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Vor nicht drei Wochen waren die Mitglieder der Friedrich-Wolf-Gesellschaft zu ihrer Jahrestagung und einem Symposium unter dem Motto »Das neue Leben beginnt – Lebensreform und Kunst aus dem Geist der konkreten Utopie« in Worpswede gewesen. Prominente bürgerliche Wissenschaftler referierten wenig über den neuen Lebenstraum der zwanziger Jahre, fast nichts teilten sie über Friedrich Wolf mit, und die uns auf den Nägeln brennende Gegenwart kam in ihren Vorträgen leider gar nicht zur Sprache. Bei dieser Gelegenheit sprachen Markus Wolf und ich über sein neues Buchprojekt. Wieder in Berlin, trafen wir uns wenige Tage später erneut, diesmal in der Friedrich-Wolf-Gedenkstätte Lehnitz, wohin ich Käthe Reichel zu einer Lesung aus ihrem Buch »Windbriefe an den Herrn b. b.« begleitete, die der großen Schauspielerin Anlaß war, ein weiteres Mal Spenden für den alternativen Heinrich-Heine-Preis zusammenzutragen. Eile ist geboten, denn mit dem Geld und mit Rosen will sie im Dezember bei den Serben im Kosovo sein. Am Morgen des 9. November hörte ich meinen Anrufbeantworter ab und fand darauf eine Bitte von Markus Wolf, den bevorstehenden Besuch des Jugendfreundes Andrej Eisenberger betreffend, der am 18. November ebenfalls in Lehnitz aus neuen autobiographischen Aufzeichnungen über sein langes Leben in der Sowjetunion (s. Ossietzky 19/06, S. 731) lesen sollte, als Stalin-Opfer in der sibirischen Verbannung und als überlebender Mensch in der Zeit danach. Der Besuch ist fürs erste abgesagt, denn der Einladende, dessen Stimme ich am Telefon hörte, war zu dieser Stunde schon tot. Nun sind die mehr oder weniger sachlichen und freundlichen Nachrufe durch den Blätterwald gerauscht. Alle – Freund und Feind – haben sich für das Leben und jetzt auch viele für den Tod dieses Mannes interessiert, der lange Zeit ohne Gesicht war. Die am versessensten auf Einzelheiten waren, versuchten ihre eigenen Begierden immer wieder auf ihn zu schieben. Aber obwohl er seinen Preis kannte und die Journalisten, die etwas von ihm wollten, immer zu nehmen wußte, war er gar nicht so erpicht auf Öffentlichkeit um ihrer selbst willen. Er hat erzählt oder verschwiegen, wie er es für richtig hielt. Als Verlagslektor habe ich ihn mit der »Troika« 1988/89 durch die DDR begleitet, wir sind beide in einem Film des Westfernsehens zu sehen, als ich ihm – ein wenig theatralisch, wie von den Fernsehleuten gewünscht – das druckfrische erste Exemplar seines Buches vor dem Berliner Aufbau-Verlag überreiche. Auf den aus einem unauffällig geparkten PKW seiner ehemaligen »Firma« gemachten Überwachungsbildern (uns war der »Lada« natürlich sofort aufgefallen) habe ich uns beide später noch einmal aus anderer Perspektive gesehen. Man hat ihn erkennbar beargwöhnt, und soviel steht fest: Wenn in den bewegten Monaten des Umbruchs zu keinem Zeitpunkt geschossen wurde – nicht vor Kohls Strickjackenbesuch bei Gorbatschow und nicht danach –, so haben daran die heute übriggebliebenen DDR-Bürgerrechtler gewiß weniger Anteil als dieser Mann Markus Wolf. Auf ihn hörten zahlreiche maßgebliche Stasi-Mitarbeiter in jenen Tagen eher als auf ihren Dienstherrn Erich Mielke. Als Markus Wolf im Frühjahr 1945 aus der Sowjetunion, dem Land seiner lebensrettenden Emigration, nach Berlin kam, hatte er die Gewalt der Hitlerschen Wehrmacht, der SS und der Feldpolizei selbst gesehen. Während des Nürnberger Prozesses, an dem er als Radiokorrespondent von Anfang bis Ende teilnahm, hat sich dieser Eindruck in ihm vertieft. Als Adenauer in seinem Staat so tun durfte, als hätte es während der Hitlerjahre außer den in Nürnberg Gerichteten praktisch keine weiteren Schuldigen gegeben – die Folgen sind spürbar bis heute –, wurde Wolf mit der Leitung eines in Ostdeutschland geschaffenen Nachrichtendienstes beauftragt. Von Leuten übrigens, die neben Nazigefängnissen und Kriegserlebnissen auch noch alle Greueltaten seit 1918 in Berlin, Mitteldeutschland, München und im Ruhrgebiet, alle Mordkomplotte gegen Liebknecht, Erzberger, Hugo Haase, Rathenau und viele, viele mehr in ihrer Erinnerung gespeichert hatten. Die Spuren der anglo-amerikanischen Bombenangriffe auf die Zivilbevölkerung deutscher Städte waren noch sichtbar, Hiroshima war gerade nuklear verglüht, und zu den ersten Gegnern des damals jungen Markus Wolf gehörte kein Geringerer als der Nazi-Geheimdienstgeneral Reinhard Gehlen, auch er jetzt problemlos im Dienste der USA und der Bundesrepublik Deutschland. Glücklicher Herr Thierse, glückliche Frau Birthler, die selbstbewußt und stellvertretend für uns alle Markus Wolf sofort nach dem Ende seines Lebens ihrem persönlichen Weltgericht unterziehen, ohne sich lange um die wesentlichen Fakten und Zusammenhänge zu scheren.
Erschienen in Ossietzky 23/2006 |
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