Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. BrechtfestJochanan Trilse-Finkelstein Am Brecht-Platz hingen Brecht-Verse, Sprüche, Fotos rundum, und in der Mitte stand eine Art Monument des Stückeschreibers und Versemachers, Frauenfreundes und Philosophen, des Weltdenkers und -dichters vom Szenografen Karl-Ernst Herrmann. Ein lustiges Monument. Dazu erklangen die alten Brecht-Klassiker von Weill und Eisler, die Stimme von BB, das Jahrhundertgedicht »An die Nachgeborenen«. Eine festliche Atmosphäre. Drei Wochen lang. Eingedenken zum 50. Todestag am 14. August. Die kaum zählbaren, vielfach zeitgleichen Veranstaltungen – von Kolloquien bis zu Liederabenden – konnte auch der stärkste, zäheste Nachtarbeiter nicht bewältigen. Zum breiten Spektrum der Mitwirkenden gehörte sogar ein Boxer, Markus Beyer – nun ja, BB hatte dem Boxsport etwas abgewonnen. Die Politik, dem Dichter früher wenig gewogen, war durch den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, der sich selbst, durch Wahlkampf nicht abhalten ließ (oder nutzte er den Auftritt gar?), Gysi, Lafontaine, Lötzsch (Die Linke/PDS), Scheer, Schreiner SPD), Trittin (Grüne), Blüm (CDU) und Geis (CSU) vertreten; ein Antikapitalist mit kommunistischen Überzeugungen erwies sich nun als zitierfähig, ja nutzfähig für Politiker aller Fraktionen. Schriftsteller wie Turrini und Kroetz nahmen teil, am eindrucksvollsten Semprún, dessen Stück »Gurs« an politische Kämpfe des 20. Jahrhunderts, an Exil, Lager und Widerstand und an die Shoah erinnerte, inszeniert vom Nationaltheater Nizza. Sänger und Musiker wie Max Raabe, Georgette Dee und die hinreißende Milva. Schließlich die Schauspieler von Therese Affolter und Carmen-Maja Antoni bis Angela Winkler, Wiederbegegnungen mit der unverwüstlichen Gisela May, deren eigener Abend den Titel »Das Harte unterliegt« hatte, mit Regine Lutz und Käthe Reichel, die noch an BB selbst anknüpfen konnten. Lebendige Tradition! Josef Bierbichler, der Bayer, der Brechts Tonfall so treffend beherrscht, herausragend im »Eislermaterial«; Volker Spengler, der Meisterschüler des Meisterschülers Palitzsch (»Das Leben ist scheen«), Walter Schmidinger (»Ich habe lange die Wahrheit gesucht«). Und mehrfach Manfred Karge, auch als Regisseur. Was aber mochte den berühmten Szenografen Achim Freyer bewogen haben, diesen Abend »Wenn du einem toten Hund begegnest oder Die Probe" mit seinem Ensemble zu arrangieren? Zeichnungen und Worte aus Proben zu Brechts Stücken und Inszenierungen sind in eine undeutliche Folge gebracht – das verstehe, wer will. Ich habe noch die Brecht-Inszenierungen seiner Jahre von 1949 bis 1956 gesehen, fast alle im Berliner Ensemble, und etliche von Freyers schönsten Arbeiten, habe vieles noch in Erinnerung. Wie mochte es anderen Zuschauern ergehen? Brechts Werk als Bild fragmentiert, sein Text zerstammelt auf Wörter. Das hatte nicht einmal Witz, geschweige denn Ernst. Meisterlich hingegen »Eislermaterial« mit Heiner Goebbels und dem Ensemble Modern und Bierbichler, der nicht singen kann, aber das Singen spielt. Das Urmaterial des Abends bot »Anmut sparet nicht noch Mühe« in der Vertonung Hanns Eislers, bekannt unter dem Titel »Kinderhymne«, gedacht als Nationalhymne, die sie leider nie geworden. Was das Ensemble aus diesen Ur-Motiven, in die anderes von Eisler einfloß, gemacht hatte, war überzeugend und sternenklar – eine Sternstunde des Hörens! Musikalisch kam da noch das »MutterOrchester« von Michael Gross heran (eigens für die Peymann-Inszenierung der »Mutter« 2002 gegründetes Ensemble) – da eislerte es auch recht frohgemut. Auffällig das Ausgraben und Vorführen früher Stücke sowie die Konzentration auf Lehrstücke. Das Fragment »Hans im Glück« (frz. »Jean la Chance«) kam mit dem Théàtre des Treize Vents aus Montpellier. Den Märchenhelden spielte David Ayala. So frisch wie markant, daß das Thema des Tausches (alles, sogar Freundschaft wird zur Ware) erkennbar wird, das tragische Ende ist angedeutet. Der antikapitalistische Brecht, eben noch Bürgersohn, zeigte seine Krallen der Erkenntnis- und der Darstellungsfähigkeit. Im gleichen Jahr 1919 entstand »Die Kleinbürgerhochzeit«, die in Philip Tiedemanns Inszenierung schon 68mal am BE gelaufen ist. Die Hochzeit geht schief, die Bühne steht schief. Lob für die Technik! Ab 1924 arbeitete Brecht an dem Lustspiel »Mann ist Mann«, jetzt von Karge im BE inszeniert. 