Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Ottokar, der SpielverderberRalph Hartmann Ottokar ist ausgezeichnet worden. Vom Bundespräsidenten mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Stimmt das? Nicht ganz: Ausgezeichnet wurde Otto Häuser, der Schöpfer der Figur des Schülers Ottokar. Aber der Schriftsteller machte sich diesen Vornamen zu eigen, fügte die Übersetzung seines Familiennamens ins Slawische hinzu und schrieb fortan unter dem Pseudonym »Ottokar Doma«. Die Ehrung rief, schon als sie angekündigt wurde, allgemeine Verwunderung hervor, war doch der mittlerweile 82jährige Autor im Osten Deutschlands Neulehrer an einer Dorfschule, Schuldirektor, Redakteur der Lehrerzeitung, »Verdienter Lehrer des Volkes« und 25 lange Jahre Leiter der Abteilung Volksbildung in der Redaktion des Neuen Deutschlands (ND) , Zentralorgan des Zentralkomitees der SED. Doch er war auch ein bekannter DDR-Schriftsteller, selbst wenn nur wenige seinen bürgerlichen Namen kannten. Als Ottokar Doma schrieb er nahezu ein Dutzend Bücher, deren Hauptheld, der ständig zwölf Jahre jung bleibende pfiffige Schüler Ottokar, die Stärken und Schwächen der Erwachsenen, vor allem des Schuldirektors Keiler, des Klassenleiters Burschelmann und des Pilei (Pionierleiters) Alfons treffend und humorvoll aufs Korn nahm, die Leser zum Lachen brachte und zum Nachdenken anregte. In der DDR kannte ihn nahezu jeder, dessen Kinder zur Schule gingen; letztere verschlangen seine Bücher. Neudeutsch würde man sagen: Ottokar war Kult. Das erste Buch erschien 1967 unter dem Titel »Der brave Schüler Ottokar«, später folgten unter anderen »Ottokar, das Früchtchen«, »Ottokar, der Weltverbesserer«, »Ottokar, der Gerechte« und nach dem Untergang der DDR »Ottokar, die Spottdrossel«. Nun also verlieh ihm Bundespräsident Horst Köhler, der große Freund der Jugend und Schüler, das Bundesverdienstkreuz, denn, so die Begründung, der Autor habe mit dem Schüler Ottokar eine Figur geschaffen, die ein Millionenpublikum begeisterte. Vor allem die ostdeutschen Blätter, Rundfunk- und Fernsehsender waren des Lobes über den Auszuzeichnenden voll und sahen dem Auszeichnungsakt erwartungsvoll entgegen. Doch als dieser stattfand, teilte dpa in einer dürren Meldung lediglich mit, der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck habe den hohen Orden in Potsdam überreicht und der Geehrte sich verwundert gezeigt: Schließlich sei die Figur des Schülers »ohne das Volksbildungssystem der DDR undenkbar gewesen«. Die meisten Medien meldeten nicht einmal das. Im Blätterwald regte sich kaum ein Hauch, der lauten Ankündigung der Auszeichnung folgte auffälliges Schweigen. Die kurze Dankesrede, die Otto Häuser wie bei solchen Anlässen üblich während der kleinen, aber feierlichen Zeremonie gehalten hatte, war so ungewöhnlich, daß sie, außer im ND , totgeschwiegen wurde. Häuser zeigte sich über die Auszeichnung tatsächlich verwundert, aber aus einem anderen Grunde als dem gemeldeten, nämlich »deshalb, weil mein schriftstellerisches und berufliches Werden und Wirken unmittelbar mit dem Volksbildungssystem der DDR verbunden waren«. Und dann folgten Sätze, die wiederum den brandenburgischen Premier und ehemaligen SPD-Vorsitzenden dermaßen verwunderten, daß sie selbst in die ausführliche Pressemitteilung seiner Staatskanzlei keinen Eingang fanden. Gerade deshalb verdienen sie, ausführlich zitiert zu werden. Der Verdienstkreuzträger erklärte: »Es ist oftmals so, daß sich die Vor- und Nachteile eines Bildungssystems erst nach einem größeren zeitlichen Abstand offenbaren. Das Bildungssystem der DDR zeichnete sich – und das ist unstrittig – wohl durch ein deutliches Mehr an Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit aus. Ich weiß nicht, ob alle meine kleinen Helden, insbesondere diejenigen, die aus Bauern- oder Arbeiterfamilien kommen..., im heutigen Schulsystem die gleichen Chancen auf einen höheren Schulabschluß hätten. Aus diesem Grunde betrachte ich diese Auszeichnung auch als Anerkennung für die schwierige und mitunter nervenaufreibende Arbeit Tausender Lehrer und Pädagogen, die sie zu DDR-Zeiten... geleistet haben und noch heute leisten. Oftmals werde ich gefragt, was ich denn von dem jetzigen Schul- und Bildungssystem halte?... Ich glaube, das heutige Bildungssystem bedarf einer Kompanie von Satirikern, um all die Widersprüche, Ungerechtigkeiten und Unzulänglichkeiten aufzuspießen.« Schließlich, und damit brachte er das Faß des Undankes zum Überlaufen, gedachte der betagte Autor »in Dankbarkeit« auch seiner Kollegen aus dem Schriftstellerverband der DDR, die »eine Literatur schufen, die von Humanismus, Gerechtigkeit und intellektueller Tiefe geprägt war, und die wohl noch viel eher eine solche Würdigung für ihr Gesamtschaffen verdient hätten«. Impertinente »DDR-Nostalgie«, nicht wahr? Wen kann es da noch verwundern, daß die Berichterstatter zu Berichtsverweigerern wurden? Das kleine Ereignis einer Ordensübergabe veranschaulichte, mit welch hohem Maß an Verantwortungsgefühl so manche bundesdeutsche Journalisten zu Werke gehen – in einer Zeit, in der die »Aufarbeitung des DDR-Alltages« auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Schon die breite Ankündigung der Ordensvergabe an den populären Vater des Ottokar hatte den Eindruck vermittelt, daß mit der Auszeichnung weniger der Ausgezeichnete als vielmehr der Auszeichnende geehrt werden sollte. Seht her, der Präsident aller Deutschen würdigt auch die Leistungen der Ostdeutschen! Vorausgesetzt, sie zeigen sich dankbar und ausreichend wendehalsig. Der Ausgezeichnete hat dieses Spiel nicht mitgemacht. Es ist schon ein (Bundesverdienst-) Kreuz mit den Ossis. Zuweilen sind sie richtige Spielverderber. Und das wäre eigentlich ein neuer Titel für Otto Häusers Reihe: »Ottokar, der Spielverderber«.
Erschienen in Ossietzky 18/2006 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |