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Tagesbeginn
Arnold Venn
Laßt uns Fan-Parties feiern!Ja, schön war die nächtliche Fan-Meile zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor nach dem Finale! Ja, die WM 2006 war ein erfreuliches Ereignis – friedlich, heiter. O, wäre dieses Land immer so! Hoffen wir, daß diese Stimmung in den Alltag herüberschwebt und sich auch auf den Umgang mit jenen Fremden auswirkt, die hier bleiben wollen. Die hier leben. Die nach dem Festwochen-Trubel nicht gleich abfahren mochten. Einigen Afrikanern war die Einreise zur Weltmeisterschaft verweigert worden, weil man »befürchtete«, sie könnten anschließend die Rückreise verweigern. Das ist der Alltag. Ja, man sollte WM-Fan-Parties vor den deutschen Abschiebegefängnissen organisieren! »Die Welt zu Gast bei Freunden« ist ein schönes Motto dafür. Schwarzrotgold über alles! Ruft auf, trefft Euch, feiert! Solidarität mit den Gästen aus aller Welt, die in Deutschland um Asyl bitten! Seid Ihnen Freunde! Olaf Brühl
Julias RacheJulia ist eben neun Jahre alt und sieht aus, daß ich bis vor kurzem glaubte, mindestens die Hälfte der Jungen in ihrer Klasse müßten sich in sie verliebt haben. Haben sie aber nicht. Am Tag, da die deutsche Fußballmannschaft ihr Halbfinalspiel gegen die italienische zu bestreiten hat, kommt sie aus der Schule und überrascht ihre Mutter mit der Mitteilung, am Abend wolle sie sich die Veranstaltung am Bildschirm ansehen. Bisher hat ihr Vater jeden Abend das TV-Gerät monopolisiert; Julia scherte sich nicht darum. Und nun? Auf Mutters forschende Frage nach den Gründen für den abrupten Wechsel des Interesses folgt die Antwort präzise: »Weil ich die Deutschem verlieren sehen möchte.« Das, so stellt sich heraus, ist ihre Art, auf einen Vorfall zu reagieren, der sich am Morgen zugetragen hat. Da wurde ihr von einigen Klassenkameraden, deutschen Jungpatrioten, zugerufen, die Kroaten, deren Vertretung nach der Vorrunde die Heimreise schon angetreten hatte, seien »Schwule und Looser«. Warum das gerade ihr? Julia hat einen Fehler: Ihr Vater ist Kroate. Und warum wird die Episode vom Rande des Supermegagroßevents hier berichtet? Weil sie zu denen gehört, die von unseren Schwerstarbeitern an der Meinungsbildungsfront hinter einem unausgesetzten Gelalle vom fröhlichen, neuen, positiven, unverkrampften, harmlosen, gesunden, friedlichen, internationalen Patriotismus »unserer« jungen Generation versteckt worden sind. Denn es erzähle mir keiner, daß »unseren« Journalisten, die in jenen Tagen die Finger am Puls der brodelnden Massen hatten, Gleiches und Ähnliches nicht begegnet wäre. Kurt Pätzold
GeburtenpolitikIn der Springer-Zeitung Die Welt er-schien ein familienpolitischer Kommentar zum Thema Elterngeld und Erziehungsgeld, der Beachtung verdient, Hermann L. Gremliza hat darauf aufmerksam gemacht. Unter der Überschrift »Klasse statt Masse« schreibt der Erfolgsliterat Joachim Bessing: »Zeugen nicht Eltern, denen vielleicht ein Sparschwein zum Anreiz genügt, sich vermehren zu wollen, künftige Bundesbürger, denen allein ihr Trachten nach einem noch mehr an staatlicher Zuwendung auf die Stirn geschrieben steht? Es werden buchstäblich die Falschen sein, die sich aufgrund staatlicher Anreize zur Vermehrung entschließen. Wer, um seine Kinder großzuziehen, auf die Hilfe des Staates angewiesen ist, der hat von der kulturell entwickelten Lebensform Familie nämlich rein gar nichts begriffen. Gefördert werden muß nicht die Masse an Kindern, sondern das Bewußtsein jener Klasse, deren Nachwuchs wir dringend benötigen. Nicht die ohnehin am staatlichen Tropf hängen, sollen die Kinderlein kommen lassen. Wir brauchen starke Familien, die Werte vermitteln können. Wir brauchen ein reproduktives Bürgertum.« Als Angehöriger der »Generation Golf« kann Bessing mit postmoderner Nonchalance einen Sozialdarwinismus propagieren, wie er sich in solcher Direktheit seit einigen Jahrzehnten nicht zu äußern wagte. Die Nazis wollten Zucht, Auslese und die ganze Geburtenpolitik auf das Rasseprinzip verpflichten; der Welt -Autor erhebt jetzt die Fortpflanzung der bürgerlichen Klasse zum obersten Gebot. Man wird sich nicht wundern dürfen, wenn demnächst ganz locker die Idee publiziert wird, den Empfängerinnen und Empfängern von Hartz-IV-Staatsknete das Gebären oder Zeugen zu untersagen. Vieles ist möglich in diesem Land, es muß nur unter dem modischen Etikett der »Elitenförderung in der Leistungsgesellschaft« daherkommen. Arno Klönne
Kluge und törichte JungfrauenVor seinem Aufbruch in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten hat Joseph Fischer, vor einem Jahr noch das grüne Alphatier, seiner Partei den Rat gegeben (einen »wissenschaftlichen«, konstatierte der Parteivorsitzende Reinhard Bütikofer), sich intensiver der Partnersuche fürs erneute Mitregieren zu widmen. Vermutlich denkt Fischer dabei vorrangig an eine Koalition mit der SPD und der FDP, möglicherweise sogar, bei dieser Konstellation, an seine Rückkehr in die deutsche Politik. Aber die Zeichen der Zeit weisen eher in eine andere Bündnisrichtung, schließlich ist am Börsenstandort Frankfurt am Main soeben eine schwarz-grüne Stadtregierung umstandslos zustandegekommen, und sogenannte wirtschaftsnahe Zeitungen wie Financial Times Deutschland und Handelsblatt stimmen bereits auf die Annäherung von CDU/CSU, FDP und Grünen ein; auch häufen sich die Schnupper-Mahlzeiten zwischen Politikern dieser Parteien. Zum gegenseitigen Anwärmen ist Zeit genug, denn ein Scheidungsverfahren bei Schwarz-Rot ist wohl erst auf längere Sicht zu erwarten. Zwischen den Unionsparteien und den Grünen, noch eindeutiger zwischen den Grünen und der FDP bestehen keine gesellschaftspolitischen Abgründe mehr; der Hauptteil der grünen Partei liegt längst auf der Linie der kapitalistischen »Wettbewerbsgesellschaft«. Und atompolitisch ist ein Kompromiß zu finden. Innerparteilich dringen vor allem die aufstrebenden grünen Landespolitiker darauf, den alten »ideologischen Kram« beiseitezuräumen. »Nach meiner Erfahrung in der Politik werden Inhalte nur dann wirklich interessant, wenn sie auch mit Machtfragen verbunden sind«, äußerte sich der hessische Grünen-Vorsitzende Matthias Berninger zur Partnersuche der Partei, will heißen: Erst mal wieder in die Regierung kommen, dann sehen wir weiter. Auch die thüringische Landessprecherin der Partei und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Katrin Göring-Eckardt empfahl, schon einmal Koalitionsöl für Schwarz-Gelb-Grün bereitzuhalten. Sie sagte: »Die Lampen müssen gefüllt sein, wie bei den klugen Jungfrauen im Evangelium.« Die grüne Spitzenpolitikerin hat theologische Studien hinter sich, sie wird also das Gleichnis, das sie heranzieht, vollständig kennen – auch wenn sie nur einen Teil daraus ihren Parteifreunden und -Freundinnen zu bedenken gab. Bei Matthäus 25, 1–13 ist die Geschichte so erzählt: Zehn Jungfrauen warteten mit ihren Lampen auf den Bräutigam, fünf davon hatten schon mal Öl besorgt und eingefüllt, fünf hatten das versäumt. Als der Bräutigam nachts gemeldet wurde, konnten ihm die klugen Jungfrauen im Lampenlicht entgegengehen, die törichten hingegen mußten, da ihnen die klugen nichts abgaben, sich erst einmal beim Krämer mit Öl versorgen, und so verpaßten sie die Stunde der Hochzeit. Überträgt man das Gleichnis in die grüne Zukunft, so bedeutet es: Nur diejenigen in der Partei, denen jetzt schon die ideelle Vorbereitung auf die Liaison mit der Union und der FDP gelingt, werden von einer künftigen Koalition profitieren. Die anderen werden dann auf der Strecke bleiben, mit Nachsicht haben sie nicht zu rechnen. Da wird sich Claudia Roth, Bütikofers Kollegin im Parteivorsitz, gut überlegen müssen, ob sie es riskieren will, zu den törichten Jungfrauen zu gehören. Noch mosert sie ein bißchen über die schwarz-gelb-grüne Option. Aber sie ist lernfähig. Marja Winken