1967 kam das schon klassisch gewordene Stück von der Umwandlung eines Arbeiters zum Soldaten, zur lebenden »Kampfmaschine«, in einer Inszenierung von Uta Birnbaum mit Hilmar Thate, im Großen Haus zu erheblicher Wirkung. Ähnliches erreichte Karge auf einem kleinen, spärlichst ausgestatteten Podium. Wie Marx einst im »Kapital« einen Raubtier-Kapitalismus beschrieb, der heute so funktioniert, so erahnte der junge Dichter Brecht die imperialistischen Kriege von heute. Das Stück spielt beinahe am Hindukusch. Sabine Wüsthoff und Frank-Patrick Steckel präsentierten das 1929/30 entstandene »Lehrstück« (Urfassung des »Badener Lehrstücks vom Einverständnis«), das von Größe und Grenzen des technischen Fortschritts handelt: Haben uns Wissenschaft und Technik auch soziale Verbesserung gebracht? Fast schon das Galilei-Thema. Der Kubaner Carlos Farinas hat eine neue Musik komponiert. »Der Jasager & der Neinsager« wurden hier erst zum zweitenmal gemeinsam aufgeführt. Kurt Weill hatte nur den »Jasager« komponiert, war nach dem Debakel der Uraufführung 1930 nicht bereit, den »Neinsager« zu komponieren. Das tat erst 60 Jahre später Rainer Bredemeyer, 1994 gab es die Uraufführung beider Stücke, so wie es Brecht gewollt hatte, und 2006 beim Kurt-Weill-Fest in Dessau endlich als »Schuloper« nach Brechts Absicht in der Regie von Silke Wallstein. »Leben des Galilei« (begonnen 1938) kam zweimal: aus Oberhausen und aus Tokio. Auch wenn man nicht Japanisch verstand: die berühmten Sätze von der Wahrheit, von der nur so viel durchzusetzen sei, wie wir durchsetzen, kamen klar durch das Theatron. Eine beglückend klare Inszenierung. »Mutter Courage« aus Zagreb in kroatischer Sprache wurde vom Theater »Komedija« schnell, leicht und doch ernst, mitunter dramatisch zuspitzend gespielt. Der kräftig veränderte Schluß hatte appellative politische Wirkung. Auffällig war, daß ehrwürdige Stücke von drei bis vier Stunden Spieldauer hier meist auf 90 bis 120 Minuten gekürzt waren. Da entfiel auch Substanz. Doch einen Vorteil hat die Kürze: Sie ermöglicht Konzentration auf wesentliche, gesellschaftliche und politische Fragen, Individuelles mitunter hinter sich lassend. Brechts Figuren sind ohnedies stark, wie sich im Volksstück »Herr Puntila und sein Knecht Matti« (1940/41) vom Theater Lindenhof aus Melchingen bestätigte. Das Schärfste an politischem Theater kam aus Barcelona, vom Teatre Lliure (Freies Theater) mit der »Heiligen Johanna der Schlachthöfe« in Katalanisch. Antiimperialistisch durch und durch. Regisseur Alex Rigola hat das äußerste riskiert und gewonnen. Manche in Berlin ansässige Bühnen fördern Konfusion und Aussichtlosigkeit, hier stehen klare politische Ziele. Die Aussagen der Kunst stimmen, werden Politik und bleiben Kunst. Zwei altgediente Kritiker kamen ins Gespräch: der 82jährige Günther Rühle und der 85jährige Ernst Schumacher. Rühle fand ein wichtiges Stichwort: die »Veränderung« als zentrale Kategorie von BB. Schumacher kam dadurch in sein richtiges Fahrwasser. Er konkretisierte die Veränderung aus seiner Brecht-Bekanntschaft wie aus seiner politischen und Lebenserfahrung: Wie Brecht mit seinem Theater auch Menschen und die alte Gesellschaft verändern wollte. Das Thema guthin. Es war das Thema des Brecht-Festes. Es war zunehmend das Thema auf den Bühnen, das Thema der besten hier auftretenden Gruppen, deren Theater im besten Sinne politisch war – auf Veränderung gerichtet.
Erschienen in Ossietzky 18/2006 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |