Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Ein Gespräch mit Herrn FestGerhard Zwerenz An diesem Morgen geschah es, daß ich erst spät aufwachte. Ingrid hatte bereits Marathonstrecken am PC hinter sich gebracht und tankte Kaffee nach. Ich skizzierte mein nächtliches Zusammentreffen vom Vorabend mit Herrn Fest beim römischen Feldbergkastell. Er war wegen Schlafesmangel von seiner stinkfeinen, im italienischen Stil errichteten Kronberger Magnaten-Villa aufgebrochen, ich verschaffte mir am Waldhang gern die nötige Oberreifenberger Bettschwere, wenn das übliche Glas Rotwein nicht genügte. Der Herr Nachbar sprach mich, vom gehlen Vollmond beschienen, mit für ihn unnatürlicher, distanzloser Eile an, seine Bereitschaft zur Entschuldigung für frühere Borniertheiten andeutend, wenn ich meinerseits Selbstzensur übte und widerriefe, was in der Zeitschrift Ossietzky Heft 14 vom 9. Juli 2005 über ihn geschrieben stand. »Werter Herr«, sprach ich, vom selben Vollen Mond am römischen Limes-Hang erhellt, »das Blatt erscheint in extrem minimaler Auflage, was ist das verglichen mit Ihren Leser- und Zuschauer-Millionen?« Ingrid unterbrach meinen Tatsachen-Bericht mit dem kühlen Hinweis, der Herr, den ich am Abend zuvor getroffen, sei zur selben Stunde dieses 11. September 2006 in seiner nahen Taunus-Villa verstorben. Was mich in seiner Dualität nicht sonderlich überraschte, bringt doch das großdeutsche Bürgertum arg viele Abgänge und Auferstehungen hinter sich. So war ich wenige Monate zuvor heimlicher Zeuge eines Treffens der Festianer in der Berliner »Paris-Bar« geworden, wo die Herren seit Ewigkeiten einen Stammtisch betrieben. Es saßen da neben Fest aufgereiht die Koryphäen Wolf Jobst Siedler, Johannes Gross, Arnulf Baring, Michael Stürmer, Ernst Nolte, Ernst Jünger, Jörg Schönbohm, Carl Schmitt, Paul von Hindenburg, Konrad Adenauer, Hans Globke, Martin Heidegger und, mit einem handtellergroßen Pflaster über dem Mund, der liberalrevolutionäre Sebastian Haffner, fürwitzig genug, gegen Fests fette Hitler-Schmöker mit einem Anti-Hitler-Buch anzustänkern. Eine Majestätsbeleidigung. Beim Anblick so distinguierter Verschwörerrunden ist schwer unterscheidbar, wer noch lebend tot ist oder als Toter lebt. Gerade verabredete man den Wiederaufbau des Berliner Hohenzollernschlosses, wogegen der lippenversiegelte Haffner mit Zähneknirschen protestierte. Vom Gespensterberlin in die lichten Taunushöhen heimgekehrt, las ich aus hygienischen Gründen ein paar Seiten der Haffnerschen »Anmerkungen zu Hitler«, die bei uns neben der politischen Biographie »Adolf Hitler« von Kurt Pätzold und Manfred Weißbecker stehen, nicht zu vergessen Pätzolds »Stalingrad und kein Zurück (Wahn und Wirklichkeit)« . Ingrid erkundigte sich beim späten Frühstück dieses 12.9.06 wißbegierig nach den Details meines vorabendlichen Zusammentreffens mit Herrn Fest an dessen Todestag. Wahrheitsgemäß berichtete ich: Mein letzter Satz im römischen Kastell war das Thälmann-Zitat: »Stalin wird Hitler das Genick brechen.« Schon Trotzki hatte erklärt, ungeachtet seiner Todfeindschaft gegen Stalin müsse man die Sowjetunion verteidigen, werde sie von Hitler angegriffen. Das war im August 1944 mein Motto beim Übergang von der Wehrmacht zur Roten Armee. Doch der stolze Thälmann-Satz reizt unsere reichsdeutschen Nationalkonservativen bis aufs überkochende Blut. Mich wundert nicht, daß Herr Fest daran starb. Arnulf Baring am 13. 