Äthiopien beteiligt.« Das Mengistu-Regime habe »womöglich Hunderttausende vermeintlich Oppositionelle verhaftet, gefoltert und hingerichtet … Die Staatssicherheit aus der DDR war als Vorbild und Lehrmeister dabei.« Das war die Version für die Öffentlichkeit. Wann wird 3SAT die kühnen, nicht nachweisbaren Behauptungen zurücknehmen? Oder haben Journalisten und Filmemacher alle Freiheit, der »Stasi« jedes erdenkliche Verbrechen anzulasten? Geschichtspropagandisten blasen die DDR zu einem Monster auf, hinter dem der Faschismus verschwindet. Es gab im vergangenen Jahrhundert eine Zeit, in der Äthiopien Schauplatz eines Massenmordes wurde, verübt von den Truppen Mussolinis, des engsten Verbündeten Hitler-Deutschlands. Wer spricht noch davon? Wer weiß noch davon? Verdrängte, entsorgte Vergangenheit. E.S.
Peter Gingold wirkt weiterEs war eine würdige Trauerfeier für den am 29. Oktober 90jährig gestorbenen Kommunisten und Widerstandskämpfer Peter Gingold mit »mehr als 1000 Menschen«, wie die Frankfurter Rundschau vermeldete. Aber das Blatt – in dem zuvor großflächige Anzeigen erschienen waren, darunter eine mit 600 Unterschriften aus der Friedensbewegung – vermied es, über die Feier, die Redner, die Aussagen zu berichten. In den beiden anderen Frankfurter Tageszeitungen fand das Ereignis überhaupt nicht statt. Soviel Angst vor dem Nachwirken eines klugen, tapferen Antifaschisten! E.W.
Degenhardts BalladenAm 3. Dezember wird Franz Josef Degenhardt 75 Jahre alt. In diesen Tagen ist seine jüngste CD mit dem Titel »Dämmerung« erschienen, mit der er sich erneut als Meister zeitgenössischer Balladen erweist. Mit seinen musikalischen Erzählungen aus alltäglicher, fast skurriler Thematik hält er uns den Spiegel vor. Der standhafte Humanist und Kommunist Degenhardt hat im Verlauf seines bald fünfzigjährigen Schaffens das politische Lied in der Bundesrepublik wie kein anderer befördert und zu einer eigenständigen Kunstform ausgebaut. In seine Musik flossen Jazz, Reggae und HipHop ein. So blieb er stets aktuell, und mit den zehn neuen Titeln seines jüngsten Albums erreicht er musikalisch neue Höhen. Mit seiner Stimme, seiner Mundharmonika und seiner Gitarre kämpft er wirkungsvoll gegen die Gleichgültigkeit im Lande. Im Spätherbst wird im Eulenspiegel Verlag das Buch »Franz Josef Degenhardt – Die Lieder« erscheinen. Erstmalig sind in diesem Band alle Texte und Noten veröffentlicht. Karl-H. Walloch
AnekdotenIn dem von Rainer Kirsch bei Eulenspiegel herausgegebenen Band mit Briefen von Peter Hacks an seine Schriftsteller-Kollegen findet sich auch einer an Gerd Semmer. Der hatte Hacks das gemeinsam mit André Müller (heute müssen wir ein sen. hinzufügen) verfaßte Bändchen mit 99 Brecht-Anekdoten zugeschickt, das 1966 in der Frankfurter Ausgabe der Insel-Bücherei erschienen war. »Ich finde nicht alle gut, aber alle gut erzählt«, schreibt Hacks. Und fügt hinzu: »In den beiden 17.-Juni-Schnurren, meine ich, haben Sie die Pointen verschlechtert. Der Satz ›In Erwartung der Leser‹ ist besser als Ihre verlängerte Version, und ›Ich bin ein Kleingewerbetreibender aus Weißensee‹ besser als Ihr Kurzwarenhändler. Aber das ist schon meine vollständige Kritik. Sie und André haben einen Anekdotenstil erfunden, der nicht von Kleist ist und – wer das immer sein mag – nicht von Herrn B.« Über die Jahre hinweg sind aus den 99 »Schnurren« 199 geworden, für die seit 1969 André Müller allein die Feder führt. Gerd Semmer war in jenem Jahr gestorben, wenige Wochen vor seinem 48. Geburtstag. Wer wissen möchte, ob die Hacks'sche Kritik angenommen wurde, der greife zu der ebenfalls von Eulenspiegel jüngst edierten neuesten Ausgabe der »Geschichten vom Herrn B.« Sie enthält nicht nur die nunmehr 199 Anekdoten, sondern auch ein »Wer ist wer?«, das den möglicherweise nichtkundigen Leser aufklären soll, wer sich hinter den vielen Kurznamen in den Anekdoten verbirgt. Eine lobenswerte Ergänzung – mit zwei kleinen Irrtümern. Bei dem besagten Fritz St. aus der »Liebe auf dem zweiten Blick« handelt es sich nicht um einen Regisseur, sondern um den einst sehr bekannten Politökonomen Fritz Sternberg. Und der Literaturwissenschaftler Artur (ohne h!) Kutscher aus der Anekdote »Nervus rerum« ist nicht 1874 auf die Welt gekommen, sondern vier Jahre später und erst 1960 gestorben. Edmund Schulz Peter Hacks: »Verehrter Kollege. Briefe an Schriftsteller«, herausgegeben von Rainer Kirsch, 367 Seiten, 19,90 €; »Geschichten vom Herrn B. – Gesammelte Brecht-Anekdoten«, erzählt von André Müller sen. und Gerd Semmer, 126 Seiten, 9,90 €, beide im Eulenspiegel Verlag Berlin
Termine23. 11., 19.30 Uhr, München, Eine-Welt-Haus: »Freiheit stirbt mit Sicherheit«, Diskussionsveranstaltung mit Rolf Gössner 25./26. 11., Berlin, Rathaus Schöneberg: »Arbeiterbewegung, Nation und Hegemonieproblem«, Kolloquium mit Hans-Peter Brenner, Günter Judick, Domenico Losurdo, Andreas Wehr u.a.; Kontakt: buesgm.julius@web.de 27. 11., 20 Uhr, Berlin, Café Bais, Greifswalder Straße 4: »Jenseits der Cherubim«, Gerd Bedszent liest aus seinem neuen Buch 29. 11., 20 Uhr, Oldenburg, Evangelische Studentengemeinde, Quellenweg 55a: »Antiterrorkampf auf Kosten der Bürgerrechte«, Diskussionsveranstaltung mit Rolf Gössner 30. 11., 19 Uhr, Berlin, Haus der Demokratie und Menschenrechte: Republikanische Vesper zum Thema »Scoring bei Krediten: ein weiterer Schritt zum gläsernen Kunden?« 2./3. 12., Kassel, Universität, Wilhelmshöher Allee 73: Friedensratschlag 2006 mit Matin Baraki, Judith und Reiner Bernstein, Horst Bethge, Lühr Henken, Jörg Huffschmid, Bahman Nirumand, Anne Rieger, Thomas Roithner, Rolf Verleger, Ernst Woit u.a.; Kontakt: www.uni-kassel.de/fb5/frieden 10. 12., 13 Uhr, Berlin-Kreuzberg, »Max & Moritz«, Oranienstraße 162: Dr. Seltsams Wochenschau zum Thema »Terror und Menschenrechte« mit Eckart Spoo Der psychedelische PfiffikusMartin Semmelrogge ist erstens ein bekannter Schauspieler und war darüber hinaus schon in seinen frühen Jahren ein bekannter Martin Semmelrogge, fast so bekannt wie Schillers Wallenstein, aus dessen Prolog jedermann weiß, daß die Nachwelt dem Mimen keine Kränze flicht. Schiller fuhr fort und informierte (oder warnte) mit den bedeutungsvollen Worten: »Drum muß er geizen mit der Gegenwart, / Den Augenblick, der sein ist, ganz erfüllen.« Seine Augenblicke hat Martin Semmelrogge, wie ich mich zu erinnern glaube, oft ganz erfüllt – als Schauspieler und als Privatmensch, aber die meisten Schauspieler sind, wie es scheint, als Privatmenschen doch noch Schauspieler. Auch davon handelt die Autobiographie »Das Leben ist eine Achterbahn« (Langen Müller, 19.90 Euro), welche der Mime in der 28. Folge der Literarischen Streifzüge des Renaissance-Theaters vorstellte. Aus der Einladung erfuhr man, daß Semmelrogge »schon als Teenager Fernsehstar und mit dem Kinoerfolg ›Das Boot‹ auch international erfolgreich« war. Das ist gewiß richtig, doch wird man säuerlich gestimmt, wenn einem dieser Satz immer wieder gesagt wird. Scheinbar sind fast alle Schauspieler, die man kennt oder von denen man irgendwann gehört hat – ausgenommen vielleicht Eleonora, Duse, David Garrick, Moissi, Kainz, Chaplin oder Gisela May – mit dem Kinoerfolg »Das Boot« auch international erfolgreich geworden. Konnte Lothar-Günther Buchheim ahnen, daß in der Lichtspiel-Version seines Romans kein U-Boot die Hauptrolle spielt, sondern ein unter Wasser befindlicher Brutkasten für mimische Talente? Semmelrogges Lebensbuch ist de facto »aufrichtig und schonungslos«, aber auch frech und unbekümmert. Natürlich habe er über längere Zeit nicht nur vom Applaus allein gelebt, sondern auch von anregenden Drogen. »Na und? Das war damals nichts Besonderes, so haben sich fast alle in meinem und ähnlichen Berufen auf den Beinen gehalten und über die Runden gebracht ...« Fast alle? Das glaube ich nicht. Aber fast alle, die sich an solchen Stoff gewöhnt haben oder von ihm abhängig sind, erzählen solche Geschichten. Aus seinem Buch las Semmelrogge das Märchen einer Autofahrt von Berlin nach Frankfurt (Main), das der unter Strom stehende Fahrer mit Frankfurt (Oder) verwechselte, so daß er auf falschem Kurs in die Fänge tückischer Volkspolizisten und ihre nachtschwarzen Verliese geriet. Das psychedelische Phantasieprodukt lehrte ihn damals das Fürchten. Auf der Bühne kann er nun genauso darüber lachen wie sein Publikum. Denn der jetzt 50jährige Familienvater scheint entgiftet und geheilt zu sein. Daß dies ein Dauerzustand bleibe, kann man dem Pfiffikus Semmelrogge nur wünschen. Lothar Kusche Martin Semmelrogge: »Das Leben ist eine Achterbahn«, Verlag Langen-Müller, 19.90 €
An der schroffen SchleiWer sich fragt, was eigentlich die fast vergessenen deutschen BildungsbürgerInnen so treiben, erhält in dem Kinofilm »Sommer 04« des Regisseurs Stefan Krohmer Antworten: Wenn sie nicht gerade Bücher lesen oder Briefe schreiben, trinken sie Rotwein und verbringen ihre Ferien in norddeutschen Reetdach-häusern. Sie reden über Sex und haben ihn auch. Wenn sie aber Sex wollen und ihn nicht kriegen, wird's gefährlich. Ihre mühsam rationalisierten Mordabsichten brechen nicht als offene Gewalt aus, können aber dennoch töten. Vater, Mutter, Sohn und dessen frühreife Freundin verbringen einen Sommer an der schroffen Schlei. Dort treffen sie einen US-Amerikaner, der die Nase voll hat von oberflächlichen Amerikanerinnen. Er verliebt sich, angeblich platonisch, in die zwölfjährige Freundin des Sohns. Die erwidert seine Gefühle auch und will mehr als nur Platonisches, weckt aber zugleich die Eifersucht der Mutter. Hier sieht man Frauen, die über die Generationen hinweg zu keiner Solidarität bereit sind, wenn sie denselben Knochen wollen. Oder etwa doch? Das Ende bringt eine unerwartete Wendung, beläßt die bedrückende Atmosphäre von Schuld und unerreichbarer Sühne in schwermütiger Schwebe. »Sommer 04« ist ein Kammerspiel unter weiten Himmeln, getragen von fünf Darstellern, die aus dem lebensnahen Drehbuch von Daniel Nocke einen Kosmos menschlicher Begierden schaffen. Hauptdarstellerin Martina Gedeck gelingt das Kunststück, ihre bisherigen Leistungen noch zu übertreffen. Die letzte Szene zeigt fast nur ihr Gesicht: verletzlich, traurig, zweifelnd. Und unvergeßlich. Martin Petersen
