Unser Freund Marcel

Eckart Spoo

Jean Villain hat gern davon erzählt – und es auch einmal den Ossietzky -Lesern berichtet –, wie er nach dem Krieg als junger Schweizer in Israel einzelne Ausgaben der ostdeutschen Weltbühne entdeckte, sofort elektrisiert war und möglichst bald nach Berlin reiste, um an der Zeitschrift mitzuwirken. Als er DDR-Bürger werden wollte, bremste ihn Chefredakteur Hans Leonard: Mit dem Schweizer Paß habe es der Reporter leichter, viele Länder zu bereisen und kritisch über sie zu berichten.

Er konnte wunderbar erzählen. Aber er konnte auch – und das war das Geheimnis seines Erzählenkönnens – genau hinsehen, aufmerksam zuhören, intensiv nachfragen, dem Gesprächspartner ganz zugewandt, offen für Widerspruch, immer darauf bedacht, im Großen das Kleine, im Detail das Ganze, im Gegen-über sich selbst zu entdecken.

Große Tische stehen im Haus und davor auf der Terrasse – mit weitem Blick über die Uckermark. Sein Lieblingsplatz war unter dem alten Nußbaum. Von hier flogen die Gedanken um die Erde. Wie weit können die USA noch gehen? Wie lange wird Europa mitgehen? Was entwickelt sich in Lateinamerika?

In Ossietzky sah er die Weltbühne , wie er sie geliebt und zeitweilig verloren hatte. Mir wurde er zum Freund. Seine Begabung zur festen, niemals geschwätzigen Freundschaft war vielleicht das Stärkste und Schönste an ihm.

Die Ossietzky -Leser verdanken ihm neben anderen Beiträgen seine Serie über die »Wende« in der DDR – später als Buch erschienen – und als Letztes die Serie »Vor fünfzig Jahren«, von der zwei Teile erschienen sind; der dritte folgt im nächsten Heft.

Jean Villain – für seine Familie und seine Freunde Marcel – ist am 8. September in seinem Haus in Dreesch gestorben.

Sven Cavalcanti, Kondolenz (17. Oct. 2006, 01:50)

Dirgis, Re: Kondolenz (20. Oct. 2006, 23:09)

Erschienen in Ossietzky 19/2006