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Er faßte die »sich abzeichnende Einigung«, die »für die Zukunft der Bahn nicht die schlechteste« sei, wie folgt zusammen: »Wenn das Unternehmen teilprivatisiert wird, dann sollen jedenfalls das Schienennetz und die Bahnhöfe im Eigentum des Bundes bleiben.« Die zitierten Sätze sind exemplarisch für die systematische Desinformation in Sachen Bahnprivatisierung. Da sind als erstes die falschen Inhalte, die der Öffentlichkeit vermittelt werden. Allerorten liest man, das neue Kompromißpapier (»Antrag Kauder/Struck«) sehe vor, daß Netz und Bahnhöfe in Bundeseigentum verbleiben. Im Text heißt es jedoch, daß »die steuerfinanzierte Infrastruktur im Eigentum des Bundes stehen« müsse. Damit sind die Trassen gemeint; das Netz allein ist »steuerfinanziert«. Das Wort »Bahnhöfe« taucht im gesamten Text nicht auf. Die 5500 Bahnhöfe der Deutschen Bahn AG sind in einer getrennten AG (»Station & Service«) zusammengefaßt und in keiner Weise »steuerfinanziert«. Sodann heißt es im gleichen Antrag unter I, Punkt 5: »Die DB AG erhält die Möglichkeit, Schienenverkehr und Infrastruktur in einer wirtschaftlichen Einheit zu betreiben und zu bilanzieren. « Die Bahn kann die Infrastruktur nur »bilanzieren«, wenn sie ihr Eigentum ist. Das heißt, in den Text wurde gezielt der alte Widerspruch hineingeschrieben, der zwischen einem »integrierten Börsengang« (Teilverkauf des gesamten Unternehmens an private Investoren, zur Irreführung auch als »Eigentumssicherungsmodell« bezeichnet) und einem »Trennungsmodell« (das Eigentum an der Infrastruktur bleibt beim Bund, auch »Eigentumsmodell« genannt) besteht. Nachdem in den Wochen zuvor das Thema Bahnprivatisierung zum Politikum wurde, soll bis zum Vorliegen eines im Antrag auf Ende März 2007 terminierten Bahn-Privatisierungsgesetzes die öffentliche Debatte abgewürgt werden. Die Details des Ausverkaufs werden hinter den politischen Kulissen ausgehandelt. Der Vorgang ist zweitens exemplarisch hinsichtlich der manipulativen parlamentarischen Praxis. Bis zum 10. November konnten sich beide Koalitionsfraktionen nicht auf ein Privatisierungsmodell einigen. Es stehen sich drei Positionen gegenüber: Die Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion und Wirtschaftsminister Michael Glos vertreten das »Eigentumsmodell«. Die Mehrheit der SPD-Fraktion und Finanzminister Peer Steinbrück und Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee plädieren – zusammen mit Bahnchef Hartmut Mehdorn und dem Gewerkschaftsvorsitzenden Norbert Hansen – für die Teilprivatisierung des »integrierten Unternehmens«. In den letzten Wochen entwickelte sich in der SPD-Fraktion noch eine dritte Position, die eine Bahnprivatisierung grundsätzlich in Frage stellt. In dieser Situation wurde am 9. November der zitierte Antrag Kauder-Struck als famose Mogelpackung aus dem Hut gezaubert und den Bundestagsabgeordneten übermittelt. Für den Tag darauf – Freitag, den 10. November – wurde für 8 Uhr morgens eine einstündige Sondersitzung der Fraktionen einberufen; um 9 Uhr begann bereits eine Plenardebatte des Bundestags. Nur rund die Hälfte der SPD-Abgeordneten war anwesend. Nach längeren Einleitungen zugunsten des Antrags gab es eine rund 40-minütige Diskussion mit Pro und Contra. Hermann Scheer, Mitglied des SPD-Parteivorstands, der in den Tagen zuvor als ein Wortführer der Position »kein Börsengang« aufgetreten war, erhielt aufgrund der begrenzten Debattenzeit nicht das Wort. Der Antrag, keine Abstimmung vorzunehmen, da in der Einleitung nur eine »Unterrichtung« zum Thema Bahnprivatisierung angekündigt worden sei, wurde abgelehnt. Am Ende stimmte rund ein Drittel gegen das Papier Kauder-Struck und zwei Drittel dafür. Die Fraktion hatte demnach weniger als einen Tag Zeit, um über einen Antrag nachzudenken, der ein in 170 Jahren aufgebautes Verkehrssystem grundsätzlich in Frage stellt. Es gab weniger als eine Stunde Zeit, um über die Forderung zu diskutieren, eine seit 100 Jahren in öffentlichem Eigentum befindliche Bahn zu privatisieren. Exemplarisch ist an dem Vorgang drittens die Ignoranz gegenüber der Meinung in der Bevölkerung. Der Autor schreibt, er wisse nicht »ob der Börsengang ... den Kunden überhaupt Vorteile« bringt. Tatsächlich läßt sich belegen, daß der Bevölkerung, den Fahrgästen, den Beschäftigten und sogar dem Fiskus aus einer Privatisierung der Bahn nur Nachteile entstehen würden. Daß das so sein könnte, wird im zitierten SZ -Artikel sogar konzediert, aber zugleich festgestellt, daß »der Zug wohl abgefahren« sei. »Aber wer sitzt da auf der Lok? Und wo fährt der Zug denn hin? Ja, wo fährt er hin?!«, mag man da analog zu Bertolt Brechts Zeilen über die »Macht, die vom Volke ausgeht« fragen. Seit Anfang November liegen zum Thema Bahnprivatisierung die Ergebnisse der repräsentativen Emnid-Umfrage vor, die das Bündnis »Bahn für Alle« in Auftrag gegeben hatte. Danach treten 71 Prozent der Bevölkerung für eine »Bahn in öffentlichem Eigentum« ein. Nur 25 Prozent sind für eine Privatisierung. Nur vier Prozent haben »keine Meinung«. Im Mai veröffentlichte der Stern eine von Forsa durchgeführte repräsentative Umfrage. Damals hatten 45 Prozent eine Bahn in öffentlichem Eigentum gewünscht, 29 Prozent eine Bahnprivatisierung befürwortet und 26 Prozent noch »keine Meinung« geäußert. Das heißt: In der Bevölkerung hat sich im Verlauf des letzten halben Jahres eine eindeutige Mehrheitsmeinung herausgebildet. Es gibt kaum jemand mehr, der zum Thema Bahnprivatisierung keine Position einnimmt. Deutlich mehr als zwei Drittel wollen eine Bahn in öffentlichem Eigentum. Doch im Bundestag wollen ziemlich genau so viele – die Mehrheiten von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen – das Gegenteil: die Bahn in öffentlichem Eigentum abschaffen. Winfried Wolf ist einer der Sprecher des Bündnisses »Bahn für Alle«. Die Kampagne wird zumindest bis zur entscheidenden, für Frühjahr 2007 erwarteten Bundestagsdebatte über ein Bahnprivatisierungsgesetz, fortgesetzt. Weitere Informationen unter: www.bahn-fuer-alle.de
Erschienen in Ossietzky 23/2006 |
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