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In der guten alten Zeit, als der berüchtigte »Otto-Katalog« zur vollständigen Überwachung des Sicherheitsrisikos Staatsbürger noch nicht ausgedruckt, sondern nur Wahn- und Wunschvorstellung des Innenministers Otto Schily und Konsorten war – genauer gesagt am 10. Februar 2000 –, hatte mir die Deutsche Telekom AG ohne Vorwarnung aus heiterem Himmel das heimische Telefon gekappt. Weil ich mich auf Tournee befand, war unserem Sekretär nichts anderes übriggeblieben, als mich von der nächsten Telefonzelle aus über den bedauerlichen Umstand zu informieren, daß zwar Anrufe im Büro ankamen, ausgehende Gespräche aber nicht mehr möglich waren. Eine mißliche Situation für unseren Gastspielbetrieb, der auf engen und notfalls sehr schnellen Kontakt mit Veranstaltern, Hotels und auch mit dem fahrenden Sänger selbst angewiesen ist. Meine post- beziehungsweise mobiltelefonwendende Reklamation bei der Störungsstelle brachte Klarheit: Nein, es handele sich keinesfalls um eine technische Panne. Man habe vielmehr unsere Anschlüsse bewußt gesperrt, weil die Telefonrechnung nicht bezahlt worden sei, was bekanntermaßen das größte Verbrechen ist, das auf dem Erdenrund vorkommt. Der Hinweis, daß dies nicht möglich sein könne, da das ehrenwerte Kommunikationsunternehmen Telekom seit Jahren im Besitz einer von mir erteilten Abbuchungsgenehmigung sei und sie stets auch weidlich genutzt habe, half genauso wenig wie meine Beteuerung, bisher noch gar keine Rechnung für den fraglichen Zeitraum erhalten zu haben. »Wir müssen das alles erst mal überprüfen, und eine Schaltung ist überhaupt erst wieder nach dem Wochenende möglich.« Da hatte ich Trottel just am Tage zuvor im hochwassergeplagten Hamburg eine Vorstellung für die Deutsche Postgewerkschaft absolviert und bei dieser Gelegenheit die Kolleginnen und Kollegen tüchtig dazu aufgehetzt, sich gegen Lohnkürzungen, Entlassungen und Arbeitszeitverlängerung zu wehren! Jetzt schlug das auf mich zurück. Nach fünf Tagen Sperre funktionierte das Telefon glücklicherweise wieder. Die Telekom hatte ihren Fehler wohl eingesehen und korrigiert, allerdings leider ohne jeden Versuch einer noch so lahmen Entschuldigung. Die reklamierte Telefonrechnung gelangte geraume Zeit später doch noch in meinen Besitz. Allerdings nicht von der Telekom – die hatte kommentarlos von meinem Konto abgebucht –, sondern über den Umweg einer Quelle, die ich hier nicht zu nennen vermag. Adressat des Zahlungsbescheids war ja auch gar nicht ich als Anschluß-Inhaber, sondern laut Ausdruck der Rechnungsstelle ein »Herr X, Herrenstraße 1, 30159 Hannover«, dem die Telekom der Vollständigkeit halber auch noch meinen Einzelverbindungsnachweis beigelegt hatte, die Auflistung also aller von unseren Telefonen aus gewählten Verbindungen, jeweils mit Datum, Uhrzeit, Gesprächsdauer und Telefonnummer des Angerufenen. Nun ist mir ein Herr X unbekannt, schon gar nicht habe ich ihn bevollmächtigt, sich um meine Telefonate zu kümmern. Die Herrenstraße dagegen kenne ich als gelernter Hannoveraner natürlich. Sie führt in der Innenstadt an der Rückfront eines großen Polizeikomplexes entlang. Neugierig geworden bin ich dann bald mal hingegangen, um zu sehen, in welcher Etage des Hauses Nummer eins Herr X nun wohnt. Vielleicht könnte ich bei ihm klingeln und ihn bitten, zukünftig postalische Irrläufer direkt an mich weiterzuleiten? Zu meiner Überraschung