LinksparteiEntwurf eines Presseberichts: Die neue linke Partei, deren Gründungsakt fürs nächste Jahr geplant sei, könne zum langfristigen Faktor in der deutschen Politik werden, wenn sie sich nicht nur als organisatorischer Zusammenschluß von L/PDS und WASG verstehe, sondern als ein »offenes Projekt«, das zahlreiche oppositionelle Gruppen und viele außerparlamentarisch aktive Bürgerinnen und Bürger zur Beteiligung gewinne, versicherten jetzt die Vorstände von L/PDS und WASG. Auch die Abgeordneten der Linksfraktion im Bundestag sagten zu, sie würden alles tun, damit eine wirklich neue linke Partei wachsen und gedeihen könne, voller Leben und nicht bereit, sich in die Gewohnheiten eines erstarrten Parteien- und Parlamentsbetriebs einbinden zu lassen. Gregor Gysi und Oskar Lafontaine fügten hinzu, an einer Dauerrolle als massenmediale Repräsentanten konventioneller Parteipolitik seien sie nicht interessiert, vielmehr werde die Partei den überall vorhandenen, noch nicht entdeckten Talenten der linken Opposition den Weg in die Öffentlichkeit frei machen. L/PDS und WASG haben für den Herbst in allen Städten und Kreisen zu »Volksversammlungen« unter dem Motto »Es rettet uns kein höh'res Wesen« aufgerufen. Eingeladen sind zur Teilnahme an diesem Projekt »Eine andere Politik – eine andere Partei« vor allem auch lokale Bürgerinitiativen, Sozialforen, linke kommunale Wahlvereinigungen, Gruppen von Kriegsgegnern, antifaschistische Bündnisse, christliche GegnerInnen der Sozialdemontage und aktive GewerkschafterInnen. L/PDS und WASG versicherten, es sei nicht ihre Absicht, die vielfältige Opposition parteipolitisch zu vereinnahmen und zu mißbrauchen, wie es in der Vergangenheit immer wieder geschehen sei. Vielmehr sei ihr Ziel, die neue Linkspartei an der Basis in stetiger gemeinsamer Debatte und kooperativer Praxis zu entwickeln und dabei die Selbständigkeit oppositioneller Gruppen und den linken Pluralismus zu akzeptieren. In vielen Orten bilden sich Initiativen, in denen Bürgerinnen und Bürger, die der L/PDS oder WASG bisher nicht angehören, sich mit ihren Namen öffentlich für den Prozeß der Konstituierung der neuen Partei engagieren. In einem »Offenen Brief an Ent-Täuschte« haben L/PDS und WASG an Noch-Mitglieder oder Ehemalige aus SPD, Grünen und CDU-Sozialausschüssen appelliert, nicht politisch zu resignieren, sondern sich für das Projekt der neuen Partei zu interessieren. Hier sei »Parteipolitik von unten her« möglich. Die neue Linke arbeite an der Wiederaneignung von Volkssouveränität, dies schließe den Widerspruch gegen jegliche Apparat-Partei ein. Die kommende Partei habe überhaupt keine Neigung, in der jetzt üblichen Professionalität des politischen Betriebs »anzukommen«; mit der Gängelung von Mitgliedern, dem Abblocken eigenständiger Initiativen und der Pöstchenschieberei habe sie nichts im Sinn … Soweit mein Entwurf. Zur weiteren Verwendung ist er nicht geeignet, denn die berichteten Sachverhalte sind von mir frei erfunden. Political fiction also, die ich Dietmar Bartsch, dem Bundesgeschäftsführer der L/PDS, widme. Arno Klönne
