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Auf etwa 40 Siedlungsgebiete und Ortschaften sind die im Kosovo noch lebenden 80.000 Serben verteilt, hermetisch abgeriegelt innerhalb der albanischen Umgebung, die Mehrzahl von ihnen auf Ortschaften, Siedlungen und Klöster, die keine direkte Verbindung zu Serbien haben. Prizren. Von den früher 11.000 Serben in der jetzigen Hauptstadt der deutschen Besatzunsgzone sind, wie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Ende 2005 berichtete, 194 geblieben. Die schmale Enklave, die sich den steilen Berghang hinaufzieht, gleicht einem Ghetto. Vor ihrem einzigen Eingang an der sogenannten Flaniermeile am Fluß Prizrenska Bistrica sind gepanzerte Fahrzeuge der Bundeswehr postiert. Einlaß nur mit Passierschein, erhältlich in der Kommandantur (das Hauptquartier der deutschen K-For befindet sich in der ehemaligen Kaserne der Jugoslawischen Volksarmee), Wartezeit: bis zu mehreren Tagen. Die Bewilligung setzt voraus, daß das Interesse an einer Begehung ausreichend begründet werden kann. Auch ein hochrangiger Offizier, der die Bewachung einer nahegelegenen serbischen Klosteranlage leitet, bedauert, diese Vorschrift nicht umgehen zu können. Vorbei an Stacheldrahtabsperrungen und mehrsprachigen Schildern mit dem Hinweis, daß bei widerrechtlichem Betreten des Stadtteils ohne Vorwarnung scharf geschossen werde, gelingt uns ein kurzer Weg durch die schmalen, unbelebten Gassen des Ortes. Viele Häuser sind nur noch Ruinen; bei den Unruhen 2004 wurden weitere 55 Häuser zerstört, die deutsche Besatzungsmacht ließ es geschehen. Warum die Häuser nicht wieder aufgebaut werden, fragen wir einen deutschen Offizier. Die Antwort ist eindeutig und zynisch zugleich: Das lohne sich nicht. Das Problem werde sich von selbst lösen: Fast alle Bewohner seien alt. Keinerlei Verkehr in den winkligen Gassen, keine Geschäfte, kein Leben. Kinder oder Jugendliche scheint es hier nicht zu geben. Einer der älteren Bewohner, die wir anzusprechen versuchen, deutet warnend den Hang hinauf. Dort liegt der schwer befestigte Schießstand der Bundeswehr, von dem aus Enklave und Stadt gut zu überblicken sind. Von hier aus wurden die Kosovo-Besuche des damaligen Außenministers Fischer, der CDU-Vorsitzenden Merkel und anderer Parlamentarier bei der Truppe fotographisch dokumentiert. Ob einer von ihnen sich nach der Lage der Menschen in dem Elendsquartier, auf das sie herabblickten, erkundigt oder mit einigen von ihnen gesprochen hat? Bei ihrem Besuch der deutschen K-For-Soldaten im Feldlager Prizren am 15. Juli 2005 erteilte Angela Merkel einer Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien eine klare Absage. Ob sie sich heute als Kanzlerin noch daran erinnert? Versorgt werden die wenigen, Menschen, die hier, warum auch immer, aushalten, von Hilfsorganisationen, die auch die medizinische Betreuung übernehmen. Bei einem Besuch in der Gehörlosenschule »Nena Teresa« in Prizren, der einzigen im gesamten Kosovo, zeigt sich jedoch eine Beschränkung, die auch die Nichtregierungsorganisationen, wenn sie hier helfen wollen, akzeptieren müssen: Es gibt in der Einrichtung, die mit Spenden aus mehreren europäischen Ländern finanziert wird, keine serbischen Kinder. Jugendliche treffen wir nur in den größeren Enklaven an: im oberen durch K-For gesicherten Ortsteil von Orahovac, wo noch 500 Serben leben, und im nahegelegenen Dorf Velika Hoca. In andere, in der Umgebung liegende serbische Ortschaften kehren die geflüchteten Bewohner (vorerst?) nicht zurück. Für die schulpflichtigen Kinder gibt es wie in allen Enklaven eine Grundschule, vom serbischen Staat finanziert. Für die Weiterbildung hat die serbische Regierung Busse organisiert, die unter K-For-Begleitung in den Norden nach Kosovska-Mitrovica fahren, aus Enklaven im Osten des Kosovo ins serbische Nis. Da die Entfernungen für tägliche Hin- und Rückfahrten zu weit sind, können nur Kinder aus Familien, die über finanzielle Rücklagen verfügen oder verwandtschaftliche Kontakte zu einem der Schulorte haben, eine Oberschule besuchen. Eine Möglichkeit zu studieren gibt es für sie nur in Serbien. Die Initiative »Schüler helfen leben« hat in Orahovac zwei Begegnungsstätten für Jugendliche eingerichtet (die Fragwürdigkeit dieser von deutschen Unternehmern angeregten und von den Regierungen der Bundesländer geförderten Organisation müßte einmal gesondert dargestellt werden). Die eine der beiden liegt im serbischen, die andere im albanischen Teil des Ortes, dem heutigen Rahovec, einer Großgemeinde mit 35 Siedlungen und knapp 80.000 Einwohnern. Eine albanische Mitarbeiterin des Projekts berichtet uns, daß – mit einer