stellte ich fest, daß die Herrenstraße nicht wie üblich mit der Eins beginnt, sondern erst mit »3–5«. Die Nummer Eins gab es nicht. Dort, wo man das gesuchte Gebäude hätte vermuten können, trutzte einzig ein abweisendes stählernes Rolltor, mit Kameras und einem Nummerncodeschloß bestückt. Keine Hausnummer, keine Firmentafel, geschweige denn ein Klingelschild, etwa »Herr X, 2mal läuten«. Nun, es gab ja Freunde und Helfer – nämlich im 70 Meter entfernten Polizeirevier. »Können Sie mir bitte sagen, wo ich das Haus Herrenstraße Nummer Eins finde?« – »Da fragen Sie mich aber auch ... Heinz, weißt Du was darüber?« Niemand wußte nix. Schließlich fand sich einer der Kollegen bereit: »Ich rufe mal an ...« – Wo auch immer, jedenfalls kam er mit der Antwort zurück: »Das ist ein unbewohntes Gebäude.« – Klar, Herr X wohnt in einem unbewohnten Gebäude. Da kann ihm die Telekom zehnmal meine Einzelverbindungsnachweise schicken. Das kratzt den überhaupt nicht. Später erfuhr ich aus verläßlicher Quelle, daß sich hinter der Adresse »Herrenstraße 1« die Zentrale einer mächtigen Institution verbirgt, die in Niedersachsen nicht »Staatssicherheit« heißt, sondern »Staatsschutz«. Also nicht Stasi, korrekterweise: Staschu. Da wundert sich der Fachmann keinesfalls über Irrläufer. Verblüfft war ich dennoch ein wenig. Schon 1983 hatte ich nämlich nachweisen können, jahrelang von gleich vier verschiedenen (bundesdeutschen) Diensten bespitzelt worden zu sein, und ein Gerichtsurteil erwirkt, das meinem Vater (Staat) verbot, die rechts- und verfassungswidrige Observation und Datenspeicherung fortzusetzen. Ich bin seitdem vermutlich der einzige Bundesbürger, der es amtlich hat, kein Spion oder Terrorist zu sein. So ein Papier besitzt meines Wissens nicht einmal Herr Dr. Schäuble. – Jetzt, fast zwei Jahrzehnte später, war trotz rechtskräftiger Verurteilung Vater wieder dabei zu schnüffeln. Ich habe die Sache »X« schulterzuckend zu den Akten gelegt, gleich neben das o. a. Urteil (AZ 10 VG A 186/83). Das Gefühl, überwacht zu werden, ist für einen Satiriker hierzulande längst nichts Besonderes mehr. An sich hätte ich die sechs Jahre alte Geschichte heute nicht wieder angefaßt, wenn nicht gegenwärtig – wenn auch mit abnehmender Tendenz – ein Thema durch die Medien ginge: die Bespitzelung von Journalisten. Nicht so wild natürlich alles. Bedauerliche Einzelfälle, hörte man aus dem Bundestag. (Eine Ausnahme: Max Stadler MdB in Ossietzky 13/06 . ) Denn natürlich herrschen grundsätzlich bei uns Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit. In Erfüllung meiner staatsbürgerlichen Pflicht, zur Wahrheitsfindung beizutragen, habe ich folglich Ende Mai nun doch noch einen Brief an den Vorstand der Deutschen Telekom AG geschrieben, mit der dringenden Bitte um Aufklärung, ob, wann, warum und auf welcher gesetzlichen Grundlage das Unternehmen persönliche Daten über mich ohne meine Kenntnis, geschweige denn Einwilligung an Dritte weitergegeben habe. Rasch erhielt ich Antwort in Form eines offensichtlich vorgefertigten Standard-Briefs. (Ich scheine also nicht der einzige einschlägige Beschwerdeführer zu sein.) Darin ist penibel aufgelistet, an welche Telefonbuch-Verlage, Abrechnungsstellen oder andere Kommunikationsunternehmen Daten weitergegeben werden müßten. Herr X in der hannöverschen Herrenstraße wird nicht erwähnt. Ich bin in solche Fällen hartnäckig und schrieb zurück: »Vielen Dank für Ihre ausführliche Stellungnahme. Mein Schreiben bezog sich keinesfalls auf die von Ihnen geschilderten Tatbestände. Sie werden von mir auch nicht beanstandet. Ich meine andere, darüber hinausgehende, gesetzlich nicht gedeckte Weitergabe von Daten. – Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Im Januar 2000 hat Ihr Haus unter dem Zeichen 783/1 G 2/0000277/04//22769 meine Telefonrechnung mit der Nr. 9675f203979 sowie die dazugehörigen Einzelverbindungsnachweise an ›Herrn X, Herrenstr. 