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Wer im öffentlichen Dienst unterkommen oder es an den Universitäten zu etwas bringen wollte, für den war es ratsam, seine Neugier zu zügeln. Es bürgerte sich ein, bestimmte Fragen nicht mehr zu stellen und beispielsweise über die klassengesellschaftliche Realität zu schweigen. Viele überlegten sich fortan genau, was sie sagten oder besser nicht sagten, und reagierten ähnlich wie Pfarrer Weidig bei der Herausgabe von Georg Büchners »Hessischem Landboten«, der das Wort »Reiche« durch »Vornehme« ersetzte. So hatten die Hofnarren des Kapitalismus seit den späten 70er Jahren ein leichtes Spiel, wenn sie immer mal wieder verkündeten, daß »wir in der Bundesrepublik jenseits der Klassengesellschaft” (Ulrich Beck) lebten oder daß Fiktion und Realität, Wahrheit und Illusion ununterscheidbar geworden seien, wie es in den Katechismen der postmodernistischen Gegenaufklärung hieß. Doch die Zeiten haben sich geändert: Während es fast zu einem geflügelten Wort geworden ist, daß »Marx tot« sei, und auch die Repräsentanten der Schrumpfform einer ehemaligen »Kritischen Theorie« sich nicht mehr vorzustellen vermögen, wie »Marx in den aktuellen Debatten noch eine Rolle spielen könnte« (Axel Honneth), ist – nicht nur – bei Jüngeren der Marxismus wieder im Gespräch. Es bleibt nicht verborgen, daß Marx' Kapitalismuskritik ungebrochen aktuell ist und seine Analysen des Kapitalismus als System der Krisen und zivilisatorischer Regressionen von der realen Entwicklung nicht nur bestätigt, sondern tagtäglich übertroffen werden. Wer nicht mit ideologischer Blindheit geschlagen ist, sieht jetzt, daß der Kapitalismus aggressive Ausdehnungsstrategien braucht und deshalb in die Katastrophe führt. Wer diesen Prozeß zunehmender sozialer Selbstzerstörung verstehen will, kommt am Marxismus kaum vorbei. Und die Zahl derer wächst, die ein Bedürfnis nach schonungsloser Aufklärung über die gesellschaftlichen Zustände verspüren. Selbst die schwachen Konturen einer neuen Kultur widerständigen Denkens machen die Gesinnungsbürokraten nervös, so daß sie es als notwendig erachten, neue Verteidigungslinien aufzubauen. Ein Beispiel: Seit einiger Zeit weigert sich die Verwertungsgesellschaft Wort (die urheberrechtliche Ansprüche von Autoren wahrnimmt), den wissenschaftlichen Charakter der Marxistischen Blätter anzuerkennen, die seit 1963 existieren und mittlerweile die auflagenstärkste linke Theoriezeitschrift in der BRD sind. Das kann nur mit der Absicht erklärt werden, jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die es an anti-marxistischen Reflexen fehlen lassen, deutlich zu machen, daß sie sich jenseits der Grenze des legitimen Wissens bewegen. Trotz ihrer Dürftigkeit sind die Argumente der VG-Wort-Bürokraten aufschlußreich: Der wissenschaftliche Charakter der Zeitschrift sei in Frage zu stellen, weil sie »Themen aus allen gesellschaftlichen Bereichen« behandele. Ein wissenschaftliches Publikationsorgan sei jedoch dadurch zu definieren, daß es sich auf ein »spezielles Gebiet« beschränke und der »beruflichen Information und Fortbildung einer eindeutig definierbaren, nach fachlichen Kriterien abgrenzbaren Zielgruppe« diene. Die Botschaft ist eindeutig: »Wissenschaft« soll den Horizont von Fachidiotentum nicht überschreiten, damit ein umfassender Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse vermieden wird. Denn die wechselseitige Bedingtheit von Kapitalismus und Aggressionsstrategien, sozialen Spaltungsprozessen und zivilisatorischen Verfallserscheinungen zu begreifen, also den sozialen Zusammenhang zu thematisieren, bedeutet natürlich auch, den Ursachen der gesellschaftlichen Widerspruchsdynamik theoretisch auf den Grund gehen: Ideologische Schleier werden zerrissen, wenn das üblicherweise Verschwiegene thematisiert und Herrschaftsmechanismen konkret benannt werden. Warum die machtkonforme Wissenschaft am Schubladendenken festhält, hat Marx in einem Brief an Kugelmann prägnant ausgedrückt: Es ist »absolutes Interesse der herrschenden Klassen, die gedankenlose Konfusion zu verewigen«. Dazu ist es notwendig, Methoden zu tabuisieren, die Ursache- und Wirkungsverhältnisse erfassen können. Denn »mit der Einsicht in den Zusammenhang ... [würde] vor dem praktischen Zusammensturz aller theoretische Glauben in die permanente Notwendigkeit der bestehenden Zustände« zusammenstürzen. Die Sorge der VG-Wort-Exekutoren ist nachvollziehbar: Wenn diese Selbstbeschränkung eines isolierenden, den Zusammenhang aussparenden Blicks (die immer noch das prägende Moment herrschender Wissenschaft ist) nicht eingehalten wird, kann das Wissen praktisch werden, also emanzipatorischen Interessen dienen – gerade auch im Sinne beruflicher Information und Fortbildung. Wo kämen wir aber hin, wenn Lehrer, Gewerkschafter, Wissenschaftler, Literaten, Künstler, gar Theologen und dazu möglicherweise noch »einfache Leute« sich jenseits des herrschenden ideologischen Blendwerks umfassend über ihre sozialen Verhältnisse informierten und entfetischisiertes Wissen über den klassengeprägten Charakter unserer Gesellschaft sich aneigneten, um auf dieser Grundlage nach den Ursachen von Reichtum und Armut sowie nach der herrschenden Fremdbestimmung und den Perspektiven der Emanzipation zu fragen? Den Marxisten sollte es zur Genugtuung gereichen, daß ihnen eine relevante Aufklärungswirkung wieder zugetraut wird. Ein Skandal bleibt die Vorgehensweise der VG-Wort-Bürokraten trotzdem. Werner Seppmann ist Mitherausgeber der Marxistischen Blätter und Vorsitzender der Marx-Engels-Stiftung in Wuppertal
Erschienen in Ossietzky 17/2006 |
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