Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. US-EU-Bündnis aus AngstManfred Sohn »Eine faszinierende Idee« nannte Bundeskanzlerin Merkel den Vorschlag der ehemaligen Außenminister Genscher (BRD) und Kissinger (USA), die Europäische Union und die Vereinigten Staaten von Amerika zu einer Freihandelszone zusammenzuschließen. Ob faszinierend oder fix: Daß sie es gewagt haben, diesen Versuchsballon zu starten, zeigt die aktuellen Kräfteverhältnisse der Weltwirtschaft und die Überlegungen der sie noch beherrschenden Mächte, wie auf die stattfindenden Verschiebungen zu reagieren sei. Die aktuellen Rahmenbedingungen, unter denen solche Gedanken entstehen, sind durch das bevorstehenden Scheitern der Doha-Runde gekennzeichnet. In diesem Verhandlungsmarathon versucht die Welthandelsorganisation (World Trade Organisation, WTO) seit einigen Jahren, die Zollschranken der noch nicht ganz in die kapitalistische Weltwirtschaft integrierten Länder niederzureißen. Diese Länder haben dazu ihr Einverständnis signalisiert unter einer Bedingung: Die Industrieländer verzichten im Gegenzug darauf, ihren Agrarsektor mit Milliardensubventionen gegen den Import von Agrarprodukten aus den Entwicklungsländern zu verbunkern. Zwar war die EU bereit, ihre Zuckerrüben-Subven-tionen zurückzufahren und so die europäischen Rübenbauern zugunsten der exportorientierten Elektro- und Autoindustrie zu opfern, aber bislang hat die WTO ein Gesamtpaket unter der Überschrift »Zollsenkung gegen Agrarsubventionsabbau« nicht zustandegebracht. Das noch in den 90er Jahren massive Drängen der USA und der EU, Zollschranken niederzureißen, hat allerdings in den letzten Jahren ebenfalls nachgelassen. Dies wiederum hat seinen schlichten Grund darin, daß die Welt vor allem den in den USA hergestellten Kram nicht mehr kaufen mag er ist zu schlecht oder zu teuer oder beides. Um zu verstehen, was sich hinter diesem neuen Atlantikpakt verbirgt, müssen wir uns einige wenige langfristige Zahlenreihen ansehen zunächst mit Blick auf die USA, dann mit Blick auf Deutschland als das stärkste europäische Land. Auf dem Territorium der USA lebten im Jahre 1900 rund 4,6 Prozent der Weltbevölkerung, die damals 21,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts der Welt erzeugten. Ein halbes Jahrhundert später lebten dort 6,5 Prozent und produzierten 34,2 Prozent. Auf den ersten Blick war das der Höhepunkt des amerikanischen Jahrhunderts, und so haben sich die US-Amerikaner damals auch so gefühlt. Objektiv aber hatten sie da die beste Zeit ihrer Produktivkraftentwicklung schon hinter sich: Während vor allem die Sowjetunion aufholte, ging der US-amerikanische Anteil an der Produktion von Industriegütern auf 39 Prozent zurück; in den 20er Jahren, dem eigentlichen Höhepunkt der US-Machtentfaltung an der industriellen Basis, waren es noch 47 Prozent gewesenen. Seit 1950 aber ist der Niedergang unübersehbar. Ein halbes Jahrhundert später also im Jahr 2000 war der Anteil der Weltbevölkerung zwischen New York und San Francisco wieder auf die 4,6 Prozent von 1900 gesunken, die gerade noch 24,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts erzeugten. Für Deutschland lautet die entsprechende langfristige Zahlenreihe: Um 1900 lebten hier 3,4 Prozent der Weltbevölkerung mit einem Bruttoinlandsanteil von 7,6 Prozent, 100 Jahre später waren es noch 1,3 Prozent der Menschen, die allerdings immer noch dank besserer Produktivität als in den USA 7,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erzeugten. Die aufsteigenden Mächte, auf die immer größere Anteile nicht nur der Weltbevölkerung, sondern zunehmend auch ihrer Wirtschaftskraft entfallen, sind China, Indien und hinter ihnen eine ganze Reihe von Staaten vor allem in Asien. Es gibt also so etwas wie eine Kontinentalverschiebung der Macht vom Atlantik zum Pazifik. Dieser Prozeß hat sich seit dem Ende des letzten Jahrhunderts enorm beschleunigt. Seit dem Jahr 2005 haben nach den Statistiken der OECD die sogenannten Entwicklungsländer einen größeren Anteil am Weltsozialprodukt als die sogenannten entwickelten Länder. Seit 1990 gab es kein einziges Jahr mehr, in dem die Wachstumsraten der ärmeren Länder nicht die der reicheren überschritten hätten, und inzwischen sind nicht mehr die Länder der früher so bezeichneten »dritten Welt« die Gläubiger der USA oder Großbritanniens, sondern diese Kriegerstaaten bezahlen den Sold für ihre Truppen mehr und mehr mit dem Geld, das sie sich von denjenigen Staaten geliehen haben, die sie überfallen haben oder zu überfallen gedenken. Lange geht so etwas nicht gut. Alle Beteiligten, die ein bißchen was von Wirtschaft und Finanzpolitik verstehen, wissen das auch. In militärischen Kategorien gesprochen ist also die »faszinierende Idee«, die jetzt diskutiert wird, nicht mehr als der Ruf von zwei alten Heerführern, die ihre draußen auf dem Feld gerade einer furchtbaren Niederlage entgegensehenden imperialistischen Hauptarmeen »Zurück in die Burg!« beordern in der Hoffnung, dort die Kräfte neu gruppieren und einen neuen Angriff auf die frechen Herausforderer da draußen reiten zu können. Darauf deuten auch die weiteren Ausgestaltungen des Genscher-Kissinger-Vorschlags hin: Innerhalb der Burg also der schrumpfenden Weltmächte USA und EU soll völlig freier Handel herrschen, während die Handelsfronten vor allem gegenüber China und vermutlich auch Indien verschärft werden sollen. Das ist eine alte deutsche und amerikanische Strategie; beide Staaten haben ihre im 19. Jahrhundert noch jungen, den englischen Firmen gegenüber schwachen Industrien durch hohe Zollmauern vorübergehend geschützt und sind Freihandelsanhänger erst, seitdem sie mit ihren Produkten anderen Industrien überlegen sind solange sie es waren. Die Ankündigung, es ginge bei diesem Pakt auch um die Menschenrechte in China, kann getrost unter »propagandistische Nebelkerzen« abgelegt werden. Ein Nebeneffekt wäre, daß eine Freihandelszone USA-EU diejenigen bisher lediglich auf den britischen Inseln voll zu Geltung gekommenen Kräfte stärken würde, die innerhalb der atlantischen Burg alle Errungenschaften schleifen wollen, die bisher noch in Europa verglichen mit den USA eine höhere soziale Sicherheit gewährleisten. Aber der Hauptaspekt dieser Freihandelsdiskussion ist der, daß sich hier die ängstlichen Alten zu einem Bündnis gegen die neuen Mächte Asiens zusammenschließen, die gegenwärtig ihre Schwingen recken. Es ist nichts Faszinierendes daran, es ist die blanke Angst, die sie treibt.
Erschienen in Ossietzky 21/2006 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |