Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Der Bischof und der KesselschmiedWerner René Schwab »Es gibt Unterschiede, und es muß sie geben, weil sie Leistungsanreize sind, weil sie an Freiheit orientiert sind.« Als ich kürzlich diesen Satz des Landesbischofs von Berlin und Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber las, fiel mir ein altes Märchen ein und will mir nicht mehr aus dem Sinn. Das hat mir einst meine Tante, Tochter aus einer armen Bauernfamilie und verheiratet mit einem vor dem Hochofen arbeitenden Kesselschmied, bei denen ich die Schulferien verbrachte, vor dem Einschlafen vorgelesen. Es steht in der Sammlung der Brüder Grimm und trägt den Titel: »Die ungleichen Kinder Evas«. Darin beklagt sich Eva beim Schöpfer: »Herr, wie teilst du deinen Segen so ungleich. Es sind doch alles meine Kinder, die ich geboren habe, deine Gnade sollte über alle gleich ergehen.« Und sie bekommt diese Antwort: »Wenn sie alle Fürsten und Herren wären, wer sollte Korn bauen, dreschen, mahlen und backen? Wer schmieden, weben, zimmern, bauen, graben, schneiden und nähen? Jeder soll seinen Stand vertreten.« Betrübt sagte ich: »Also werden wir arme Leute bleiben.« Aber mein Onkel belehrte mich, Märchen sagten nicht immer die Wahrheit, sondern würden auch für bestimmte Interessen benützt, und man könne sich wehren. Darüber schlief ich ein und vergaß. Jetzt aber habe ich mich dank Bischof Huber daran erinnert. Und ich erkannte, daß in den drei Sätzen, die Gott angeblich zu Eva sagt, die ganze Ideologie zusammengefaßt ist, die die Herrschenden und Reichen und ihre vielen Helfer uns seit Jahrtausenden predigen. Sie erfinden stets neue Worte, Geschichten, Gleichnisse, wissenschaftliche Definitionen – oder lassen sie erfinden –, aber gemeint ist immer das Gleiche. Die Herrschaftsstrukturen und gesellschaftlichen Umstände müssen so bleiben, daß die große Mehrheit für die wenigen Mächtigen arbeitet und produziert und ihnen zu Diensten ist. Jeder von denen da unten soll nur brav seine Aufgabe an dem Platz erfüllen, an den ihn das »Schicksal« gestellt hat. Über allen Wandel in der Geschichte hinweg ist diese Grundtendenz geblieben und hat sich im Kapitalismus noch verstärkt. Die herrschende Klasse ist sich darin einig, »um des Gesamten willen«, was immer das auch sein mag, von allen Opferbereitschaft zu fordern. Und über die Jahrtausende hinweg ist es ihr gelungen, die Ungleichheit der Menschen zu erhalten und damit zu rechtfertigen. daß sie gott- oder naturgegeben sei. Also auch, daß im Jahre 2006 allein im wohlhabenden Deutschland 2,5 Millionen Kinder in Armut leben. Wenn ich eingedenk dieser Tatsachen resignieren will, erinnere ich mich der Worte meines Onkels, des Kesselschmieds. Und an die vielen, die in der Geschichte der Menschheit dagegen gekämpft haben, die geschlagen wurden und deren Enkel es trotzdem erneut wagten, die Geschwisterlichkeit und Gleichheit der Menschen zu erreichen. Denn viel älter als das Märchen von der durch Gott gewollten Aufteilung der Menschen in Arm und Reich, in Ausgebeutete und Ausbeuter sind die Erzählungen, Träume und Sagen vom goldenen Zeitalter der Gleichheit und Solidarität, das es einst gegeben habe. Weltweit sind sie verbreitet, in allen Kulturen und Religionen, und sie sind Zeichen der nie vergehenden Hoffnung, daß es einmal so kommen möge. Auch darüber hat Jahre später einmal mein Onkel, der Kesselschmied, mit mir gesprochen. Und er sagte dabei einen Satz, der mir jetzt gleichfalls wieder einfiel: »Bis dahin steht der Klassenkampf auf der Tagesordnung.«
Erschienen in Ossietzky 20/2006 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |