Rußlands neue Opposition

Sergej Guk

Ende August hat sich auf der trostlosen russischen Politszene plötzlich etwas bewegt. Eine neue, frische Kraft ist hereingestürmt und will als oppositionell verstanden werden. Das Wort »neu« gilt hier jedoch nur bedingt. Die Partei ist als Produkt der Fusion von drei an Bedeutungslosigkeit grenzenden politischen Organisationen entstanden: der »Partei des Lebens«, der »Heimat« und der »Rentnerpartei«. Die letztgenannte – mit einem Mann an der Spitze, der vom Rentenalter so weit entfernt ist, daß er eher in eine Jugendorganisation passen würde – ist noch bei keiner Wahl über ein Prozent der Stimmen hinausgekommen. Durch welche politischen Aktivitäten sich diese mehr auf dem Papier existierende Vereinigung je auszeichnet hat, ist mir nicht bekannt. »Heimat« (von bösen Zungen »Verband der Heimatlosen« getauft) hat zwar eine kleine Fraktion in der Duma, ist aber gespalten und mit tiefgreifenden inneren Machtkämpfen beschäftigt. Die erste der drei genannten Parteien, die sich einer stabilen Wählerschaft knapp über einem Prozent rühmen kann, ist folglich die tragende. Sie wird vom Präsidenten des Föderationsrats (der ersten Kammer des Parlaments), Sergej Mironow, geleitet, der das Ruder der Fusionierten fest in der Hand halten wird.

Neugierige Journalisten wollten sofort wissen, gegen wen dieser Mann opponieren will, der in der Hierarchie der russischen Staatsmacht verfassungsgemäß an dritter Stelle steht. Mironow machte keinen Hehl daraus: Er werde sich als linke Opposition verstehen und gleichzeitig Putin unterstützten. Allerdings ließ er ungeklärt, wie man zwei Pole auf einen Punkt bringen kann. Aber eigentlich hat das auch niemand von ihm erwartet.

Mironow kündigte an, er werde seine neue Partei zur stärksten machen und zu diesem Zweck der vom Kreml begünstigten Partei »Einheitliches Rußland« Stimmen abjagen. Manche Kommentatoren schrieben Mironow daraufhin einen Münchhausen-Komplex zu. Aber so harmlos, so erheiternd ist die Sache nicht.

Der stellvertretende Direktor der präsidialen Administration, Vladislav Surkow, der die Polit-Puppen tanzen läßt, hat mehrmals unzweideutig gesagt, der Kreml brauche ein zweites Bein. Für die linke Seite. Sonst werde jemand anderer die Stimmen der KP-Anhänger sammeln, die, von der Tatenlosigkeit enttäuscht und von den endlosen Machtkämpfen der Parteioberen ermattet, scharenweise die KPRF verlassen. Die neue »Partei der Gerechtigkeit« könne auch für die Leute attraktiv werden, die sich von den Oligarchen ausgeraubt fühlen. Mit der Zeit, so will es die Obrigkeit, soll sich in Rußland ein Zweiparteiensystem etablieren. Scheindemokratie par exzellence wie in den USA.

Wird eine solche Untertänigkeit gegenüber Putin der neuen Partei nicht schaden? Im Gegenteil, behaupten Kenner der Politszene. Putin hat heutzutage rund 70 Prozent der Wählerschaft hinter sich. Einen Teil seiner Fans kann man – besonders mit Hilfe der administrativen, medialen und finanziellen Ressourcen – vom »Einheitlichen Rußland« abspalten. Das Programm der neugegründeten Partei, die dem Kreml sicher nicht ernsthaft in die Quere kommen wird, ist bislang unbekannt. Offensichtlich ist es noch gar nicht geschrieben, weil es Wichtigeres zu erledigen gab: vor allem Parteiämter zu verteilen. Für gerissene Politiker ist es im Prinzip unwichtig, wo sie – links, rechts oder in der Mitte – eingeordnet werden oder sich einordnen. Hauptsache, sie geraten nicht ins politische Jenseits.

So baut man heutzutage in Rußland eine parlamentarische Opposition auf.

Erschienen in Ossietzky 18/2006