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Dirigenten wie Karl Böhm in den sechziger und vor allem Pierre Boulez in den siebziger Jahren dünnten das Orchester aus, entschlackten Rausch und Klang; bei Boulez hörte es sich über Phasen fast kammermusikartig an. Regisseure wie Joachim Herz, Ruth Berghaus und Harry Kupfer versuchten Volkstheater-Praxis an Wagners Werken (»Meistersinger«), nahmen erste leichte Änderungen vor (Kupfer am »Parsifal«, der dadurch erträglicher wurde), bevor sie den »Ring des Nibelungen« historisierten und Welttheater daraus machten. Vor allem Patrice Chéreau (mit Boulez) deutete Menschheits- und Kapitalismus-Geschichte und ihre Etappen in den Teilen des »Ringes der Nibelungen«, formte die Figuren mittels hervorragender Personenregie, entmythisierte, ohne den Mythos zu zerstören, und schuf zwischen 1976 und 1980 eine Inszenierung mit Modellcharakter, an der Wagner-Regie nicht mehr vorbeigehen konnte. Inzwischen wurde aber erobertes Terrain preisgegeben, und besonders auf dem Bayreuther Hügel dröhnt und wabert es wieder. In diese Situation hinein platzte die Berliner Volksbühne: »Eine Inszenierung von Frank Castorf nach Richard Wagners Oper ›Die Meistersinger von Nürnberg‹ und Ernst Tollers Revolutionsdrama ›Masse Mensch‹«. Da wußte die Öffentlichkeit um eine Provokation, eine ernstzunehmende. Die Fünfstundenoper ist auf fast die Hälfte verkürzt, zahlreiche Personen sind entfallen, ebenso Nebenhandlungen, vor allem im ersten und dritten Aufzug, während der relativ straffe zweite im wesentlichen blieb, abgesehen davon, daß die volksreiche Finalszene mit der Prügelfuge von zwei Personen getragen wird. Das riesige Wagner-Orchester reduzierte man auf fünf Bläser und zwei Klaviere, eines oben, eines unten im Orchestergraben, der auch zum Spiel genutzt wird – zwei Leitern führen zur Szene. Weg ist der große Streicher-Apparat, der sonst den »Klang« und eben auch den berüchtigten Rausch vermittelt. Diese Kammerbesetzung: hat den Vorteil, daß die erzählenden Motive, meist bei den Bläsern, gut gehört werden können. Für die Musik verantwortlich: Christoph Homberger, Christoph Keller und Stefan Wirth; Homberger und Keller auch für die Leitung. Homberger ist ein Tenor, und in diesem »Wagner-Ensemble« der einzige Sänger: als Walter von Stolzing, Ritter und Kunst-Reformer. Er hat den Habitus eines abgesungenen Stadttheater-Tenors, angetan mit einem halb modernen, halb ritterlichen Wams, das seinen Bauch zu verstecken nicht die Absicht hat, und verfügt außerdem über sichere Kunstfertigkeit, hohen Kunstverstand und eine Ökonomie der Kunstmittel, die eine bereits im wesentlichen abgearbeitete Stimme singen lassen. Im Übrigen singen Schauspieler, die »Wagnersänger« spielen; da ist viel Witz drin. Von zwölf Meistersingern sind drei verblieben: Hans Sachs (Bernhard Schütz), Sixtus Beckmesser (Max Hopp) und Fritz Kothner (Axel Wandtke). Pogner ist mit Tochter Magdalena zu einer Figur mutiert, doch dieses Konstrukt läßt sich auch von Silvia Rieger nur mit Mühe vorführen. Sophie Rois als Eva Pogner – bewährt exzentrisch – wirkt stimmlich überanstrengt, sie schreit, anstatt zu singen. Der fast siebzigjährige Winfried Wagner als Lehrbub David, der zum Gesellen gekürt wird, als Götterbote Merkur mit antikem Helm versehen und in schwebender Bewegung, kann wirklich singen. Kothner ist am ehesten, sicher auch am leichtesten, im