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Die Darsteller ließen sich von der umständlichen Dramaturgie nicht anfechten und spielten kräftig drauf los, bauten schnell ihre Szenen um und beherrschten ihre Technik einigermaßen. Spätestens dabei müssen sie gemerkt haben, daß sie nicht Film machen, sondern Theater. Sie zerstückten sich die Geschichte, entschärften das soziale Bild, brachten sich teilweise um den Spaß bissiger und kritischer Satire, hatten indes ihren eigenen Theaterspaß. Gut, daß es solche Gruppen gibt, die mit Lust spielen. Selbst, wenn sie die nicht oft über die Rampe bringen und man viel vergebliche Anstrengung merkt, lustig sein zu wollen. Ostwärts zum Salzufer in Charlottenburg. Im Teatr Studio saßen »Zwei auf einer Bank«. Das nachdenklich machende Park-Stück von Alexander Gelman, dem jüdisch-russischen Dramatiker, ist einst über viele Bühnen der DDR und Osteuropas gelaufen und hat Vergnügen und Einsicht vermittelt. Nun erstand es auf dieser deutsch-polnischen Studiobühne der Transform-Schauspielschule wieder auf – als Diplominszenierung von Janina Szara. Die jungen Mimen spielten gut, man merkte den Unterschied zu den Zehlendorfer Amateuren. Sie enthüllten, wie sie sich vor drei Jahren kennen gelernt hatten (One-Night-Stand) und warum sie nicht zusammenkommen konnten. Ein enthüllendes Sozial-Psycho-Drama, das heute vielleicht noch stärker wirkt als damals. Tschechows frühes Stück »Platonow«, einst vom Autor zurückgehaltener Riesentorso, Schatzkammer seines späteren Werks, war in Berlin in den letzten Dezennien schon oft zu sehen. Nun versuchte sich in der Charlottenburger Schaubühne am Lehniner Platz Luk Perceval an diesem Stück. Er ließ 15 Darsteller fast vier Stunden lang sich und das Publikum quälen, angeführt von Thomas Bading in der Titelrolle. Schwer zu fassen: Dieser einst vielversprechende Schauspieler labert sich so durch. Die Bühne von Annette Kurz ist kahl und kalt und leer. Der »Leere Raum« wie bei Peter Brook müßte von Schauspielern erster Güte gefüllt werden, von starken und warmblütigen. Kaum etwas davon. Daß der Inhalt, die traurige Geschichte eines einstigen Hoffnungsträgers und späteren Versagers vor einer häßlichen Welt, der sich und mehrere Frauen zerstört, erkennbar blieb, beweist, daß des Dichters Werk nahezu unzerstörbar ist. Statt eines Programmheftes gab es eine DVD sowie Erdäpfel und Wodka. Der half diesem Platonow auch nicht auf. So wenig wie Josef Bierbichlers wohlgeschwungene Axt dem nur für ihn geschriebenen Text »Holzschlachten« aufhalf. Gewogen und für die Bühne zu leicht befunden. Doch da ist etwas, was dieses Spiel halbwegs rechtfertigt. Bierbichler spricht einen Monolog von Bruno Schirra nach Motiven aus Interviews mit dem KZ-Arzt Hans Münch, der 1947 im Krakower Auschwitz-Prozeß zu Unrecht freigesprochen wurde. Zynisch gab er später seine Mordtätigkeit preis, bezeichnete die »Endlösung« als human und das Sterben in den Gaskammern als »Therapie«. Ethische Probleme hatte Münch niemals, nur technizistische. Vor diesem »Erbe« will Bierbichler warnen. Seine Wut lebt er dann am Holz aus. Sicher ehrlich gemeint. Aber hier irrte der große Schauspieler mit seinen Mitteln. Das Gespenstische eines profitablen Irrwahns, das in Auschwitz Realität wurde, ist mit Mitteln des bayrischen Bauerntheaters nicht darstellbar. Erstaunlich, diese Naivität eines Künstlers, der einst Brechts »Galilei« gegeben hat. Charlottenburg ist Schauplatz des Romans »Cengiz & Locke«, den der kroatische Autor Zoran Drvenkar für das Grips-Theater im Bezirk Tiergarten dramatisiert hat. Hauptfigur Cengiz ist Türke, will aber Mongole sein. Schwieriges Milieu: konservativer türkischer Vater, neurotische deutsche Mutter, deutsch-türkische Bande, als Gegner »Yugos«, Straßenmord, dagegen eine feste Jungenfreundschaft, Tragödie der untersten Art (»Du wirst geboren, wächst auf und bist 'n kleiner Haufen Scheiße«) und etwas Märchen. Frank Panhans hat das, besonders im ersten Teil, in