9. in Bild.de: »Abschied von einem echten Patrioten.« Frank Schirrmacher in der FAZ unterm selben Datum: »Der Mensch ist nicht zu vornehm für das Leben – An die Kuppel der offenen Gesellschaft malte er, was wir sein könnten: Zum Tode von Joachim Fest.« Sein oder nicht Nichtsein ist hier die Frage. Ernst Nolte: »Wir waren beide … Söhne des katholischen Kleinbürgertums … Für mich wird die deutsche Welt noch einsamer …« Martin Walser: »Ich habe ihn immer aus der Distanz verehrt, die seine Haltung gebot.« Baring nach Bild noch mittenmang im FAZ- Feuilleton: » … alles stimmte, setzte Maßstäbe. Er war und bleibt ein Vorbild.« Der Fluch unterlassener Tat, der versäumte Widerstand zeichnet die armen nationalen Seelen und macht sie hinken. In der schwer aufzufindenden Kronberger Villa des Hitler-Biographen hockt der Führer überlebenslang auf dem marmornen Klo. Da hilft kein Wegspülen und kein WC-Reiniger. Wolfram Schütte rügte am 26. März 1976 in der Frankfurter Rundschau Joachim Fest, weil er Pasolini, den ermordeten Poeten und Regisseur, »postum zum Faschisten erklärt« hatte. Ich rede nicht von Faschismus, aber von Seelenverwandschaft per prä- und postfaschistischer Strukturen. »Wirklich gefährlich konnte die konservative Opposition Hitler nie werden.« (Haffner) Daran leiden sie bis ins dritte und vierte Glied. Bevor Fest abging, pinselte er das Heldenbild seines Vaters zurecht. Ich lese lieber in der Weltbühne und den Tucholsky- und Ossietzky-Ausgaben nach, wie es bei den Hohenzollern und in Zeiten der nachfolgenden Republik zuging. Haffner: »Der Staat von Weimar hatte von Anfang an eine ganze Armee von Verfassungsfeinden im öffentlichen Dienst.« Das ist ein Unterschied zur Berliner Republik, in der die Verfassung entweder inoffiziell missachtet oder offiziell gebrochen wird. Und wer dabei nicht gehorcht, ist ein Feind der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. * In der Nacht vom 11. zum 12. September anno 2006, als ich vom letzten Treffen mit Herrn Fest am Römer-Kastell zurückkehrte, begegnete mir bei der Gertrudis-Kapelle ein Herr, der sonst hundert Meter entfernt am Kreuz hängt. Etwas die Füße vertreten? erkundigte ich mich nicht ohne Mitgefühl. Er: Ich hab' ein Problem. Ich: Bitte? Er: Angenommen, ich hätte vor zweitausend Jahren vom Kreuz herunter zur Revolution aufgerufen – was dann? Ich: Sie wären als Spartacus II. in die Geschichte eingegangen. Er: Das ist dieser aufständische Gladiator, um dessentwillen die Römer viertausend revoltierende Sklaven ans Kreuz schlugen? Ich: Sie wissen es, Herr Jesus von Nazareth. Er: Und was wissen wir jetzt? Ich: Spartacus würde heute wie Sie auch grundgesetzlich verboten. Er als böser Hassprediger, Sie als kindischer Pazifist. Er blickte leicht melancholisiert zum Feldberg rüber. Ich begleitete ihn höflich bis zum verwitterten Holzkreuz, wo er seine verordnete Haltung einnahm, ganz das Symbol des Gottvertrauens, wie die Frommen sich's wünschen. Vielleicht, dachte ich in einer Aufwallung von Unmut, schreibt der Mann auch bald seine Autobiographie. Dann fehlt nur noch das letzte Wort von Gottvater selbst. Der Text ist ein Vorabdruck aus Gerhard Zwerenz' Autobiographie »Warum Kark May die Pleiße erfand«, die 2007 erscheinen wird.
Erschienen in Ossietzky 20/2006 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |