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Dabei bin ich dem Autor nur einmal begegnet, im Sommer 1988 beim Internationalen Treffens für kernwaffenfreie Zonen in Ostberlin: Als damaliger Leiter des Sektors Sozialistische Länder in der internationalen Abteilung des ZK der SED, dort zuweilen mitfühlend als »Konkursverwalter« der Bruderländer benamst, hatte ich nach Konferenzende auf einer Autofahrt durch das nächtliche Berlin ein längeres Gespräch mit ihm. Mit Blick auf die damalige Entwicklung in der Sowjetunion meinte Bilak, daß ihn Michael Gorbatschow an Alexander Dubcek erinnere, der die CSSR 1968 ins Chaos geführt habe, mit dem Unterschied, daß die Kommunisten der UdSSR niemand zur Hilfe rufen könnten, sondern die Krise aus eigener Kraft überwinden müßten. An dieses Gespräch mußte ich denken, als ich im April 1991 neben dem seinerzeitigen Bundestagsabgeordneten Hans Modrow, dem vormaligen Ministerpräsidenten der DDR, sowie dem Vorsitzenden der PDS-Gruppe im Bundestag, Gregor Gysi, dem zu Besuch nach Bonn geladenen Präsidenten der tschechoslowakischen Nationalversammlung, Alexander Dubcek, gegenübersaß, unter dessen Führung die CSSR 1968 an den Rand eines Bürgerkrieges mit unabsehbaren Folgen für den ohnehin schon labilen Frieden in Europa geraten war; nach der militärischen Intervention der Sowjetunion und anderer Warschauer Vertragsstaaten war er zum Rücktritt gezwungen worden. In dem Gespräch begrüßte Dubcek die Entwicklung der PDS zu einer modernen linksorientierten Kraft, die in einer pluralistischen Gesellschaft ihren Platz haben müsse. Zu einem Zeitpunkt, als die linke Partei im Parlament und im ganzen Land verketzert wurde, war eine solche Äußerung hilfreich, auch wenn die Medien der »pluralistischen Gesellschaft« sie geflissentlich verschwiegen. Meine eigenen Empfindungen blieben widersprüchlich. Immerhin war Dubcek seinerzeit für einen »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« eingetreten, jetzt aber repräsentierte er einen Staat, in dem der Kapitalismus restauriert wurde, den schwerlich ein »menschliches Antlitz« auszeichnete. Damals waren mir noch viele Details unbekannt, die ich erst jetzt durch die Lektüre des Bilak-Buches erfuhr. Weder hatte ich jemals davon gehört, daß Dubcek, nachdem er am 5. Januar 1968 unter dem dringenden Erfordernis gesellschaftlicher Reformen zur Weiterentwicklung des Sozialismus als Nachfolger des abgelösten Antonin Novotny an die Spitze des ZK der KPC gewählt worden war, vor kindlicher Rührung und Freude in Tränen ausbrach, noch wußte ich, daß er 15 Monate später, am 13. April 1969, nachdem Bilak ihn zum Rücktritt aufgefordert hatte, sich betrank und beim Verlassen des ZK-Gebäudes schrie, er werde nicht aufgeben, sondern zeigen, wer Herr im Hause sei; vier Tage danach trat er »freiwillig« zurück. Wichtiger aber als solche Episoden sind die Berichte des Zeitzeugen Bilak über die Ereignisse zwischen beiden Daten: über die Auseinandersetzungen in der Prager Führung, das Vorgehen der antisozialistischen Kräfte, die verhängnisvolle Rolle der Massenmedien und die zahllosen Versuche Moskaus, die KPC-Führung zu zwingen, aus eigener Kraft dem Abdriften der Tschechoslowakei aus dem Warschauer Vertrag und dem sozialistischen Staatenbund Einhalt zu gebieten. Erstmals wird in dem Buch authentisch und detailliert über die Treffen der sozialistischen Länder in Dresden (März 1968) und in Bratislava (August 1968) sowie über die Gespräche zwischen den Partei- und Staatsführungen der UdSSR und der CSSR in Cierna nad Tisou (Mai 1968) und Moskau (August 1968) informiert. Auf all diesen Treffen wurden keine Schlußfolgerungen gezogen, um die erheblichen Defizite der vorangegangenen gesellschaftlichen Entwicklung in der CSSR und in allen sozialistischen Ländern, auf die auch Bilak nicht eingeht, wenigstens schrittweise zu überwinden. Trotz mancher Lücken sind diese Berichte wie das gesamte Buch (Original-Titel »Meilensteine meines Lebens« niederschrieb, so aufschlußreich und für viele der damaligen »Reformkräfte« so peinlich, daß es bis heute weder in Tschechien noch in der Slowakei veröffentlicht wurde. Wer allerdings nach dem im deutschen Titel »Wir riefen Moskau zu Hilfe« angekündigten Eingeständnis des Autors sucht, daß er zu den Autoren des Briefes gehörte, in dem die Bündnispartner zu Hilfe gerufen wurden, der sucht vergeblich. Nach dem Ende der CSSR und den totalen Umwälzungen in Prag und Bratislava (jetzt geht die tschechische Regierung so weit, den Kommunistischen Jugendverband des Landes zu verbieten) hätte ihm das eine Anklage wegen »Hochverrat« eingebracht. Ebensowenig geht Bilak darauf ein, daß mit dem Einmarsch von Truppen des Warschauer Vertrages – die Volksarmee der DDR gehörte nicht dazu – grundlegende Normen des Völkerrechts, die Prinzipien der Nichteinmischung und der Achtung der Souveränität der Staaten, grob verletzt wurden. Aber, so ist auch heute noch zu fragen, hat der Westen – von der Sudetendeutschen Landsmannschaft bis zur NATO, die bereits auf dem Sprung saßen –, diese Prinzipien etwa eingehalten? Und hält er sie heute ein: in Jugoslawien, in der Ukraine, in Belarus, in Afghanistan oder im Irak? Damals herrschte Kalter Krieg, und es galt die bekannte Frage: Wer wen? Besiegten die sozialistischen die als reformistisch getarnten konterrevolutionären Kräfte oder umgekehrt? Zu letzteren gehörte ein Ökonom, den der Westen gern auf den Stuhl des Ministerpräsidenten in Prag ge-hievt hätte, Ota Sik. 1990 gestand er ein: »Wir, der Kern der ökonomischen Reformer, versuchten in Prag damals eben nicht den Kommunismus zu reformieren. Unser eigentliches Ziel war, ihn abzuschaffen und ein neues System aufzubauen... Heute ist es ein direkter Übergang zur kapitalistischen Marktwirtschaft ... Der Begriff der Reform war ein Zugeständnis an die Machtverhältnisse.« 1968/69 wurde die Konterrevolution, mit der sich viele, ganz unterschiedliche Hoffnungen verknüpft hatten, gestoppt. 20 Jahre später siegte sie. Klaus Kukuk, dem die Übersetzung und Herausgabe des faktenreichen, wie ein Politthriller zu lesenden Buches zu verdanken ist, zieht das Fazit: »So betrachtet, kann man 1968 als Probelauf für 1989 nehmen. Oder anders formuliert: 1969 war die Reaktion gescheitert, 1989 war sie erfolgreich. Nicht nur in der CSSR. Insofern stimmt Bilaks seinerzeit getroffene Feststellung, daß ohne das Bündnis mit der Sowjetunion der Sozialismus in der CSSR zum Scheitern verurteilt sei ... Aber seine richtige Aussage galt auch in der Umkehrung – die Aufkündigung des Bündnisses durch die KPdSU hatte die gleichen Folgen. Und zwar für alle Beteiligten.« Vasil Bilak hatte während der nächtlichen Autofahrt durch Berlin nicht zu Unrecht Gorbatschow mit Dubcek verglichen. Vasil Bilak: »Wir riefen Moskau zu Hilfe. Der ›Prager Frühling‹ aus der Sicht eines Beteiligten«, Herausgeber: Klaus Kukuk, edition ost, 288 Seiten, 14.90 €
Erschienen in Ossietzky 22/2006 |
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