hastigem Tempo inszeniert, mit viel elektronischem Krach, lautstarkem, nicht eben gutem Sprechen, Rollen- und Perücken-Wechsel. Ein Klassiker wie »Linie 1« wird daraus nicht. Das Ganze ist zu fetzig, um aggressiv sozialkritisch zu sein. Lustigkeit oft am falschen Platz. Vielleicht wäre der Ton einer schaurigen Moritat geeigneter. Oft führt mich mein Weg nach Kreuzberg zur Theatergruppe Hebbel am Ufer mit ihren drei Häusern. Sie bringen so viel, daß man nicht alles sehen kann, auch nicht alles sehen muß. »Allein das Meer« von Paul Binnert nach Amos Oz fiel mir auf, eine Inszenierung aus Halle. Oz zieht mich immer an, und die von sieben Menschen erzählten Geschichten berührten mich auch szenisch. Von den beiden »Nationaltheatern« Mannheim und Weimar kam »Wallenstein« von dem Autorenpaar Rimini-Protokoll (Haug/Wetzel). Ein ehemaliger CDU-Oberbürgermeister steht auf der Bühne und erzählt aus seiner politischen Biographie, unter anderem wie er von seiner Partei aufgebaut und dann fallengelassen ward. Politikgeschäft wie eh und je. Nicht schlecht fürs Theater. Doch wozu mußte Schillers »Wallenstein« herangezogen werden? Das erschien mir recht gewaltsam, nicht überzeugend. »Kuden + Die Zofen/ The Maids« vom Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin in Zusammenarbeit mit Kollegen der Columbia University New York: Anknüpfend an die japanische Tradition des »Kuden« probieren Schauspielstudenten Schauspieltheorien von Grotowski, Mejerhold, Schlemmer und anderen an Texten von Gertrude Stein, Calderon und Artaud aus, schließlich an Genets »Zofen«. Theoretisch gewiß interessant, praktisch kam das Ganze recht schwergewichtig an, roch zu sehr nach Theorie. Da fehlten Spielwitz und auch Tiefe, die eher aus Emotion als aus Tüftelei kommt. Dennoch: Nichts gegen Theoriebildung bei Schauspielern! Im vergangenen Jahr verschaffte uns Hebbel am Ufer das außergewöhnliche Erlebnis des Teatro Oficina aus Sao Paulo. Diesmal gab es eine ganze Woche »Brasil em Cena« – nicht zu bewältigen. Hier nur zwei Erwähnungen: »Ensaio. Hamlet Probe. Hamlet« aus Rio de Janeiro. Das war mehr als eine Probe, es war eine Erkundung als Fragment, eine Debatte in Kunstform, mit dem Eingeständnis der Kapitulation vor der Größe des Stückes – aus Ehrfurcht. Außerdem »O Assalto. Der Überfall« von José Vicente. Aus einem Kriminalfall (Geldraub in einer Bank, Täter ist ein Mann aus der Führungsetage, der einen andern mit hineinzieht) entwickelt sich eine große, auch absurd-komische Geschichte zwischen den beiden schwulen Männern, zugleich aber auch ein bedrückendes Gesellschaftsbild. Verstörendes Ende. Packend inszeniert von Marcelo Drummond, gespielt von Ferrari und Araujo, die wir bereits aus »Krieg in Sertao« kennen. Hier macht Theater Lust. Unser Weg endet in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. »Berlin Alexanderplatz« nach Döblin von Castorf. Über fünf Stunden waren angesagt – bei glühender Hitze. Ein Unglücksfall entließ uns nach weniger als drei Stunden. In einer äußerst exzessiv gespielten Kampfszene zwischen zwei Frauen verletzte sich Bibiana Beglau (Mieze) so, daß die Vorstellung abgebrochen und sie ins Spital gebracht werden mußte. Die Schauspieler leisteten schier Übermenschliches an Kraft, Sportlichkeit, Willen und Aufwand. Die Sprache Döblins blieb im Schreien stecken. Die Körper verloren sich im Riesenraum, die Poesie ging verloren, Gedanken erst recht. Und der Erzählfluß war eher der eines reißenden Bergbaches voller Felsen und Schnellen, nicht der des Großstadtstromes. Was Döblin wollte, ist nachlesbar. Was Castorf will, ist so recht nicht erkennbar. »Überlebensanarchistischer Impuls gegen die Ordnung«, wie es im Theaterbrief heißt? Mich deucht, ein Entwurf von Ordnung (im großen Sinne allgemeiner Gesetze) gegen das Chaos, das auf Dauer unlebbar ist, zumindest wenn der Gegenpol fehlt, wäre nützlicher, wichtiger, schöner.
Erschienen in Ossietzky 15/2006 |
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