Sinne des Konzepts zu spielen – auf das spätere »Deutschtum« und seine kritische Bloßstellung. Schwieriger schon der Beckmesser. Bereits von Wagner kritisch angelegt, als Mann der Ordnung, doch einer alten in Leben und Kunst, zugleich lächerlicher Brautwerber und Kleindieb, wird er schrill in eine Vorläufer-Rolle (Objekt des Fremdenhasses) überhöht, doch nicht ohne Tragik. Das ist schon meisterlich gemacht: Die Brüche der Figur werden noch einmal gebrochen. Bleibt Sachs. Der historische Sachs ist ein Kleinschriftsteller im 16. Jahrhundert, der als Maßstab und Leitbild wenig taugt. Doch hat die deutsche Literatur jener Zeit nichts Besseres, gar Vergleichbares mit Zeitgenossen süd- und westeuropäischer Literaturen. Wagner hat ihn unziemlich überhöht, weil er ihn als Vorbildfigur und Moderator zugleich benötigte. Er ist Humanist, doch am Ende muß er jene ruchlosen Texte von deutscher Kunst und Art, gar »welschem Tand« singen, als Quintessenzen des Werkes geradezu verkünden, die das Ganze so peinlich machen. Die aber später Hitler veranlaßten, die »Meistersinger« als deutscheste Oper anläßlich von Parteitagen in Nürnberg aufführen zu lassen. Sachs ist widersprüchlich, doch nicht zwiespältig. Wie das spielen? Mit einem gar zu simplen Konzept, wonach just diese Meister, mit Orang-Utan- oder Schweine-Köpfen sich als NS-Mörder tummeln? Die Meister als Vorwegnahme unseliger deutscher Geschichte? All diese Figuren und Konzepte bewegen sich in einem kuriosen szenischen Raum von Jonathan Meese. Vier angedeutete Pfeiler trennen Rampe und Bühnen-Innenraum. Vorn allerlei Gerümpel und Totengerippe. Im Hintergrund farcenhafte Andeutungen einer alten, einigermaßen vermüllten Stadt. Überall lesbare und unlesbare, verständliche und unverständliche Zeichnungen und Inschriften, Werbesprüche und Blödsinn. Nur Fort Knox und das Kreuz sind eindeutige Herrschaftsmetaphern. Darein nun hat Castorf die Resthandlung der »Meistersinger« als deutsche Handlung von deutschem Leben verlegt, ein Leben, das über alles nichtdeutsche Leben hinausragen soll und gegen alles Internationale, Progressive, Demokratische, Revolutionäre, Sozialistische, Jüdische, »Welsche«, wie es bei Wagner wörtlich heißt, gerichtet war und ist. Zweifellos enthält diese Oper – wie Wagners Werk überhaupt – einen solchen Kern. Ebenso zweifellos wurde sie gebraucht und mißbraucht. Insofern ist Castorfs Unternehmen ein mutiger Versuch, elende Geschichte aufzuarbeiten, die Wagners selbst und die seiner Anbeter und Nutzer. Ein geistiges Unternehmen mit Kunst, wovon es zu wenig gibt. Beifall! Doch haften ihm, wie meist Pioniertaten, garstige Schwächen an: Das Konzept ist zu simpel, zu einschichtig, wie an der Behandlung des Sachs deutlich wird. Zu fragen bleibt: Führen nur solche Stränge weiter, die im Faschismus enden? Was ist mit dem »Wagnerisme« in Frankreich? Wie erklären sich überhaupt der weit- und tiefkreisende Wirbel Wagners im Ausland, die außerordentliche internationale Wirkung? Wie erklärt sich der Einsatz so zahlreicher jüdischer Dirigenten für ihn, von Levi bis Barenboim? Castorfs »Meistersinger« haben Ereignis-Charakter. Auch im Sinne der Spaltung des Publikums – etliche gingen protestierend. Mein Dictum: Ging auch nicht alles auf, so ging etwas vor. Eine Zäsur in der Wagner-Rezeption.
Erschienen in Ossietzky 23/2006 |
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