Lidice wurde wieder verbrannt

Klaus Haupt

Lidice ist wieder verbrannt worden. Total verbrannt. Zur Erinnerung: Die kleine tschechoslowakische Bergarbeitersiedlung in Mittelböhmen war am 10. Juni 1942 von SS- und Gestapokommandos dem Erdboden gleichgemacht worden. Total vernichtet. Verbrannte Erde. 192 männliche Einwohner wurden erschossen, 196 Frauen ins KZ Ravensbrück bei Berlin verschleppt. 105 Kinder kamen ins Lager Chelmno, wo 88 von ihnen in Spezial-Lastwagen vergast wurden. Einige Kinder wurden deutschen Familien übergeben, zwangsadoptiert. Das war die »Vergeltung« für das tödliche Attentat auf den faschistischen »Reichsprotektor« von Böhmen und Mähren, Reinhard Heidrich.

Lidice wurde zu einem Symbol für deutsche Verbrechen. Es motivierte die Völker, den Faschismus ein für allemal zu zerschlagen. Anglo-amerikanische Soldaten schrieben auf Bomben, die für Deutschland bestimmt waren, das Wort: Lidice. Nach dem Krieg wurde der Ort wieder aufgebaut, eine Gedenkstätte wurde errichtet.

Nun ist Lidice erneut verbrannt worden, virtuell. Die Prager Zweigstelle der renommierten US-amerikanischen Werbeagentur McCann Erickson hat ein Spiel kreiert und auf einer eigens eingerichteten Website ins Internet gestellt mit dem Titel: »TOTAL burn-out of Lidice«. Ein Schild mit diesem Text wird von einem SS-Mann gehalten, den zwei Wehrmachtssoldaten flankieren.

Die Regeln dieses Spieles: 10 Punkte für einen erschossenen Tschechen, 20 Punkte für einen verbrannten Tschechen; 300 Strafpunkte gibt es, wenn versehentlich ein deutscher Soldat erschossen wird. Die Spieler können zwischen den Waffen wählen: Gewehr, Flammenwerfer oder Granate. Wer es geschafft hat, Lidice in möglichst kurzer Zeit dem Erdboden gleichzumachen, erhält dann allerdings die Mitteilung: Was Du hier spielst, war kein Spiel, sondern Wirklichkeit. Angefügt ist der Appell des Museums von Lidice, die Gedenkstätte zu besuchen.

Der Direktor des Museums stimmte dieser »Werbeaktion« zu; er meinte, damit »das geschichtliche Interesse« von Jugendlichen wecken zu können. Auch der Direktor des Prager jüdischen Museums hatte gegen dieses Spiel nichts einzuwenden.

Doch zum Glück hielt diese Mordswerbung nicht lange an. Anfang September war sie im Internet aufgetaucht, zum Monatsende war sie verschwunden. Nach vielen Protesten beendete Museumsdirektor Vervenei die »Aktion« und bat alle um Entschuldigung, »die von dieser Kampagne betroffen sein könnten, besonders die Hinterbliebenen der Tragödie von Lidice«.

Das entscheidende Machtwort sprachen offenbar der Bürgermeister von Lidice und der Gemeinderat. Bürgermeister Vaclav Zelenka – vier Jahre alt, als das Massaker verübt wurde, damals zur »Germanisierung« einer deutschen Familie übergeben – erklärte: »Ich habe in Lidice meinen Vater verloren, eine Cousine, einen Cousin und zwei Onkel, und meine Großmutter ist in Auschwitz gestorben. Und jetzt ist es ein Spiel.«

Es war ein makabres Spiel.

Erschienen in Ossietzky 20/2006