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Aus dem Sauerland, wo er 1964 geboren wurde, führten sie nach Ostberlin, 1988 in den Westteil der Stadt und von da auf zahlreiche renommierte Bühnen, auch mal nach Chile und Brasilien. Von den wichtigsten Stationen, Frankfurt am Main und Hamburg, hat Petras jetzt neue Stützen für das Gorki-Ensemble angelockt, allen voran Fritzi Haberland und Peter Kurth. Vom alten Stamm blieb nur ein Drittel. Um die verschiedenen Spielorte des »Spektakels« aufzuspüren, hätte es fast eines Kompasses bedurft, wären einem da nicht Hinweisschilder zu Hilfe gekommen und freundliche Mamsells in hellblauen Schürzen und Häubchen. Neben der gewohnten Haupt- und Studiobühne gab es Auftritte im Kastanienwäldchen hinter der Neuen Wache, auf einem Parkplatz, in der Kantine und zwei anderen Räumen. Die ältesten dramatischen Spuren führten zu Goethe (»Die Leiden des jungen Werthers«) und alternativlos, da ohne gleichzeitiges Auswahlmenü, Ibsens »Baumeister Solness«, herausgehoben auch durch die Regie des Intendanten Petras. Er holt das Drama aus Norwegen nach Berlin. Mit Videoprojektionen wird man erst einmal über die Stadtgeschichte aufgeklärt, bevor wir von dem scheinbar noch in Saft und Kraft stehenden Selfmademan Solness (Peter Kurth) allmählich erfahren, daß er um seine lange unangefochtene beherrschende Position bangt und junge Konkurrenz fürchtet. Den Architektennachwuchs in seinem Büro kann er noch bremsen, aber von dem plötzlich auftauchenden Mädchen vom Lande, dem er bei einem Richtfest vor Jahren ein Königreich versprochen hat, fühlt er sich noch einmal herausgefordert. In Gestalt von Anja Schneider wirkt diese Hilde Wangel allerdings eher als überdrehter Dorftrampel denn als späte – auch erotische – Verlockung. Immerhin stürzt der Baumeister am Ende nicht wie bei Ibsen vom Turm, sondern verspricht mit dem ganzen Ensemble: »Wir bauen das Schönste, was es gibt: Luftschlösser!«. Ist das die Devise auch für Petras‘ neues Theaterkonzept? So neu erschien es uns nicht. Sein »Solness« führte fast anthologisch vertraute Stereotypen modernen Regietheaters vor: sich anspringen, brüllen, chorisch sprechen, mindestens einmal kopulieren. Wiederholt erinnerte das »Spektakel« an Einar Schleef, den 2001 verstorbenen vielseitigen Theatermann. Sein Frühwerk »Berlin ein Meer des Friedens« (1974) war bisher nur als Hörspiel bekanntgeworden: der gar nicht so friedliche Dialog eines Ehepaares (Ruth Reinecke und Fabian Gerhardt), dessen Hauptbeschäftigung aus Fernsehen mit Bier und Pralinen besteht. Zu DDR-Zeiten macht der Mann dabei seinem Frust von der Arbeit Luft. Was laut einem kommentierenden Text des Autors »den Untergang der geteilten Stadt in einer braunen Flut« beschreiben soll, ist jetzt zum Einbruch der kapitalistischen Konsumwelt nach der »Wende« geworden. Der Frust eines Maurers, der, nachdem er seiner Familie ein Haus gebaut hat, dieses selbst zerstört, ist Gegenstand von Schleefs Erzählung »Das Haus«. Petras macht daraus den Monolog des Mannes (Andreas Leupold), der dazu auf dem Parkplatz von einem Kran aufs Dach gehievt wird. Als Kontrast zum DDR-Schlager »Wie ein Stern in lauer Sommernacht« erklingt am Ende die Bach-Kantate »Ich hab genug«, womit die sonst recht überflüssige Ausgrabung, von der man auch als Zuschauer in einer kühlen Herbstnacht bald genug hat, doch noch zu einem guten Ende gelangt. »Mutter Küsters‘ Fahrt zum Himmel« gehörte mit seiner Kritik der westdeutschen Linken 1975 zu den umstrittensten Filmen Rainer Werner Fassbinders. Der Ausgangspunkt könnte heute noch aktuell sein: Mutter Küsters‘ Ehemann, seit zwanzig Jahren eher unauffälliger pflichtbewußter Arbeiter, erschießt aus Protest gegen anstehende Massenentlassungen erst einen Vorgesetzten und dann sich selbst. In dem folgenden Medienrummel wird seine Frau von Sohn und Schwiegertochter allein gelassen, die Tochter nützt ihn für ihre Karriere als Schlagersternchen, nur ein paar DKP-Genossen kümmern sich um die Hilflose, die schließlich auf die Rehabilitierung ihres Mannes durch eine terroristische Aktion hofft. »Wohin?« rufen zuletzt alle. Weil das wohl auch der Regisseur Heiko Senst nicht recht weiß, nimmt er schließlich die Geschichte nicht mehr ernst. Die letzten Worte von Mutter und Terrorist, beide von Polizei erschossen, aus dem Sarg lauten »Himmel und Erde mit Blutwurst«, worauf das Ensemble ans Publikum Würstchen verteilt. Hilfloser noch wirkt die Inszenierung von Wolfgang Borcherts »Draußen vor der Tür« durch Matthias Huhn. Aus dem Kriegsheimkehrer Beckmann von 1946 hat Huhn einen Arbeitslosen von heute (Ronald Kukulies) gemacht, dessen Originaltext nun überhaupt nicht mehr zur Gegenwart paßt, etwa wenn er von dem hier in einen Unternehmer verwandelten Oberst Rechenschaft fordert oder unvermittelt den amerikanischen Gewerkschaftssong »Which side are you on« anstimmt. Die ihn umgebende egoistische Spaßgesellschaft ist in Faschingskostüme gesteckt, der Kabarettdirektor tut sich auch als Feuerschlucker hervor, und alle singen mehrmals »Ein Prosit der Gemütlichkeit« und »Wir machen durch bis morgen früh und singen Bumsfallera«. Letzteres können die auf Bierkisten im Kastanienwäldchen plazierten Zuschauer frierend nur als Drohung empfinden, aber glücklicherweise ist nach einer guten halben Stunde alles vorbei. Anspruchsvoller klingt, was Armin Petras aus dem traditionsreichen Maxim-Gorki-Theater machen möchte: ein »Stadttheater« als »romantischer Traum des Zusammendenkens von Kunst und Theorie, von der Demokratisierung des kulturellen Lebens«. Dazu sollen ihm eine »Lernwerkstatt« und »Klubs Geschichte, Politik, Literatur, Musik und Wissenschaft« dienen. Allein neun Premieren will er im ersten Monat seiner Intendanz stemmen. Bleibt zu hoffen, daß daraus mehr wird als ein unspektakuläres Spektakel.
Erschienen in Ossietzky 21/2006 |
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