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Der Dichter macht den Aufstand – Ein deutsches Lustspiel
Anweisung für die Regie: Es ist streng darauf zu achten, daß der Darsteller des Günter Grass ebensowenig Ähnlichkeit mit dem wirklichen Günter Grass zeigt wie der Darsteller des Bert Brecht in »Die Plebejer proben den Aufstand« mit dem wirklichen Bert Brecht. Die Verachtung der dokumentarischen Wirklichkeit muß unmißverständlich gezeigt werden. Der Darsteller des Grass darf nur als betrunkener Revoluzzer und niemals als Anwalt vernünftiger politischer Forderungen auftreten – genauso wie im »Plebejer«-Stück der Darsteller des Brecht stets als mieser Ästhet und niemals als Anwalt der Unterdrückten erscheint.
PROLOGGeehrtes Publikum, das Stück fängt an. * GÜNTER GRASS (zu Shakespeare): Habt Ihr damals auch ein Manifest geschrieben Oder sonst was getan, damit Euer König wird vertrieben? WILLIAM SHAKESPEARE: Verlegen sag ich nein. GRASS: Ihr könnt kein großer Künstler sein. Doch sorgt Euch nicht, von mir da könnt Ihr lernen. Wahlmitternacht ist's, wir steh'n vorm Kanzleramt zu Bonn. Die SPD hat wieder mal die Schlacht verlor'n, Warum – versteh ich nicht. Ich krähte ESPEDE allüberall im Lande, Die Niederlag tut weh (nimmt einen Schluck aus der Machandel-Flasche). Nein, das laß ich mir nicht bieten, Den Erhard mach ich heute noch zum Bammelmann. Fett schwimmt oben. Drum feiert Himmelfahrt des Dicken Wamme, Noch ehe diese Stund vergeht! Aufruhr! Tretet Rasen nieder, Rasen! Ich. Du. Wir Alle. Komm! (Beide verschwinden im hellerleuchteten Bundeshaus, aus dem Gelächter und Tanzmusik dringt.) 1. FERNSEHREPORTER: Herr Grass, was sagen Sie zur Wiederwahl des Kanzlers? GRASS: Nichts sag‘ ich, aber Fragen werd‘ ich den Dicken, Wer mir am Haus gekokelt In vorvergangener Nacht! (Nimmt einen Schluck aus der Machandel-Flasche.) Das werd‘ ich tun! Dann soll der Dicke büßen. (1. Fernsehreporter ab, Wehner und Erler betreten den Saal. Als sie Grass und Shakespeare erblicken, machen sie einen Bogen und verlassen den Saal schnell wieder durch die nächste Tür. Grass merkt nichts.) 2. FERNSEHREPORTER: (kommt hinzu und tippt Shakespeare auf die Schulter): Herr Grass, was sagen Sie zur Wahl? SHAKESPEARE: Ich bin nur Shakespeare, er ist Grass ( deutet auf Grass). 2. FERNSEHREPORTER: O Pardon, Herr Grass, Blechtrommlers Meinung bitte für das Fernseh'n. GRASS: Ich antwort‘ nicht, ich hab‘ nur eine Frage, Wissen will ich vom Fettkanzler, Wer Feuer gelegt hat an mein Haus. Er muß mir Red‘ und Antwort stehn Und dann ... (ballt die Faust, hebt sie drohend in die Höhe und nimmt mit Hilfe der anderen Hand einen Schluck aus der Machandel-Flasche. Fernsehreporter ab). 3. FERNSEHREPORTER: (kommt hinzu und zieht Shakespeare zur Seite. Zu Shakespeare): He, Sie verdecken ja das Bild des großen Dichters, Zur Seite bitte ... (zu Grass:) Meister, was sagen Sie zu Erhards Sieg? (1. und 2. Fernsehreporter sind hinzugekommen und hören neugierig zu.) GRASS (sehr laut): Ist mir egal. Mein Haus, der Reichstag brennt. Nein, nicht der Reichstag, doch mein Haus, Der Wabbelkanzler soll mir seine fetten Finger zeigen, Ob er es war, der Feuer an mein Haus gelegt. Ich ford're Rechenschaft und Rache! Das frag ich ihn! (Nimmt einen entschlossenen Schluck aus der Machandel-Flasche.) DIE DREI FERNSEHREPORTER (unisono): Wir hörten's wohl – Doch wann geschieht es endlich? GRASS: Dreimal habe ich's schon angekündigt, Auf jedem deutschen Fernsehschirm Ist meine Frag‘ erschienen. Muß ich sie wirklich noch Dem Kanzler selber stellen? DIE DREI FERNSEHREPORTER: Aber ja! GRASS (nimmt einen letzten, langen Schluck und drückt dann die geleerte Machandel-Flasche Shakespeare in die Hand): Auf, Willy! Du. Ich. Alle! Komm! SHAKESPEARE: Doch Meister, überlegt zuvor… GRASS: Was Denken, Spintisieren … Handeln nur tut not! (Grass, Shakespeare und die drei Fernsehreporter verlassen das Bundeshaus und begeben sich auf die Straße zum Kanzleramt. Volk steht auf der Straße.) GRASS (brüllt) Laßt uns der Welt ein Stück aufsagen Von Aufruhr, Rebellion und Barrikaden! Ich werd' ihn fragen. Die Wahrheit werd' ich dem Kanzler In die Visage schlagen! Des edlen Saftes bin ich voll, Nun will ich Rasen trampeln, Rasen, Rasen, Rasen, Rasengrün, Rasengelb, Rasenrot, Rasenblau, Rasenbraun, Schwarzrasen rasend niedertreten. Ich mach' Revolution, Freunde, Genossen, Brüder! Ärgert den Dicken! Tretet seinen Rasen nieder!! VOLK (jubelt, singt) : Besser ist der Ludwig, besser ist der Ludwig und die CDU. (Grass hört nicht.) GRASS (mit Gefolge im Bundeskanzleramt) : Ich will dem Kanzler meine Frag' vorlegen, Sofort, sogleich soll er mir Rede stehen! REGIERUNGSSPRECHER VON HASE: Nein, Herr Grass, das geht nicht, der Herr Bundeskanzler Spricht nicht mit Ihnen. GRASS: So, das geht nicht (macht eine bedauernde Geste zu seinem Gefolge) Ja, wenn's nicht geht, dann laß ich's eben bleiben. Ich geh' nach Hause, ess' Kartoffelpuffer Und werd' ein Drama schreiben Über jenen Brecht, der schuld ist, Daß im Jahre Dreiundfünfzig Der Juni-Aufstand nicht gelang im Osten, Weil er sich weigerte, dem Volk ein Manifest zu schreiben. Wär' ich an seiner Stell' gewesen, Ich hätt's geschrieben, Das panzerhemmende Papier des Großen Dichters, Und Deutschland wäre heute eins, Der rote Lappen hing' in Fetzen. (Holt eine zweite Machandel-Flasche aus der Rocktasche und nimmt einen tiefen, befreienden Schluck.) Ihm werd' ich's zeigen, diesem Brecht. * EPILOGIhr meint, so dumm hätt' Grass es nicht getrieben? Vielleicht! Gewiß sogar! Nur höre, Publikum: Wir gingen mit GG nicht schlimmer als Er selbst in den »Plebejern« mit BB um.
Erschienen in Ossietzky 17/2006 |
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