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Aber er hat in langen Gesprächen mit dem Autor und Herausgeber Wolfgang Herzberg daran wesentlich mitgewirkt. Herausgekommen ist nicht einfach eine Künstlerbiografie, sondern ein eigenwilliger Beitrag zur gegenwärtig heißumkämpften Erinnerungskultur. Nachvollziehbar wird die Politisierung des jungen Wolff, der früh seine Eltern verlor und von seinem Onkel 1935, vierzehnjährig, gottlob nach London geschickt wurde. Als Lehrling kam er in einer Möbelfabrik nicht umhin zu begreifen, daß es Arbeiter und Besitzende gibt. Wer in der miese Löhne zahlenden Fabrik einer Gewerkschaft beitreten wollte, flog raus. In der zionistischen, aber nicht religiösen Jugendbewegung »Habonim« begeisterte ihn die Idee, mit Hilfe der Kibbuzim den Sozialismus nach Israel zu bringen. In Kent lebte er in einem Ausbildungskibbuz, der die jungen Leute auf ihren Weg nach Palästina vorbereiten sollte. Beinahe hätte er vergessen, daß er Deutscher war, wäre er nicht im Mai 1940 als »feindlicher Ausländer« interniert und wenig später in eine nichtvorgesehene Richtung verschifft worden, nämlich nach Kanada. Die einzig Aktiven im dortigen Internierungslager waren Kommunisten, meist Spanienkämpfer, deren Vorträge über Marxismus dem jungen Gerry einleuchteten. Noch mehr Begeisterung löste bei ihm nur ihr Amateur-Theater und seine Rolle in den »Räubern« aus. Nach dem Krieg überzeugte ihn der Leiter des Exil-Kulturbundes, Heinz Litten, nicht nach Palästina, sondern mit ihm an die Berliner Volksbühne zu gehen. Zunächst war ihm eine Wohnung in Westberlin zugeteilt worden. Als aber Nachbarn ihm steckten, daß ein Herr vom Geheimdienst des Nazigenerals Gehlen sich nach ihm erkundigt habe, konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, daß alle bespitzelt würden, die nicht mit Hitler zusammengearbeitet hatten. Die Bespitzelung »war der letzte Anlaß, daß wir endlich nach Ostberlin umzogen.« Der differenziert beschriebene DDR-Teil der Biografie müßte allen anempfohlen werden, die auch angesichts der heutigen Gesellschaftskrise die Grenze zwischen angeblich richtigem und falschem Lebens nicht nur unerschütterlich, sondern mit wachsendem Eifer auf der alten Demarkationslinie durch aufgetürmte Klischees verfestigen. Wolfgang Herzberg gelingt sein Vorhaben, durch einfühlsames Befragen und sensibles Bewerten ostdeutsche Lebenserfahrungen und -leistungen selbstbewußt kritisch zu würdigen und sich so der ritualisierten Abwertung von DDR-Geschichte zu widersetzen. Dabei kommt dem Autor sein Antiheld in Sachen Eigenwertschätzung nicht sonderlich entgegen. Auch wenn Wolffs ironische, egoskeptische Bescheidenheit sich wohltuend von den üblichen eitlen Selbststilisierungen absetzt, so hat der Umstand, wie sehr er verinnerlicht hat, nur »ein kleines Würstchen« zu sein, auch eine tragische Dimension. Sein Selbstbewußtsein sei zweimal gebrochen worden, sagt Gerry, der ursprünglich Gerd hieß: in der Nazizeit und nach der Wende, auf unterschiedliche Weise, aber beide Male sei er zum Bürger zweiter Klasse geworden. Er habe einen Mann auf die Frage, weshalb er in Israel lebe, einmal antworten hören: »Wissen Sie, in Israel bin ich kein Jude.« Das sei ein ungeheurer Satz. »Und ein bißchen so war es auch in der DDR.« »Ich bin ja nach 1945 als Sieger nach Deutschland zurückgekommen und fühle mich plötzlich nach 1989 als ein Looser. Jetzt bin ich also dabei, als Ostdeutscher meine Verbrechen in der DDR aufzuarbeiten.« Ein Gespräch mit dem Sohn Thomas Wolff bringt aufschlußreich die ambivalente Perspektive der Nachgeborenen ein. Wolfgang Herzberg, selbst als Emigrantenkind im Londoner Exil geboren und später in Ostberlin aufgewachsen, kann sich in seinem ergänzenden Text des fatalen Eindrucks nicht erwehren, als seien für viele nur die von den Nazis ermordeten oder vertriebenen die guten Juden, während insbesondere die nicht wenigen, die aus eigenem Entschluß in die DDR gingen, wie eine Quantité négligeable verschwiegen werden. Es sei denn, sie seien als »Opfer« oder »Täter der SED-Diktatur« verwertbar. Herzberg erinnert an die repressiven Züge in der Kultur- und Kirchenpolitik der SED, verweist aber gleichzeitig auf das Schaffen von zwanzig namhaften jüdischen Künstlern. Auch im Gesamtwerk von Gerry Wolff, der in seinen über hundert Bühnen- und Filmrollen (1963 spielte er unter der Regie von Richard Groschopp im Film über Carl von Ossietzky) oft Schicksale von Juden verkörperte und zahlreiche jiddische Lieder, Witze und jüdische Weltliteratur interpretierte, sieht er den Vorwurf entkräftet, jüdische Identität sei in der DDR abgewertet, mangelhaft gepflegt oder gar durchgängig unterdrückt worden. Ein Teil dieser Songs ist auf der dem Buch beigelegten CD mit den 29 schönsten Titeln Gerry Wolffs zu hören, so sein Hit »Die Rose war rot«, wohl das einzige politische DDR-Lied, das in vielen europäischen Ländern nachgesungen wurde. Hört man ihn jedoch (zur Melodie von »Glory, Glory, Halleluja«) »Solidarität für immer ... die Gewerkschaft macht uns stark« singen oder in Georg Herweghs berühmtem Lied »... alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will«, so wird einem wehmütig bewußt, wie die Zeiten sich geändert haben. Wir werden alle zu kleinen Würstchen werden, wenn wir uns der großen Hackfleischerei widerstandslos ergeben. Wolfgang Herzberg: »Gerry Wolff: Die Rose war rot«, Dietz Verlag Berlin, 160 Seiten, 14,90 €
Erschienen in Ossietzky 22/2006 |
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