BegleitpersonalIn einem Brief an die Funktionäre seiner Gewerkschaft und in einer Serie von Interviews hat Hubertus Schmoldt, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (BCE), Klartext von sich gegeben: Von der Demonstration gegen die Gesellschaftspolitik der Großen Koalition, wie sie der Deutsche Gewerkschaftsbund für Oktober plant, halte er nichts; die Gewerkschaften müßten endlich aus ihrer »Verweigerungshaltung« gegenüber der Regierung herauskommen, die »heimlichen Visionen einer anderen Politik« aufgeben. Im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau brachte Schmoldt seine Auffassung von der Rolle der Gewerkschaften auf den Punkt: »Wir können bestimmte Dinge nicht verhindern. Wir müssen vielmehr versuchen, durch Begleitung unabdingbarer Prozesse und durch Verabredungen mit den Unternehmen Zukunftsvorsorge... zu betreiben.« Die Gewerkschaften als Begleitpersonal für die Regierung und das Kapital – man wundert sich allmählich nicht mehr, daß ein Gewerkschaftsführer, jedenfalls dieser, so denkt, bemerkenswert ist nur, daß er es so offen ausspricht. Und erstaunlich ist, daß ihm noch Zeit für solche Kampagnen zur »Modernisierung« gewerkschaftlicher Politik bleibt; immerhin ist er, neben seiner Vorsitzendentätigkeit bei der IG BCE, stellvertretender Vorsitzender der Aufsichtsräte von E.ON, BP und RAG und Aufsichtsratsmitglied bei der Bayer AG. M. W .
Auf Jobsuche durch Amerika»A Working Stiff‘s Manifesto«, so der amerikanische Originaltitel, erinnert an Autoren wie Jack London, John Steinbeck, John dos Passos und deren Reportagen über amerikanisches Arbeiterleben. (Kürzlich las ich eine solche von John Steinbeck: brillant!) Iain Levison wird sich diesen Titel gewählt haben, weil in ihm Rebellisches anklingt. »Abserviert. Mein Leben als Humankapital« ist davon weit entfernt, klingt fatalistisch. Schade. Denn der in Schottland geborene Autor (Sohn deutscher Eltern) zeigt sich in seiner Schilderung des amerikanischen Arbeitsmarktes durchaus rebellisch. Ein beherzter junger Mann mit gesundem Menschenverstand begegnet uns. Kritische Einblicke in den Alltag, wie er sie gibt, sind selten genug. Zwar mag es enttäuschen (ist aber auch aufschlußreich), daß Levison bei den vielen Jobs, die er ergattern konnte, kaum je auf Arbeitersolidarität gestoßen ist, wie sie bei Jack London, John Steinbeck und John dos Passos vorkommt. Levisons »Working Stiffs« sind zerstritten und rundum mißtrauisch, sie lassen sich einer gegen den anderen aufwiegeln, und alle werden sie von den mächtigen Firmen übervorteilt und ausgebeutet, von den großen und kleinen Bossen schikaniert und betrogen. Im Buch erfährt man, wie Levison all dem die Stirn bietet. Wie er sich als Kellner, Möbelpacker, Installateur von Computerkabeln, Verarbeiter von Fischen auf einem Fangschiff vor Alaska durchschlägt, so gut er kann, und sich an Bord und anderswo den verschiedensten Typen zu stellen versteht: Koreanern, Japanern, Mexikanern, Frauen und Männern von den Philippinen, Afro-Amerikanern und Ku-Klux-Klan Rassisten, dem menschlichen Treibgut aus vieler Herren Ländern und dem aus dem eigenen Land. - Eine moderne Odyssee. Walter Kaufmann Iain Levison: »Abserviert. Mein Leben als Humankapital«, Matthes & Seitz Berlin, 219 Seiten, 19.80
Was nach dem Kapitalismus?Ein technokratisches Kunstwort verspricht wissenschaftliche Exaktheit: »Parecon« steht für »participatory economy«, also für ein ökonomisches System der Teilnahme und Teilhabe. »Parecon – Leben nach dem Kapitalismus« ist der Titel eines Buches von Michael Albert, der sich als Aktivist der US-amerikanischen links-anarchistischen Protestbewegung aus dem Social- and Peace-Movement versteht. Mit »Parecon« will er eine Vision vorstellen, die das herrschende Marktsystem wie die staatssozialistische Planwirtschaft überwinde. Die Lektüre lohnt auf jeden Fall, weil der Autor in pragmatischer Manier anschaulich schreibt und keine Scheu davor hat, seine Zukunftsvisionen in vielen Einzelbeispielen auszuformulieren. Seine Kritik an der Marktwirtschaft benennt die vom Markt ausgehenden Fehlanreize gegen die Umwelt oder gegen den sozialen Frieden, auch seine selbstdestruktiven Tendenzen. Eine »Soziale Marktwirtschaft« oder ein System mit »regulierten« oder »lokalen Märkten« wird deshalb vehement ausgeschlossen. In Parecon ist das Eigentum an Produktionsmitteln abgeschafft. Räte sollen auf allen Ebenen die Funktionen der Produktions- und Konsumtionsplanung und der Verteilung übernehmen. Zitat: »So legt jeder Verbraucher bzw. Verbraucher-Innenrat einen Konsumplan vor: Einzelpersonen ihre individuellen Wünsche (Kleidung, Lebensmittel …), die Wohngebietsräte die genehmigten Bestellwünsche ihrer Mitglieder sowie die jeweiligen kollektiven Wünsche (Schwimmbad, Parkanlagen etc.). Entsprechende Zusammenfassungen erfolgen auch auf den höheren Ebenen. Analog dazu schlägt auch jeder an der Produktion Beteiligte einen Plan zur Umsetzung vor, die der Betrieb insofern zusammenfaßt, als er die vorgesehene Gesamtproduktion sowie die dafür ggfs. benötigten Inputs auflistet. Die Föderationen aggregieren diese Angaben weiter und verfolgen auch evtl. Überstände und Fehlmengen. Anschließend wird über alle Vorschläge verhandelt, die dabei natürlich weiter überarbeitet werden müssen.« Wenn ein derart kompliziertes Abgleichungssystem zwischen Konsumtions- und Produktionssphäre auf allen Ebenen von der Basis bis zur nationalen Spitze mit mehreren Durchgängen rauf und runter nicht alsbald im Chaos enden soll, muß sich mit Notwendigkeit eine mächtige Bürokratie herausbilden. Das hat die Planwirtschaft des Realen Sozialismus bewiesen und dennoch oft genug Schiffbruch erlitten, so daß doch wieder Marktmechanismen zugelassen werden mußten. Gegen diesen Vorwurf argumentiert Albert mit seinem radikal-demokratischen Ansatz, wonach eine Klasse der Nomenklatura gar nicht erst entstehen könne. Doch gerade aus seiner angestrebten totalen Basisdemokratie entwickelt er für mein Verständnis Horrorszenarien. So sollen beispielsweise die Arbeiterräte in den Betrieben jedem und jeder ein »Tätigkeitsbündel« zuweisen, das zufriedenstellende wie auch ungeliebte Tätigkeiten einigermaßen ausgewogen enthalten muß – der Gehirnchirurg soll auch einmal eine Stunde lang Bettpfannen leeren, na gut, aber muß man ihn dazu zwingen? Die Möglichkeiten zum Mobbing bekämen meines Erachtens ganz neue Dimensionen. Die KollegInnen in den jeweiligen Räten sollen außerdem beurteilen, ob jemand sich Mühe gibt oder bummelt (Ausbildung, natürliche Begabung oder körperliche Konstitutionsunterschiede dürfen keine Rolle spielen). Dieser so beurteilte »Einsatz« wie auch die Länge der Arbeitszeit sind dann ein Maß dafür, was der oder die Einzelne konsumieren darf. Ähnlich sollen die »VerbraucherInnenräte« über ungewöhnliche Konsumwünsche ihrer Mitglieder entscheiden. Das sind Programme zum gegenseitigen Schikanieren. Wie sie mehr Solidarität bewirken sollen, ist mir nicht vorstellbar. »Every Brother or Sister is watching You«! Fazit: »Parecon« hat mit Sozialismus wenig, mit Kommunismus gar nichts zu tun. Schließlich streben KommunistInnen eine Gesellschaft an, in der nicht der Mangel verwaltet, sondern »alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen« und wo daher gelten soll: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.« (Marx in »Kritik des Gothaer Programms«). Ziel ist eine »Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.« (Kommunistisches Manifest). In Michael Alberts »Parecon-Vision« ist von Ersterem zu wenig, von Letzterem gar nichts mehr zu erblicken. Wenn derart ein »Leben nach dem Kapitalismus« aussehen soll, würden wohl auch die meisten Linken gern noch ein bißchen länger den Kapitalismus genießen wollen. Otto Meyer Michael Albert: »Parecon - Leben nach dem Kapitalismus«, Trotzdem Verlagsgenossenschaft, 300 Seiten, 18
Bernd C. Hesslein 85Es stand vor kurzem in Ossietzky : »Es ist an der Zeit, seinen Laden zu schließen.« Mit dem Laden war nichts geringeres gemeint als der BND, der Bundesnachrichtendienst. Bernd C. Hesslein hatte sich mit dem Agenten beschäftigt, der die frühe Information über die Entführung des Bundesbürgers el-Masri durch die CIA nicht für berichtenswert gehalten hatte. Es sind die scharfe Analyse und solche konsequenten Schlußfolgerungen, die die Arbeit des Journalisten und Publizisten Bernd C. Hesslein ausmachen. Daß seine Themen sich bevorzugt aus dem Bereich Bundeswehr und Sicherheitspolitik rekrutieren, hat einen biografischen Grund: Hesslein hat als Unteroffizier der Wehrmacht (in englischer Gefangenschaft kurioserweise nachträglich noch zum Leutnant befördert) an allen Fronten den Zweiten Weltkrieg mitgemacht und hat es sogar mit Begeisterung getan. »Ja, ich war ein Landsknecht,« hat er einmal in einer Diskussion mit Schülern freimütig eingestanden, »ich hatte 1939 eine große Gier auf diesen Krieg und hätte wahrscheinlich auch jeden anderen Krieg geführt.« Am Ende stand mehr als Katzenjammer. 1945, da wurde er 23 Jahre alt, ging ihm schnell auf, daß er im Dienste eines unmenschlichen Systems an einem verbrecherischen Krieg teilgenommen hatte. Ohne sich dessen bewußt geworden zu sein. Das schlechte Gewissen darüber hat ihn bis heute nicht losgelassen. Und es hat das Motto begründet, mit dem er seit Jahrzehnten gegen alles zu Felde zieht, was friedliches Zusammenleben gefährdet: Null Toleranz. Ebenso unerbittlich prangert er die Tricksereien in der Politik oder einen beschönigenden Umgang mit der deutschen Geschichte an. Seine Fernsehserie »Wiederbegegnung mit uns selbst – deutsch-deutsche Legenden« ist dafür ein herausragendes Beispiel. Er vertritt darin die These, daß die Deutschen nicht aus eigener Kraft zur Wiedervereinigung fanden, sondern auf dem Weg dahin getragen werden mußten. Zu den Toten an der deutsch-deutschen Grenze stellt er mahnend fest: »Es wurde geschossen, weil Soldaten dazu ausgebildet werden.« Daß er daraufhin von den konservativen Rundfunkräten verunglimpft wurde und von seinem Haussender, dem Norddeutschen Rundfunk , dem er lange als Redakteur gedient hatte, keine Aufträge mehr erhielt, war ihm der Einsatz wert. Wie er sich überhaupt in seinem Denken und Handeln weder von möglichen Vorteilen noch von zwangsläufigen Nachteilen hat bestimmen lassen. Und es auch in Zukunft nicht tun wird. Bernd C. Hesslein wird am 12. August 85 Jahre alt. Karl-Heinz Harenberg
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Press-KohlIm Magazin der Berliner Zeitung plauderte »tl.« über einen portugischen Blumenhändler. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft haben auch wir Bekanntschaft mit vielen interessanten Sprachen gemacht, die es außer dem Berlinigen noch so gibt auf dieser schönen Erde: großbritannich, ukrainös, ghanamedon, niederlandläufig, polonal und so weiter. Wir begossen unsere Freundschaft zu elf Elfmeteorologen mit einem guten portugischen Tropfen. Dieser Tropfen entwickelte sich im Verlauf des Abends zu circa sieben Schoppen, so daß ich mich am nächsten Morgen etwas polyglotzig fühlte. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 15/2006 |
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