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Sozialgerichte gewähren Rechtsschutz in Sozialsachen, zum Beispiel bei der Berechnung der Altersrente oder der Feststellung von Behinderungen. Als der Gesetzgeber 1953 das Sozialgerichtsgesetz erließ, befreite er die typischerweise sozial schwachen Klägerinnen und Kläger grundsätzlich von Gerichtskosten. Er wollte sie ohne finanzielle Belastung zu ihrem Recht kommen lassen. Seit die Politik der herrschenden Klasse begonnen hat, den deutschen Sozialstaat zu zertrümmern, ist die Zahl der Sozialgerichtsprozesse steil angestiegen, am steilsten nach dem Inkrafttreten von Hartz IV. So verzeichneten die niedersächsischen Sozialgerichte 2004 rund 22.500 Verfahren, im Jahr darauf schon 10.000 mehr. Nach einer Mitteilung des Bundessozialgerichts in Kassel gingen allein wegen der Arbeitsmarktreform 2005 bundesweit 52.088 Verfahren ein. Die sonst eher nüchternen Richter sprechen von einer »beispiellosen Klageflut«. Daß in etwa sechs von zehn Prozessen um Hartz-IV-Leistungen die Klagen Erfolg haben, läßt fatale Rückschlüsse auf die Qualität des geltenden Rechts und des behördlichen Umgangs mit ihm zu. So kam nicht nur die Justiz, sondern auch die Hartzsche »Reform« ins Gerede (ihr Vater ebenfalls, aber das muß hier nicht vertieft werden). Die Politiker sannen auf Abhilfe. Natürlich fiel keinem ein, die Verelendung zu stoppen. Wie immer störte nicht die Armut – es störten die Armen, jetzt vor allem die klagenden Armen. Wie gut, daß die deutschen Justizminister schon im Juni 2002 Weitblick besessen und die Einführung von Gerichtsgebühren für alle Sozialgerichtsprozesse gefordert hatten. Als im September 2003 das Land Baden-Württemberg im Bundesrat vorstieß, fand es alsbald Sekundanten. Niedersachsens Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) gab die Parole aus: »Wir müssen alle Möglichkeiten ausschöpfen, um unnötige Prozesse zu vermeiden.« Und der damalige sächsische Justizminister Thomas de Maizière (CDU) verkündete das neue Rechtsstaatsprinzip, die Justiz müsse sich auf die wirklich wichtigen Verfahren besinnen. Er verriet, daß bei den Sozialgerichten 15 bis 20 Prozent aller Prozesse überflüssig seien. Das hatten die Menschen in unserem Land noch nicht gewußt. Vor lauter Staunen vergaßen sie zu fragen, ob ein Justizminister neuerdings die zulässigen Prozesse selber aussuchen darf. Dann ging alles seinen verfassungsmäßigen Gang. Am 13. Februar 2004 brachte der Bundesrat beim Deutschen Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes ein. Kern ist die Neufassung des Paragraphen 187. Danach sollen unter Aufgabe der bisherigen Kostenfreiheit alle Kläger in erster Instanz eine Verfahrensgebühr von 75 , in zweiter Instanz von 150 und in dritter und letzter Instanz von 225 zahlen. In der Begründung zu diesem »Reformwerk« entblödet sich der Bundesrat nicht, sein Vorhaben mit der »Eingangs- und Kostenflut« zu rechtfertigen, die Gebühren »sozialverträglich« zu nennen und die verfassungsrechtlichen Vorgaben als gewahrt zu bezeichnen. Der Bundestag wird sich wohl nach der Sommerpause mit der Vorlage befassen. Mit dem Schlimmsten ist zu rechnen. Die Herrschaften wissen natürlich, daß der Hartz-IV-Bezieher mit seinen 345 monatlich das Eintrittsgeld fürs Gericht nicht aufbringen kann. Daß auch die 50 , die er bei Bewilligung von Prozeßkostenhilfe zuzahlen müßte, zu viel sind. Doch sie exkulpieren sich dreist mit »Sozialverträglichkeit«, einem modischen Lügenwort – Hauptsache die Klagen werden weniger. »Unnötig« und »unwichtig« sind die Prozesse der Ärmsten. Das ist reine Klassenjustiz. Schamlos teilt die Entwurfsbegründung mit: »Es ist … mit einer erheblichen Reduktion der Streitsachen zu rechnen. Gleichzeitig ist ein Einsparpotenzial an Arbeitskraft und Sachmitteln bei den Gerichten zu erwarten.« Ja, das ist stimmig, Hartz IV wird durch Rechtsschutzverkürzung flankiert, die »Armut per Gesetz« – so der treffende PDS-Slogan – gerichtsfest gemacht. Das Modell kennen wir schon: Wenn die Privatinsolvenzen überhand nehmen, streichen wir einfach die Mittel für die Schuldnerberatung. Dieser Staat ist schäbig, zynisch und gewissenlos geworden. Das wundert allerdings nur den, der noch nicht begriffen hat, daß sich der Staat nicht nur den Interessen, sondern auch den Methoden und Umgangsformen der Großwirtschaft angleicht, die ihn unterwandert und pervertiert hat. Mag auch die Moral keine politische Handlungsmaxime mehr sein, so könnten doch gerade Justizminister die Verfassungsmäßigkeit ihres Vorhabens kritisch prüfen. Sollte es wirklich mit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz) vereinbar sein, potentielle Kläger nur noch als Zahlen wahrzunehmen, die die Prozeßstatistiken belasten? Schlägt es nicht dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) ins Gesicht, eine verfassungsrechtlich gebotene Fürsorge für Ärmere in Gestalt der Gerichtskostenfreiheit zu streichen? Vor allem: Wie vereinbart sich der Gesetzentwurf mit Art. 19 Abs. 4 GG, der dem Bürger effektiven Rechtsschutz gegen Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt garantiert? Das Bundesverfassungsgericht hat bereits Gebührenregelungen mißbilligt, die den Rechtsschutz des Bürgers von seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abhängig machen. Was anderes als eben dies ist jetzt geplant? Insofern wird das, was der Bundestag mit der Mehrheit einer noch so großen Koalition beschließt, keinen Bestand haben können.
Erschienen in Ossietzky 16/2006 |
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