Ausnahme, als einige serbische Jugendliche unter K-For Begleitung in die albanische Begegnungsstätte kamen – die serbischen Jugendlichen »ihre« Einrichtung im serbischen Teil des Ortes, die albanischen »ihre« im albanischen Teil des Ortes besuchen. Das Ziel von »Schüler helfen leben«, die Möglichkeit multikulturellen Zusammenlebens im Kosovo der Nachkriegszeit beispielhaft zu demonstrieren, sei leider gescheitert. Ihre Feststellung gilt generell im Kosovo. Die NATO hat das Gegenteil vom dem erreicht, was sie vorgab erreichen zu wollen. Geradezu grotesk wirkt ein ähnlicher Versuch in Kosovska-Mitrovica, ein von der EU finanziertes Wohnprojekt als Modell multiethnischen Zusammenlebens unter der Obhut der Besatzer. Die Alltagswirklichkeit widerlegt, was der Welt vorgeführt werden sollte. In die drei Hausblöcke wurden serbische und albanische Familien eingewiesen. Das Grundstück ist allseitig durch Stacheldrahtverhaue gesichert, die Zugänge werden durch gepanzerte Fahrzeuge der französischen K-For geschützt, Soldaten kontrollieren jeden, der ein- oder ausgeht. Ein gewöhnlicher Ehekrach in einer der Wohnungen kann Anlaß für einen militärischen Einsatz sein. Da die albanischen Familien nicht im serbischen Teil, zu dem die Mustersiedlung gehört, einkaufen oder ihre Kinder zur Schule gehen lassen und militärische Begleitung für jeden, der über die in der Nähe gelegene große Brücke – nach dem Krieg bekannt als »gefährlichste Brücke der Welt« – den Fluß Ibar in den albanischen Teil überqueren will, zu aufwendig und teuer wurde, gibt es jetzt eine Hängebrücke für die albanischen Bewohner des Projekts… In den zum Teil winzigen Enklaven leben nach der OSZE-Statistik noch zwischen sechs und 14.000 Serben. In der aus zwölf Dörfern bestehenden Enklave Strpce sind es 9.000, darunter 1.000 Vertriebene, die in ehemaligen Hotels, verlassenen Häusern, bei Verwandten oder in Gastfamilien Unterschlupf gefunden haben. Der Ort liegt im ehemaligen Nationalpark Jugoslawiens an der Grenze zu Mazedonien, in einzigartiger Hochgebirgslandschaft, früher ein Touristenzentrum, heute abgeschnitten inmitten albanischer Gebiete, nur erreichbar über die Straße von Prizren Richtung Skopje. Die üblichen Schutzmaßnahmen, Stacheldraht und Panzer. Zuständig ist hier russische K-For, die auch die dann und wann nach Serbien fahrenden Busse begleitet. Die Fahrten sind seltener geworden, weil die Konvois trotz der militärischen Sicherung immer wieder aus Hinterhalten beschossen werden (es gab schon Tote) – ein Problem vor allem für Jugendliche, für die die Isolierung unerträglich ist. Mehrere Hilfsorganisationen, darunter – in Zusammenarbeit mit dem deutschen – auch das serbische Rote Kreuz, versorgen die Bevölkerung mit Lebensmitteln und Hygienepaketen, Öfen und Heizmaterial, unterhalten notdürftig eine Klinik und eine Ambulanz. Eine Gruppe der Hilfsbedürftigen sind geflohene Roma. Besonders schwer ist die Lage der Eingeschlossenen in den hier oben sehr strengen Wintern, wenn zum Mangel an Heizmaterial die regelmäßigen Stromabschaltungen kommen. Und: kaum Arbeit. Tourismus findet nicht mehr statt, die Hotels sind zu Notunterkünften geworden. Was aus den Industriebetrieben wird, die Sportartikel hergestellt haben, weiß niemand. Die Arbeit auf den Feldern des umliegenden Berglands ist wegen häufiger Überfälle nur eingeschränkt möglich. Viele resignieren, versuchen zu verkaufen, soweit Besitz da ist (entwertet durch den Status quo). Mehr und mehr Jugendliche setzen sich ab, Richtung Serbien oder EU. Das Überleben derer, die trotz allem nicht aufgeben, hängt vom Schutz der Macht ab, die sie in diese Lage gebracht hat, der NATO und in ihrem Gefolge der UNMIK (United Nations Interim Administration Mission in Kosovo). Nichts deutet darauf hin, daß die Verhandlungen, die seit Februar dieses Jahres in Wien geführt werden, zu einem Ergebnis führen. Es wird von den Siegermächten diktiert werden. Welche »Lösung« auch immer eines Tages präsentiert wird, eine menschliche wird es kaum sein. Der erste Teil dieses Berichts erschien in Ossietzky 17/06. Die Sammlung für den Berliner Heinrich-Heine-Preis hat bisher 35.636 Euro (Kontostand vom 18. September) erbracht. Die Initiatoren bitten um weitere Beiträge auf das Treuhandkonto Rolf Becker/Berliner Heine-Preis, Hamburger Sparkasse, Bankleitzahl 20050550, Kontonummer 1001212180, damit bald die angestrebten 50.000 Euro zusammenkommen. Peter Handke, dem der Preis zugedacht ist, will das Preisgeld dann gemeinsam mit Rolf Becker, Käthe Reichel und Eckart Spoo in die Enklaven bringen. Red.
Erschienen in Ossietzky 19/2006 |
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