1, 30159 Hannover‹ ohne meine Einwilligung weitergegeben. Das entsprechende Papier liegt mir im Original vor. Ich bitte hier, wie in allen anderen Fällen, dringend um Aufklärung. Mit freundlichen Grüßen...« Die Antwort auf mein Schreiben vom 15. Juni kam schneller als erwartet: laut Briefkopf der Telekom vorauseilend schon am 7. Juni (!): »Eine Überprüfung [...] hat ergeben, daß für Ihren Anschluß eine fehlerhafte ›Postanschrift‹ hinterlegt war, nämlich die einer unserer Vermittlungsstellen [...]. Unter dieser fehlerhaft hinterlegten Anschrift befindet sich ausschließliche eine Vermittlungsstelle unseres Unternehmens, so daß eine unbefugte Kenntnisnahme durch Dritte auszuschließen ist ... Wir bedauern ...« usw. usw. Ich habe mich daraufhin höflich für die große Sorgfalt bedankt, mit der sich die Telekom AG meines läppischen Problems angenommen habe, jedoch um Verständnis dafür gebeten, daß ich nun doch – wissenschaftshalber – einige Fragen hätte: »Ist es bei der Telekom üblich, daß Bedienstete von Abrechnungs- und Vermittlungsstellen über Decknamen (›Herr X‹, ›Frau Y‹ o. ä.) miteinander kommunizieren? ... Kommt es gelegentlich vor, daß Ihren Vermittlungsstellen andere staatliche oder private Dienststellen zugeordnet sind, deren Beschäftigte ihre Tätigkeit unter Decknamen ausüben?« Ich wollte auch noch einiges über Hausnummern und fiktive Anschriften wissen. Leider hat die Deutsche Telekom AG nicht mehr geantwortet. Vielleicht haben sie den Brief wieder fehlerhaft an »Herrn X« geschickt? Inzwischen bin ich beunruhigt. Mein Kumpel Andreas hat sich nämlich für mich im Internet umgesehen und dort erfahren, daß in dem bewußten unbewohnten Gebäude der Herrenstraße derzeit eine »Ideal-Lebensversicherungs a. G.« residiert. Hausnummernschild und Firmentafel fehlen nach wie vor. Mit Publikumsverkehr oder Postzustellung rechnet das Unternehmen wohl nicht. Auch im hannöverschen Telefonbuch ist der Dienstleistungsbetrieb nicht verzeichnet. Und wer den im Internet aufgeführten Telefon- und Faxanschluß wählt, erhält die erschöpfende Band-Auskunft: »Kein Anschluß unter dieser Nummer.« Immerhin. Ich habe diese banale Geschichte in so epischer Breite erzählt, weil die Alltagsprobleme eines Satirikers nur selten ausreichend gewürdigt werden. Hier wollte ich einen Beitrag leisten. Natürlich hätte ich – etwa für den parlamentarischen Untersuchungsausschuß – noch einige ähnliche Berichte auf Lager. Mein Gott, hat der Sorgen, wird sich da mancher geneigte Leser sagen. Solche Probleme hätte ich auch gern ... – Haben Sie vermutlich. Sie wissen es wahrscheinlich nur nicht. Bekanntermaßen ist die BRD noch vor den USA Weltmeister im Telefonabhören. Und wenn Sie mal mit Herrn X zu tun haben, grüßen Sie ihn bitte schön von mir. Vielleicht liegen bei ihm unser beider Einzelverbindungsnachweise ja sogar in derselben Schublade.
Erschienen in Ossietzky 17/2006 |
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