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Also auf nach Hohenschönhausen, wo nach dem Zweiten Weltkrieg ein sowjetisches Internierungslager, dann das zentrale sowjetische Untersuchungsgefängnis für Ostdeutschland und von Anfang der 50er Jahre bis 1990 die zentrale Untersuchungshaftanstalt des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit bestand. Durch vorherigen Anruf oder einen Prospekt erfährt man, »daß eine Besichtigung des ehemaligen Gefängnisses nur im Rahmen einer Führung möglich ist«. Findet man sich zur festgesetzten Stunde dort ein und entrichtet drei Euro, bekommt man zunächst einen halbstündigen Film zu sehen, den der Leiter der Gedenkstätte, Hubertus Knabe, mitverfaßt hat. Die Geschichte, die uns im abgedunkelten Vorführraum vermittelt wird, beginnt damit, daß 1945 die Sowjetarmee Berlin »besetzt«. Von Befreiung möchte Knabe nicht sprechen; er hat das in einem Buch ausgeführt, das man an der Kasse erwerben kann. Warum und wieso die Rote Armee Berlin besetzte, bleibt im Film unerwähnt. Wir hören nur, auf dem Gelände habe sich eine Großküche befunden. Keine näheren Angaben. In zwei Sätzen des Films kommt schließlich doch noch das Regime vor, das bis 1945 in Deutschland bestanden hatte. Wir erfahren nämlich, daß nach dem Einmarsch der Sowjetarmee »ehemalige KZ's einfach weitergenutzt« worden seien – als wären die Art der Nutzung und der Zweck die gleichen geblieben. Und daß später das Ministerium für Staatssicherheit 91.000 Hauptamtliche beschäftigt habe, vorher die Gestapo dagegen nur 7.000 – ein schräger, unseriöser Vergleich, der aber seine Wirkung tut. Was sich einprägt, ist die Botschaft, die diese Gedenkstätte insgesamt suggeriert: Das Schlimmste in der Geschichte war der Kommunismus, dagegen verblaßt alles andere. Von »Zehntausenden unschuldiger Opfer der kommunistischen Diktatur« spricht der Film. Die Möglichkeit, daß Schuldige hier eingesessen haben, bleibt außerhalb der Vorstellung. Die Führung übernimmt ein Beschäftigter der Gedenkstätte namens Ehlert, der von sich sagt, daß er selber in der DDR leicht ein Verfolgter hätte werden können. »Die Sowjets«, weiß er, »waren ja für ihre Brutalität bekannt.« Ganz so schlimm war es nach seiner Darstellung in der DDR nicht. Er nennt sie einen »Saftladen«. Im Freigelände vor dem Kinoraum kommen wir an einer Tafel vorbei, die uns mitteilt, an dieser Stelle habe sich das »Männerarbeitslager« befunden, wo 25 Männer unter anderem Fahrzeuge repariert und Möbel gebaut hätten; sie seien »jeden Abend eingeschlossen« worden. Soll ich mich darüber empören? Kommt es nicht vielleicht auch in anderen Haftanstalten vor, daß Gefangene tagsüber handwerklich arbeiten und abends eingeschlossen werden? Ehlert führt uns zu einem Gefangenentransportauto und weist auf die kleinen Zellen hin; für artgerechte Hundehaltung dagegen, vergleicht er, sei eine Käfiggröße von sechs Quadratmetern vorgeschrieben. Ich erinnere mich, einmal ein westdeutsches Gefangenentransportauto besichtigt zu haben: Die Zellen waren nicht größer als hier, kaum mehr als einen Quadratmeter groß. Im Gefängnisgebäude zeigt Ehlert drei Zellen, in denen Häftlinge mit Wasser gefoltert worden seien. Man habe die Zellen nach Angaben eines an ihrem Bau beteiligten Gefangenen rekonstruiert. Ich frage, ob es ehemalige Häftlinge gebe, die über diese Folter berichtet hätten. Ehlert antwortet, man müsse noch viele Akten durcharbeiten. Dann spricht er von dem verstorbenen Ex-Häftling Jürgen Fuchs, der überzeugt gewesen sei, daß »die Stasi« ihm Radioaktivität zugefügt und dadurch seinen Blutkrebs verursacht habe. Zwei andere zeitweilige Häftlinge, Rudolf Bahro und Gundolf Pannach, seien ebenfalls an Blutkrebs gestorben. Bahros Doktorarbeit sei »radioaktiv markiert« worden. Ich frage: Wer hat Bahros Doktorarbeit radioaktiv markiert und wann, vor oder nach der Abgabe? Ehlert: »Lothar Bisky hat die Arbeit ans Ministerium für Staatssicherheit weitergegeben. Es gibt eine Broschüre von Professor Sebastian Pflugbeil mit dem letzten Forschungsstand. Wir können das hier nicht vertiefen. Mit einem Freund von mir ist man noch ganz anders umgegangen.« Der Professorentitel, den er Sebastian Pflugbeil, dem letzten DDR-Umweltminister, verleiht, macht die schwabbelige Aussage nach meinem Verständnis nicht stärker. Auf einem Hof ein Stück Schiene. Darauf ein Eisenbahnwaggon. Soll man Transporte nach Auschwitz, Rampe, Selektion assoziieren? Ehlert nennt den Waggon »Grotewohl-Expreß«, räumt aber gleich ein, daß er nicht wisse, was es mit der Benennung nach dem ersten DDR-Ministerpräsidenten auf sich habe, und daß der Waggon historisch nicht hierher gehöre. Die Schriftstellerin Daniela Dahn, die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke und eine Studentin aus New York, mit denen ich mich zu diesem Besuch verabredet hatte, hätten wie ich noch manche Fragen, aber von unserem Führer kommen nur Antworten wie »Das ist ein weites Thema«, »Es hat sich immer geändert«, »Das pfeifen die Spatzen von den Dächern«. Als Ulla Jelpke anmerkt, daß sie viele Jahre Gefangene in westdeutschen Haftanstalten betreut hat und daher ähnliche Baulichkeiten kennt – auch schlimmere, wenn sie sich etwa an die Zuchthäuser erinnere, die bis in die 70er Jahre bestanden – und daß man auch mal die Verhältnisse in heutigen Flüchtlingsheimen mit den hier gezeigten vergleichen müsse, reagieren zwei Jüngere in der Gruppe ungehalten. Unsere Nachfragen hindern sie daran, das Grauens zu genießen, das sie hier finden wollen. Nachher erzählt Daniela Dahn, daß ihr Vater, Karl-Heinz Gerstner, der im antifaschistischen Widerstand aktiv gewesen war, 1945 aufgrund einer Denunziation einige Monate hier gesessen hat – mit hochrangigen Funktionären des Nazi-Regimes, die keinerlei Einsicht zeigten. In seinen Lebenserinnerungen hat er diese Erlebnisse ausführlich geschildert und auch über Vernehmungsmethoden sowjetischer Offiziere berichtet, die ihn empörten. Aber gefoltert wurde niemand. Ein wichtiger Zeitzeugenbericht – der aber schwerlich in das Bild paßt, das Direktor Knabe hier vermitteln will. Von den schwerstkriminellen Nazis als ersten Insassen dieses Gefängnisses nach der Befreiung Berlins erfahren die Besucher dieser Gedenkstätte, für die der Bund und das Land Berlin jährlich Millionenbeträge aufwenden, nichts. Stattdessen viel dümmliche antikommunistische Propaganda. Aber gab es nicht wirklich schlimme Willkür in Erich Mielkes Machtbereich? Die Entführung militanter Gegner des sozialistischen Aufbaus in den 50er und frühen 60er Jahren, beispielsweise, gehört zu den Methoden, die man sich nicht zurückwünscht. Sinnvoll, realistisch könnten sie nur in einem Museum des Kalten Krieges dargestellt werden, das auch den westlichen Terror gegen die DDR, die vielfältigen Methoden zur Bekämpfung sozialistischer Ansätze thematisiert. So aber, wie Geschichte hier zugerichtet wird, dient sie nur der Desinformation. Der Blick wird dermaßen suggestiv verengt, daß ich jetzt beim Nachdenken darüber merke, wie mir selber Relationen und Zusammenhänge zeitweilig verloren gingen, über die ich gewöhnlich verfüge – bis ich darauf komme, daß 50 Jahre nach der hier geschilderten Entführung des Dr. Walter Linse aus Westberlin der US-Geheimdienst das Recht für sich beansprucht, vermeintliche Militante aus vielen Ländern zu entführen, auch Deutsche, ohne daß die deutsche Regierung wenigstens öffentlich protestiert. Historische Aufklärung müßte gerade umgekehrt den Blick weiten und uns für heutige Bedrohungen der Menschenrechte sensibilisieren. Also schließen! Schleunigst! Schulklassen fernhalten! Oder könnte man aus diesem Gelände vielleicht doch etwas Nützliches machen? Als erstes müßte man – wie allgemein üblich – die Gedenkstätte Hohenschönhausen nach wissenschaftlichen Kriterien evaluieren. Und klären, welche Befähigungen jemand braucht, der hier künftig Direktor sein könnte. Kontext:
Erschienen in Ossietzky 22/2006 |
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