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Walter Kaufmanns LektüreAuf dem Titelblatt blickt die siebenjährige Pooja aus Hamburg an einem Elefantenrüssel vorbei in die Welt. So nah kam die Kleine während der sechs Monate, die sie jährlich mit ihren Eltern in Indien verbringt, den Elefanten im Reservat, daß sie mit ihnen im Fluß badet und sich von Shanti, der Elefanten-Frau, mit dem Rüssel streicheln läßt. Voller Zutrauen verbringt sie ihre Tage mit den Kolossen des Dschungels. Und läßt sich von Subbu, dem Fährtenleser, der im Urwald zu Hause ist, die Rückzugsgebiete der Elefanten zeigen – wobei ihr klar wird, wie bedroht vom Aussterben die Tiere sind. So versteht sie allemal, daß ihre Eltern den Verein Pooja Elefantenhilfe e.V. gegründet haben, um die Lage von mißhandelten Elefanten zu lindern. Ein Buch für Kinder und für jedermann. Schön aufgemacht, fest gebunden, mit einer Fülle prächtiger Fotos versehen ist es ein Geschenk erster Güte und seinen Preis wert. Walter Kaufmann Pooja Marske: »Pooja. Das Elefantenmädchen«, Droemer Verlag, 144 Seiten, 19.90 €
Press-KohlRezensent Brachmann hat in der Komischen Oper zu Berlin den »Rosenkavalier« betrachtet und in der Berliner Zeitung mitgeteilt: Regisseur »Homoki läßt leider die Marschallin am Ende einsam zusammenbrechen und aus ihrem Rokoko-Kostüm steigen«, obwohl es für die Darstellerin leichter wäre, erst aus dem Rokoko-Kostüm zu steigen und danach zusammenzubrechen. Regisseur Homoki verlangt eben das Äußerste, ebenso wie Rezensent Brachmann: »Dieser Schritt vernichtet geradezu die Leistung der Figur, gegen die Zeit die Form zu wahren und so im Wissen um die eigene Vergänglichkeit dennoch zu einer verantwortlichen Existenz zu gelangen ... Trotzdem wünschen wir diesem ›Rosenkavalier‹ viele, viele Vorstellungen und noch viel mehr Besucher.« Also nicht etwa nur einen Besucher bei jeder Vorstellung? Einen, der im Bewußtsein um die eigene Vergänglichkeit, ohne aber zu einer verantwortlichen Existenz zu gelangen, vor lauter Angst nicht mehr aus seinem Kostüm steigen, sondern bloß noch einsam zusammenbrechen könnte? * Ein alter Kollege, der unweit der Machnower Schleuse lebende Nibelungen-Experte Gaston Kehle, las in seinem Lokalblatt, »ein 51jähriger Mann« müsse sich vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) verantworten, ihm wird vorgeworfen, die Frau und den vier Jahre alten Säugling heimtückisch und aus Habgier ermordet zu haben.« Die Motive seien aber der Polizei und der Justiz noch unklar. Auch der naive Leser muß sich fragen: Weshalb ermordete der 51jährige Täter den vierjährigen Säugling , und dies »aus Habgier«? Wollte er den Nuckel rauben? Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 23/2006 |
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