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Eben während des genannten Großereig-nisses wurde aus der EU-Hauptstadt Brüssel folgende Meldung verbreitet: »Olli Rehn, der EU-Erweiterungskommissar, ist dem Premier Serbiens, Vojislav Kostunica, dankbar, daß er darauf verzichtete, auch die Verantwortung für die 0:6-Niederlage Serbiens und Montenegros gegen Argentinien während der Fußball-Weltmeisterschaft auf die Europäische Union abzuwälzen. Die EU für die eigenen Mißerfolge anzuklagen, ist nicht ernsthaft.« Mit dieser sensiblen, hochdiplomatischen Erklärung reagierte Krisztina Nagy, Sprecherin des finnischen Kommissars Rehn, auf die Kritik an der Erpressungspolitik der EU, zu der sich der serbische Ministerpräsident aufgerafft hatte. Mit Blick auf die bis zur Auslieferung des ehemaligen Kommandeurs der serbisch-bosnischen Truppen, Ratko Mladic, an das Haager Jugoslawientribunal seitens der EU unterbrochenen Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen hatte Kostunica »die Politik des ständigen Bedingungenstellens, die schon geraume Zeit gegenüber unserem Land betrieben wird«, als »zutiefst schädlich« bezeichnet. Darüber hinaus hatte er den Westen indirekt der Undankbarkeit geziehen, indem er resigniert meinte, »die demokratischen Kräfte, die am 5. Oktober (2000) Milosevic besiegten«, seien der Auffassung gewesen, »daß eine Zeit der partnerschaftlichen Beziehungen anbrechen werde, was auch die volle Achtung der Würde Serbiens bedeuten würde«. Doch die Würde Serbiens interessiert die Europäische Gemeinschaft bekanntlich einen feuchten Kehricht, anderenfalls hätte die EU das von der NATO barbarisch bombardierte Land nicht gezwungen, seinen ehemaligen Präsidenten und nahezu die gesamte Armeeführung an die Haager Siegerjustiz auszuliefern, und Rehn hätte nicht Salz in die von Argentinien geschlagene Wunde der fußballbegeisterten Serben gestreut. Und so schlug Kostunicas Kabinettschef, Srdan Duric, zurück: »Es ist weder korrekt noch seriös zu sagen, daß der Vorsitzende der Regierung Serbiens, Vojislav Kostunica, die EU für die eigenen Fehlschläge angeklagt hätte... Und was die Bemerkung zum Fußball anbelangt, so hat sich Finnland im Unterschied zu unserer Nationalmannschaft nicht einmal für die Weltmeisterschaft qualifiziert, und ich erinnere mich nicht, wann das dem Land das letzte Mal gelungen war.« Mit diesem schnellen Konter erschöpfte sich aber der serbische Widerstand. Vier Wochen später trafen sich die Fußballexperten, der kurzzeitig aufmüpfige Premier und der sich seiner Bedeutung bewußte Erweiterungskommissar, in Brüssel. Kostunica hatte ein Präsent mitgebracht, ein dreiseitiges Papier mit dem verwirrenden Titel »Aktionsplan für die Beendigung der Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal«. Aber man soll nicht etwa meinen, daß Belgrad nun seine Würde zurückgewinnen und seine Zusammenarbeit mit dem vom NATO-Aggressor installierten Tribunal einstellen will. Der Inhalt des Papiers besagt das Gegenteil: Die Kooperation mit dem Tribunal soll bis zum erfolgreichen Abschluß fortgeführt werden. Mit dem »Aktionsplan« will Belgrad jenen Preis zahlen, den die EU für die Wiederaufnahme der Assoziierungsverhandlungen gefordert hat. Der Plan sieht unter anderem vor: eine rückhaltlose Zusammenarbeit mit dem Tribunal, einen tagtäglichen Informationsaustausch zwischen Belgrad und dem famosen Gerichtshof, eine enge Kooperation mit den Geheimdiensten der EU-Staaten und eine Medienkampagne zur Vorbereitung der öffentlichen Meinung in Serbien auf die angestrebte Auslieferung Mladics, dessen derzeitiger Aufenthaltsort nach wie vor unbekannt ist. Aus diesem Grunde wird das Papier auch »Mladic-Plan« genannt, was allerdings an seinem eigentlichen Kern vorbeigeht und wiederum in die Irre führt. Als Punkt 1 des immer noch als »Staatsgeheimnis« deklarierten Planes nennen Belgrader Medien die »vollständige Unterstellung der Sicherheitsdienste unter die Kontrolle der Regierung«. Das ist die vornehme Umschreibung für den kompletten personellen und organisatorischen Umbau der serbischen Spezialdienste. Mit ihm wollen NATO und EU ihren Einfluß in Serbien auch in diesem Bereich festigen. Schon vor einiger Zeit hatte die Belgrader Vecernje Novosti aus EU-Kreisen erfahren, daß die Verhaftung von Mladic nur »die Spitze des Eisberges« sei; die Hauptforderung für die Fortsetzung der Assoziierungsverhandlungen sei die völlige Zerschlagung der zivilen und militärischen Geheimdienste Serbiens. Der Erweiterungskommissar beanstandete: »Es ist eine Tatsache, daß die serbischen Sicherheitsdienste nicht unter der Kontrolle der Regierung sind. Das betrifft vor allem den militärischen Geheimdienst. Es ist höchste Zeit, daß Serbien diese Kräfte identifiziert...« Und ein Funktionär des State Departments stieß in das gleiche Horn: »Damit Serbien von Washington die Unterstützung erhält wie zum Beispiel Rumänien und Bulgarien beim Eintritt in die EU, muß es beweisen, daß es ein Rechtsstaat ist. Und das bedeutet, daß es die Kontrolle über seine Dienste hat.« Keine Frage, wem der »Aktionsplan« die Kontrolle (und damit verbundene Einwirkungsmöglichkeiten) verschaffen soll: vor allem der Central Intelligence Agency (CIA), dem vorbildlich rechtsstaatlichen Geheimdienst der USA. In Belgrad hält sich die Überraschung über den »Aktionsplan« in Grenzen. Schließlich wird mit ihm nur ein weiteres Kapitel in der unendlichen Geschichte der Erpressung Serbiens durch die NATO und die EU geschrieben. Je nach Gusto wählten die um ein Vielfaches stärkeren Erpresser ihre Druckmittel aus: Wirtschaftssanktionen, Isolation, Kreditverweigerung, Androhung militärischer Gewalt oder gleich Bomben und Raketen – gewissermaßen Erpressung à la carte. Sie begann mit den von Deutschland initiierten ökonomischen Sanktionen während der jugoslawischen Bürgerkriege, sie setzte sich fort mit den militärischen Interventionen in Bosnien und mit der schamlosen Treibjagd im Kosovokonflikt. Mit der Androhung massiver militärischer Gewalt wurde den Serben damals Zugeständnis um Zugeständnis abgepreßt. Trotz all der Zugeständnisse folgte der 78tägige Bombenterror, und auch als die Waffen schwiegen, ging die Nötigung weiter. Sie kulminierte im erpresserischen Appell der EU-Außenminister vom 18.9.2000, in dem sie im Falle einer Wiederwahl Milosevics eine Fortsetzung der Sanktionen und im Falle eines Wahlsieges von Kostunica und Djin-djic ihre Aufhebung ankündigten. Kaum war Milosevic gestürzt, folgte die ultimative Forderung nach seiner Verhaftung und Auslieferung als Voraussetzung für eine dringend benötigte Umschuldung. Als der Ex-Präsident unter Bruch des Völkerrechts und der Verfassung in einer geheimdienstlich organisierten Nacht- und Nebelaktion in den Sicherheitstrakt des Scheveninger Gefängnisses verschleppt war, folgten neue Forderungen nach Auslieferung der Armeeführung und nach bedingungsloser Unterordnung des Landes unter die nimmersatten Wünsche der Haager Generalanklägerin Carla del Ponte. Parallel dazu übten NATO und EU permanenten Druck aus, um Belgrad zum Verzicht auf das von der NATO okkupierte autonome Gebiet Kosovo zu zwingen. Kein anderes europäisches Land wurde seit dem Zusammenbruch des Realsozialismus in Europa so permanent und schamlos erpreßt wie Jugoslawien und Serbien, und keines hat sich dabei so hervorgetan wie die Bundesrepublik Deutschland. Wer glaubt, daß mit dem »Aktionsplan« das Schlußkapitel der Erpressungsgeschichte geschrieben ist, der irrt. Der deutsche Außenminister Steinmeier, der schon während der NATO-Aggression im Kanzleramt die Fäden zog, hat gegenüber Kostunica ihre Fortsetzung angekündigt: »Der Aktionsplan ist das eine, die Implementierung das andere.« Das kleine Finnland – einst, in fernen Zeiten, neben Jugoslawien ein aktives Mitglied in der Gruppe der neutralen und nichtpaktgebundenen Staaten Europas – wird, auch wenn der Erweiterungskommissar ein Finne ist, bei der Fortsetzung der Erpressungspolitik keine allzu große Rolle spielen. Nur die Fußballpolemik dürfte nicht allzu schnell in Vergessenheit geraten. Denn der aus zutiefst verletzter Seele kommende Belgrader Vorwurf, Finnland habe sich im Unterschied zu Serbien nicht einmal für die Weltmeisterschaft qualifiziert, verlangt nach Widerrede. Schließlich hat die finnische Nationalmannschaft im letzten direkten Vergleich die serbische, damals noch serbisch-montenegrinische, mit 3:0 besiegt. Und ein neues Match – Qualifikation für die Europameisterschaft – steht bevor. Wenigstens dabei wird es hoffentlich fair zugehen.
Erschienen in Ossietzky 16/2006 |
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