Regiefehler

Frank Schubert

Potsdam hat 16 Jahre nach der Wende endlich ein neues, landeshauptstadtwürdiges Drei-Sparten-Theater. Also gleich hin. »Nathan«. Wir erleben ein Tollhaus. Lessings Stück ist inhaltlich zerfleddert. In Militärmänteln stürmen sie mit Maschinenpistolen auf die Bühne. Oder nackt – der arme Tempelherr. Seit geraumer Zeit nennt man das »Regietheater«. Soll heißen: Da wurde kräftig Hand angelegt. Als müßten wir mit Nacktheit gelockt werden, Lessings Humanismus zu erfassen (der dann aber gar nicht vermittelt wird).

In anderen Inszenierungen des mit vielen Vorschußlorbeeren bedachten Chefregisseurs Jan Eric Laufenberg schwiefeln, wie wir hören, noch mehr Nackte herum. Aber auch für die Schauspieler sind Entkleidungsszenen und entblößtes Agieren in der Öffentlichkeit nicht die freie Lust.

Daß es in der Komischen Oper in Berlin ähnlich zugeht, versöhnt uns nicht. »Don Giovanni« beginnt dort mit einer deftigen Vergewaltigungsszene und bietet neben kollektivem Entkleiden auch einen Büstenhalter-Weitwurf-Wettbewerb.

Das Theater ist offenbar ein Teil unserer Super-Mega-Spaß-Event-Gesellschaft geworden. Nach Peter Hartz finden Dienstberatungen bei und mit Prostituierten statt. Ulla Schmidt Jahrhundertwerk führt dazu, dem kleinen Mann das letzte Hemd auszuziehen, so daß auch er nackt dasteht. Im real existierenden Kapitalismus gibt es noch mehr solche Regiefehler. Man achte nur darauf!

Erschienen in Ossietzky 23/2006