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Das Gegenteil habe er an Hand der Daten in seinem Bundesland feststellen müssen: Die Eingangs- und die Spitzensteuersätze bei der Einkommenssteuer seien seit 1998 kontinuierlich gesenkt worden, aber es gebe heute in NRW 850.000 weniger Jobs als vor acht Jahren. Rüttgers saß bis Oktober 1998 im Bundeskabinett. Dort hat er seinerzeit die finanzpolitischen Weichenstellungen (»Finanzpolitik 2000« von 1996) mit beschlossen, wonach der Staat seine Steuereinnahmen drastisch senken sollte, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Die nachfolgende rot-grüne Bundesregierung setzte dann genau dieses Konzept im Einvernehmen mit dem CDU dominierten Bundesrat um. Ergebnis: 2006 sind die Steuereinnahmen in Deutschland, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP), die niedrigsten in der alten EU, und die deutsche Wirtschaft dümpelt dahin. Die Steuern betragen jetzt nur noch 20 Prozent vom BIP gegenüber 24,2 Prozent im Jahre 1999 – eine Differenz von 100 Milliarden Euro, auf die der Staat verzichtete. Der Ministerpräsident sollte noch einmal nachzählen lassen, wie viele Stellen im Öffentlichen Dienst in NRW (Bundes-, Landes- und Gemeindebedienstete) in diesem Zeitraum gestrichen wurden. Es dürften zwischen 150.000 und 200.000 sein. Die Arbeitslosigkeit hat demnach auch durch staatliches »Sparen« zugenommen, und das war gewollt. Die sogenannten Neoliberalen begeistern sich ja noch immer an der Parole vom »schlanken Staat«. Doch auch große Teile der Privatwirtschaft haben unter dem Rückzug des Staates und den drastischen Ausgabenkürzungen im Sozial-, Kultur- und Bildungsbereich gelitten: Die Binnenkonjunktur ist dadurch geradezu abgewürgt worden. Steuerentzug und Sozialstaatsdemontage haben eine Spirale nach unten in Gang gesetzt, die sich immer noch tiefer hinabwindet – bis heute. Denn die Unternehmen, die Vermögenden und Besserverdienenden haben die ihnen erlassenen Steuergelder fast aus-schließlich dazu verwendet, weltweit Firmen aufzukaufen oder US-Staatspapiere zur Kriegsführung im Irak zu zeichnen. Will Rüttgers die Abwärtsbewegung stoppen und umkehren? Als Ministerpräsident des mit 18 Millionen Einwohnern bei weitem größten Bundeslandes und Landesvorsitzender der CDU könnte er einigen Einfluß geltend machen. Dann müßte er allerdings die ganze Landespolitik der von ihm geführten CDU/FDP-Koalitionsregierung ändern, die bisher konsequent in die falsche Richtung steuert: neoliberalistische Sozialstaatszerstörung; Streichung der öffentlichen Mittel für alle freien Träger im Sozial-, Kultur- oder Bildungsbereich; betriebs- und marktwirtschaftliche Rahmengebung für das gesamte Bildungswesen mit dem Ziel sogenannter Effizienzgewinne; Ausverkauf landeseigener Einrichtungen; Privatisierung oder Public-Privat-Partnership, also Übereignung an Kapital und Markt, wo immer möglich; Kaputtsparauflagen für Schulen und Hochschulen; »Verschlankung« des Staates auch in seinen Kernbereichen wie Polizei, Justiz und Finanzverwaltung. Schon die rot-grünen Vorgänger-Landesregierungen unter Clement und Steinbrück hatten vehement das Ziel verfolgt, staatliche Kompetenzen an Banken und Konzerne auszuliefern; die schwarz-gelbe Rüttgers- Crew fährt denselben Kurs mit gesteigertem Tempo. Wir hören nichts davon, wie Rüttgers die Steuerpolitik zu ändern gedenkt. Hat seine Regierung etwa »Stopp!« gerufen, wenn jetzt Unternehmenssteuern noch einmal um mindestens fünf Milliarden Euro gesenkt werden sollen? Oder bei dem weiteren Herunterfahren der Erbschaftssteuer? Warum gibt es von NRW aus keine Initiative für die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer? Rüttgers hat bisher nicht einmal den Versuch gemacht, für dieses Mißverhältnis zwischen seinen Taten und seinen Worten die FDP verantwortlich zu machen. Nein, seine eigene Partei propagiert weiterhin Staatsverschlankung mit Eifer. Das Diktat der Kaputtsparer ist schon längere Zeit auch den Kommunen auferlegt worden. Von den Städten in NRW konnten bisher nur noch Bonn, Düsseldorf und Münster über ihre Haushalte selber entscheiden – alle anderen sind pleite und dürfen nur ausgeben, was der Regierungspräsident ihnen zugesteht. Düsseldorf konnte diesem Schicksal 2006 nur dadurch entgehen, daß es auch das vorletzte Viertel am Besitz seiner Stadtwerke einem Strommonopolisten übereignet. Münster ist wegen eines erfolgreichen Bürgerbegehrens (vgl. Ossietzky 13/02) noch im Alleinbesitz seiner Stadtwerke (und selbst CDU-Politiker preisen heute diesen Umstand, weil die Stadtwerke jährlich über 40 Millionen Euro in den Stadthaushalt spülen). Trotzdem mußten auch in dieser vergleichsweise noch wohlsituierten Stadt Jahr für Jahr Sparrunden gefahren werden mit verheerenden Auswirkungen für Sozialeinrichtungen, Bildungs- und Kulturangebote. Neuerdings nimmt der Sparwahn Formen der Strangulation an: Noch einmal soll die städtische Infrastruktur vom Kinderspielplatz über die Schulen, die Bäder, die Theater, die sozialen Hilfen bis zur Feuerwehr um 30 bis 50 Millionen Euro reduziert werden. Für viele Bürger, viele nützliche, notwendige Initiativen wird die Luft zum Atmen dünner. Es ist nicht leicht zu verstehen, aber offenkundig, daß die Rathaus-Politiker die Streichungen geradezu mit Lust und Schadenfreude exekutieren. Oberbürgermeister Till Tillmann rühmt sich: »Wir verpassen unserer Stadt eine Diätkur, die uns anschließend wieder beweglicher machen wird.« Diese Stadtverordneten, denen das neoliberale Credo des »Weniger Sozialstaat und mehr Markt« die Hirne vernebelt und die Herzen verhärtet hat, sind geradezu stolz darauf, wenn sie weitere städtische Bäder schließen oder 1.500 Hartz-IV-Empfänger in billigere Wohnungen aussiedeln, wie eine »Beraterfirma« ihnen dringend empfiehlt. Sie selbst bekommen die Folgen ja nicht direkt zu spüren. Wenn man zu den schätzungsweise 3.000 Vermögensmillionären dieser Provinzmetropole gehört oder zu denjenigen gut 30.000, die mit ihren Familien über Einkünfte von mehr als 6.000 Euro im Monat verfügen, kann man ganz locker damit umgehen. Ein eigener Swimmingpool ist doch angenehmer als ein überfülltes Stadtbad. Und warum sollte man die Innenstadt nicht saubersiedeln von Geringverdienenden und auf Sozialgeld Angewiesenen, um Platz für diejenigen zu schaffen, die sich teure Wohnungen leisten können und Juwelierläden und Edelboutiquen im Nahbereich zu schätzen wissen? Kein Geld? Wie alle Kommunen hatte und hat auch Münster die Eichelsche Steuerreform mit massiven Einnahmerückgängen bei Gewerbesteuern und Einkommenssteuern zu verkraften. Zusammen mit dem Deutschen Städtetag müßte die Stadt eine Klage auf »Gewährleistung der … Grundlagen der finanziellen Eigenverwaltung« der Gemeinden nach Grundgesetz Art. 28.2 beim Bundesverfassungsgericht einbringen – ein Vorschlag, der bisher nur Kopfschütteln hervorruft. Der Rat könnte aus eigener Kompetenz die Gewerbesteuer und die Grundsteuer anheben. Doch CDU und FDP bestehen darauf, daß Münster in der Besteuerung von Unternehmen und Grundbesitz konkurrenzlos billig bleibt, die Stadt läßt sich dafür sogar vom Steuerzahlerbund als vorbildlich loben. Es ist hoch an der Zeit, daß sich die CDU von einer ihrer Lebenslügen befreit. Doch Rüttgers‘ schöne Parteirhetorik findet weder auf Landes- noch auf Kommunalebene irgendeine Entsprechung. Offensichtlich war sie nur ein PR-Gag. Es hat keinen Sinn, auf Einsicht der Regierenden, auf Zeichen und Wunder zu warten. Erst wenn sich all jene gemeinsam wehren, die die Folgen der asozialen Politik mit Arbeitslosigkeit und Massenarmut zu spüren bekommen, könnte sich etwas ändern. In Münster haben sich jüngst viele Betroffene zu der Bürgerinitiative »Münster Solidarisch« zusammengeschlossen. Woanders entstehen »Sozialforen«. Der Zorn von unten wächst und findet neue Organisationsformen.
Erschienen in Ossietzky 17/2006 |
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