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Im Dezember läuft der jüngste Film von Ken Loach, »The Wind That Shakes the Barley«, in den deutschen Kinos an. In diesem Film, der in Cannes die Goldene Palme erhielt, inszeniert Loach eine Geschichte aus dem irischen Unabhängigkeitskampf. Loach bezieht dabei unmißverständlich Stellung. Wenn er auch am Ende die Tragik der Uneinigkeit zwischen dem radikalen und dem gemäßigten Flügel der irischen Kämpfer zeigt und die zentrale Figur seines Films zum Opfer der »eigenen Leute« werden läßt, macht er doch kein Hehl aus seiner Abscheu gegenüber der brutalen Gewalt der Engländer, gegenüber dem grundsätzlichen Unrecht, das ihre kolonialistische Politik in Irland bedeutet hat und immer noch bedeutet. Käme nun irgendjemand auf die Idee, Ken Loach wegen dieses Films (oder auch wegen seiner »Hidden Agenda« von 1989) einen antibritischen Briten zu nennen? Henryk M. Broder aber, um jenen Publizisten als Beispiel zu zitieren, der in Deutschland in diesem Zusammenhang die größte Aufmerksamkeit erlangt, darf immer wieder Juden, die sich Israel gegenüber so verhalten wie Ken Loach gegenüber Großbritannien, als »antisemitische Juden« diffamieren. In aller unmißverständlichen Klarheit hat er das am 14. Juli 2006 jüdischen Wochenmagazin tachles getan, das in der Schweiz erscheint. Broder sagt in dem Gespräch mit tachles : »Früher konnte man sich vom Judentum distanzieren, indem man Zionist wurde, heute kann man sich vom Judentum distanzieren, indem man Antizionist wird.« Die Formulierung ist tückisch. Sie suggeriert einen finalursächlichen Zusammenhang. Wer Antizionist wird, so soll man verstehen, will sich vom Judentum distanzieren. Will sich Ken Loach von den Engländern distanzieren, wenn er gegen die britische Irlandpolitik von 1920 ist? Broder setzt fort: »Ein antizionistischer Jude ist tendenziell ein Antisemit. Der Antizionismus ist für Nichtjuden wie für Juden nur eine Ausrede, ihren Antisemitismus sozusagen in einer politisch aseptischen Form präsentieren zu können.« Was im ersten Satz noch durch das Wort »tendenziell« abgeschwächt wird, wird im zweiten Satz durch das Wort »nur« zur alleinigen Möglichkeit umgedeutet. Daß man mit guten Gründen Antizionist sein könne, wird undiskutiert ausgeschlossen. Antizionistische Juden sind wie antizionistische Nichtjuden für Broder per Definition Antisemiten. Broder setzt noch einen drauf. Er sagt: »Aber der jüdische Antisemit, als jüdischer Antizionist verkleidet, bestreitet erst mal das Recht der Juden, überhaupt dort [in Israel] zu sein. Zweitens macht er die Juden für alles verantwortlich, was dort passiert, er idealisiert die Araber und dämonisiert die Juden, und er schleicht sich damit in das Gemüt der Antisemiten ein.« Zuerst definiert Broder den jüdischen Antizionisten als jüdischen Antisemiten, um ihn dann in einer Weise zu charakterisieren, die – jedenfalls in dieser Pauschalität – einer Denunziation gleichkommt. Broder definiert nicht nur, er liefert sogar eine psychologische Erklärung für ein Phänomen nach, das er eben erst erfunden hat. Er sagt: »Ich glaube, daß aus allem, was ich von diesen Leuten lese, eine wahnsinnige Angst spricht. Die Angst kompensieren sie damit, daß sie sagen: Verschont mich, ich bin der Bessere, ich sehe ja ein, daß die Juden am Antisemitismus Schuld sind. Es spricht daraus die Angst, das Flehen: Verschont mich, ich bin anders. Nicht: Verschont uns, oder: Hört mit dem Quatsch auf. Da kämpfen ein paar Leute aus tiefer Angst ums eigene Überleben – was legitim ist.« Nun mag das ja in dem einen oder anderen Fall sogar zutreffen. Warum sollten Juden größere Helden sein als andere bedrohte Menschen? Aber wiederum liegt die Infamie in der Pauschalität der Sätze, in der Suggestion, daß jeder Jude, der die Politik der israelischen Regierungen scharf kritisiert, dies nicht etwa mit guten Gründen, sondern aus purer Angst tut – einer Angst übrigens, für die es laut Broder keine Ursache gibt, solange man Klezmer spielt und gefillte Fisch ißt. Für diesen Juden wäre der Psychiater zuständig, nicht der politisch seriöse Gesprächspartner. Henryk M. Broder kann doch nicht ernsthaft glauben, daß Noam Chomsky, den er als »Psycho« bezeichnet, oder daß Uri Avnery, gegen den von radikaljüdischer Seite ein von Broder verniedlichter Mordaufruf erging, »aus tiefer Angst ums eigene Überleben« zu den schärfsten Kritikern Israels gehören? Für Broders Argumentationsweise ist die folgende für ihn bedeutsame Unterscheidung charakteristisch: »Ist es Kritik an dem, was Israel macht – und ich halte im Prinzip jede Kritik für erlaubt, auch die ungerechte, die überzogene und die gemeine –, oder ist es Schleimerei, der Versuch sozusagen, die eigene Position den Antisemiten gegenüber klar zu machen?« Diese Aussage ist deshalb so hinterhältig, weil Broder kein Kriterium nennt, nach dem zu beurteilen wäre, ob eine bestimmte Äußerung berechtigte Kritik oder Schleimerei sei. Wenn man Broders publizistisches Werk sichtet, wird man nur schwer eine Zustimmung zu einer Kritik an Israel, leicht aber den impliziten Tadel der Schleimerei entdecken. Das hat Methode. Der Vorwurf des »jüdischen Antisemitismus« ist wie Theodor Lessings Diagnose eines »jüdischen Selbsthasses« unwiderlegbar. Was immer ein von Broder als jüdischer Antisemit definierter Jude entgegnen mag – es decouvriert ihn scheinbar nur als feigen Schleimer. Käme jemand auf die Idee, Ken Loach einen antibritischen Briten zu nennen: was hätte er vorzuweisen, um diesen Unsinn zu entkräften? Ja, aber der Terror der Palästinenser! Richtig. Auch auf irischer Seite gab es und gibt es bis heute Terror. Hat Loach deshalb Unrecht? Ja, aber die Palästinenser sind sich ja selbst nicht einig, und zu einer konsequenten Politik sind sie unfähig. Richtig. Auch die Iren waren sich, wie Loachs Film mit aller Klarheit zeigt, nicht einig. Ist Loachs Parteinahme deshalb unberechtigt? Ein persönliches Nachwort: Ich kenne Henryk M. Broder seit bald vierzig Jahren. Ich habe ihn seinerzeit geschätzt, wegen seines Einsatzes für die Kurden, wegen seiner mutigen Kampagne gegen einen Kölner Nazirichter, wegen seines Witzes, seines raschen Verstands, seiner rhetorischen Fähigkeiten, seines Charmes. Seit langem haben wir uns politisch weit von einander entfernt. Ich muß gestehen, daß es mir schwerfällt, jemanden einfach abzuschreiben, den ich einmal estimiert habe. Umso bedauerlicher finde ich es, daß Broder und mit ihm eine ganze Reihe ehemals linker Juden sich in eine Haltung gegenüber Israel versteift haben, die sich von der dogmatischer Kommunisten vor 1990 gegenüber der Sowjetunion kaum unterscheidet. Wer damals die UdSSR kritisierte, galt als Antikommunist, selbst wenn er andere Modelle, etwa das des Prager Frühlings oder westeuropäischer Reformkommunisten oder lateinamerikanischer Revolutionäre, unterstützte. Die Rede vom »antisemitischen Juden« oder vom »jüdischen Antisemitismus« ist ähnlich infam. Zitieren wir ein letztes Mal aus Broders Interview: »Als Jude werden Sie als exotisches Wesen auf Händen getragen, solange sie Klezmer-Musik spielen, gefillte Fisch essen und sich ansonsten unauffällig benehmen. Sie sind erst dann nicht mehr willkommen, wenn Sie sich als Zionist zu erkennen geben. Das heißt für Juden, daß sie sich vom Judentum gar nicht mehr zu distanzieren brauchen, weil damit in der post-modernen und nachreligiösen Gesellschaft kein Problem da ist.« Leider ist dieses Zitat kaum geeignet, Broders Intelligenz zu beweisen. Es stimmt vorne und hinten nicht. Erstens gibt es auch Juden, die weder Klezmer-Musik spielen und gefillte Fisch essen noch Zionisten sind. Zweitens sind Zionisten gerade den Antisemiten durchaus willkommen, wenn sie es ernst meinen, will sagen: nach Israel gehen. Die Juden im eigenen Land sind den Antisemiten ein Dorn im Auge, nicht die Juden weit weg in der Wüste. Drittens aber, und das wiegt in diesem Zusammenhang am schwersten, ist das Judentum, was immer man darunter verstehen mag, außerhalb Israels durchaus noch sehr häufig ein Problem. Es gibt immer noch Jüdinnen und Juden, die Israels kolonialistische Politik ablehnen, wie Ken Loach die kolonialistische Politik Großbritanniens ablehnt, und die trotzdem ebenso wenig das Bedürfnis haben, »sich vom Judentum zu distanzieren«, wie Loach sich von seiner Zugehörigkeit zu einem Kollektiv distanzieren wollte. Broders Ausschließlichkeit verhindert in letzter Konsequenz, sich für die Belange dieser Juden einzusetzen, mit anderen Worten: den Antisemitismus zu bekämpfen, wenn und wo er außerhalb Israels auftritt. Wollte man Broders Methode kopieren, müßte man sagen: Die Denunziation von Juden, die den Zionismus mit richtigen Argumenten kritisieren und denen die Not von Palästinensern nicht gleichgültig ist, mehr noch: die sich als Juden dafür mitverantwortlich fühlen, wie sich Ken Loach für die Verbrechen seiner Landsleute in Irland verantwortlich fühlt, ist antisemitisch. Und wenn sie von einem Juden geäußert wird, dann wäre sie Ausdruck eines »jüdischen Antisemitismus«.
Erschienen in Ossietzky 23/2006 |
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