Kuckuck und Blauberger schinden Zeitzeilen

Hermann Kant

B: Ich glaube, ich weiß jetzt, wie Kisch verschwunden sein könnte.

K: Besser wäre, du wüßtest es.

B: Meine Methode heißt: Wahrheit durch Annäherung.

K: Das klingt ungut vertraut.

B: Ist aber glaubwürdig. – Liz Mohn hat ein Event gewollt.

K: Die Frau von Mohn, dem Bertelsmann? Was hat sie gesagt?

B: Der Nannen-Preis soll ein Ereignis wie der Oscar werden.

K: Deshalb mußte der Egon-Erwin-Kisch-Preis verschwinden?

B: Zuerst gab es ihn noch. Als einen der acht Henri-Nannen-Preise.

K: Für die beste Reportage. Ist bekannt. Was ist neu?

B: Liz Mohn hat Joachim Fest für den Ehren-Preis vorgeschlagen.

K: Weil er die »Hitler-Tagebücher« druckte?

B: Das war Henri Nannen. Fest hat das Buch »Hitler« geschrieben.

K: Und den Nannen-Preis dafür gekriegt? Oder war das Nannen?

B: Joachim Fest bekam ihn für sein Lebenswerk.

K: Ein Preis fürs Leben von Fest. Welch Event! – Wo bleibt Kisch?

B: Der kommt gleich. Und verschwindet, damit Schäuble kommen kann.

K: Bekam der auch den Nannen-Preis? Oder den Fest-Preis?

B: Er sollte die Fest-Festrede halten, hat sie inzwischen gehalten.

K: In welcher der Kommunist Kisch nicht vorkam.

B: Mußte ja nicht. Die Laudatio galt Fest. Das war correct.

K: Clever. Aber beim Reportagepreis müßte der Name gefallen sein. Fiel er?

B: Nein. Vielleicht steht er in der Urkunde. Es gilt das geschriebene Wort.

K: Kisch an den Ohren des Sicherheitsministers vorbeigeschmuggelt?

B: Als Verfassungsminister sagte er sich, eine Zensur findet nicht statt.

K: Es sei denn, Tübke malt aufgehängte Kommunisten.

B: Aufgehängte Kommunisten fanden nicht statt. Geköpfte auch nie.

K: Da wäre es unstatthaft, sowas zu malen und aufzuhängen?

B: Entspricht nicht ihrem Geschichtsbild, sagt Erfurts Stasi-Beauftragte.

K: Entspricht Tübkes Bauernkrieg-Bild diesem? Abhängen geht schlecht.

B: Man könnte das Greuel-Panorama wie den GAU-Reaktor versiegeln.

K: Und es als Tschernobyld von Frankenhausen bezeichnen. Ein Event.

B: Da hat Leipzigs Uni ihr Marx-Relief-Problem ökonomischer gelöst.

K: Auch Messeschläue bleibt nicht ohne Umweltfolgen.

B: Sie verlagern das Kunstwerk und bauen einen Campus drumrum.

K: Diese Lösung der Campus-Frage als soziale Frage hätte Marx gefallen.

B: Vorsicht! Mit ähnlichen Thesen sind wir öfter auf die Fresse gefallen.

K: Immerhin bleibt die Feuerbach-These im Foyer der Humboldt-Universität.

B: Bekommt aber Gesellschaft, weil Rektor Markschies sie nicht gelten läßt.

K: »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert ...« stört?

B: Vor allem stört ihn » ... es kommt aber darauf an, sie zu verändern.«

K: Er kann ja »Im Thesenjahr 1845 war die Welt perfekt« danebenschreiben.

B: Er möchte lieber anderer Leute Denkwürdigkeiten danebensetzen.

K: »Gelobt sei, was hart macht!« von Nietzsche käme auf Marmor gut.

B: Oder, von demselben, »Du gehst zum Weibe? Vergiß die Peitsche nicht!«

K: Oder: »Macht mir den rechten Flügel stark!«, Schlieffen, Generalstabschef. B: Oder schlicht »Hier irrt Marx«, Markschies, Liz-Mohn-Preisträger.

K: Diesmal rate ich zur Vorsicht. Vielleicht gibt es einen solchen Preis.

B: Als Kissen mit dem Sinnspruch »Bertelsmann ist der Mohn des Volkes.«

K: Oder als Bartholomäus-Grill-Grill.

B: Bartholomäus Grill klingt ausgedacht. Wer soll das sein?

K: Der diesjährige Träger des Henri-Nannen-Preises für die beste Reportage.

B: Und wer war gleich nochmal Henri Nannen?

K: Ein Pseudonym von Egon Erwin Kisch.

Erschienen in Ossietzky 16/2006