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Alles andere ist Lärm und Propaganda. 1982 sagte US-Außenminister Alexander Haig zu Ariel Sharon, vor der Invasion brauche man eine »klare Provokation«, um die erforderliche Akzeptanz in der Weltöffentlichkeit zu schaffen. Die Provokation fand dann auch statt, genau zum richtigen Zeitpunkt: Abu-Nidals Terrorbande versuchte, den israelischen Botschafter in London zu ermorden. Der Anschlag hatte zwar keine Verbindung mit dem Libanon und noch weniger mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (die mit Abu Nidal verfeindet war), aber er erfüllte den Zweck der Provokation, auf die man gewartet hatte. Diesmal lieferte die Hisbollah die notwendige Provokation durch die Gefangennahme zweier israelischer Soldaten. Jeder weiß, daß die beiden nicht anders als durch Gefangenenaustausch befreit werden können. Aber die große Militäraktion, die seit Monaten vorbereitet war, wurde der israelischen und internationalen Öffentlichkeit als Rettungsmaßnahme verkauft. Dasselbe war zwei Wochen vorher im Gazastreifen geschehen. Die Hamas und ihre Mitstreiter nahmen einen israelischen Soldaten gefangen, und damit war eine massive israelische Operation gerechtfertigt, die seit langem vorbereitet war und deren Ziel es ist, die palästinensische Regierung zu demolieren. Erklärtes Ziel der Aktion im Libanon ist es, die Hisbollah von der Grenze zu vertreiben, damit es ihr unmöglich wird, weitere Soldaten gefangen zu nehmen und Raketen auf israelische Städte abzufeuern. Die Invasion in den Gazastreifen zielt offiziell auch darauf ab, Sderot und Ashkelon aus der Schußweite der Qassam-Raketen zu bringen. Das erinnert an die »Operation Frieden für Galiläa« 1982. Damals wurde der israelischen Öffentlichkeit und der Knesset erklärt, das Kriegziel sei, die Katjuschas 40 Kilometer weg ins Landesinnere abzudrängen eine bewußte Lüge; denn elf Monate lang war keine einzige Katjuscha-Rakete über die Grenze geschossen worden. Von Anfang an war es das eigentliche Ziel der Operation, Beirut zu erreichen und dort einen Quisling-Diktator einzusetzen. Sharon selbst hatte mir das neun Monate vor dem Krieg gesagt, und ich habe es damals mit seinem Einverständnis veröffentlicht, ohne ihn direkt zu zitieren. Selbstverständlich hat die jetzige Operation auch sekundäre Ziele aber die Befreiung der Gefangnen gehört nicht dazu, denn sie ist bekanntlich nicht mit militärischen Mitteln zu erreichen. Möglich erscheint hingegen die Zerstörung einiger der Tausende von Raketen, die die Hisbollah während der letzten Jahre gehortet hat. Für dieses Ziel sind die Armeechefs bereit, die Bewohner israelischer Städte zu gefährden, die den Raketen ausgesetzt sind. Sie glauben, das lohne sich, wie ein Austausch von Schachfiguren. Ein anderes sekundäres Ziel ist es, die Abschreckungsmacht der Armee wiederherzustellen. Mit dieser Formulierung umschreibt man den Wunsch der Armee nach Rehabilitierung ihres Stolzes, der durch die gewagten Aktionen der Hamas im Süden und der Hisbollah im Norden schwer gelitten hat. Offiziell verlangt die israelische Regierung, daß die Regierung des Libanon die Hisbollah entwaffnet und aus dem Grenzgebiet entfernt. Die derzeitige Regierung in Beirut ein empfindliches Gefüge ethno-religiöser Gemeinschaften wird dazu kaum imstande sein. Die leichteste Erschütterung könnte das ganze Gebäude zum Einsturz bringen und den Staat in vollkommene Anarchie stürzen besonders nachdem es den Amerikanern gelang, die syrische Armee zu vertreiben, das einzige Element, das jahrelang für etwas Stabilität gesorgt hatte. Nun kalkuliert man, die israelische Luftwaffe müsse nur genügend schwere Schläge gegen die libanesische Bevölkerung austeilen und dabei die See- und Flughäfen lahm legen, die Infrastruktur zerstören, die Wohnviertel bombardieren, die Schnellstraße Beirut-Damaskus unterbrechen und so weiter, dann werde die Öffentlichkeit auf die Hisbollah wütend werden und die libanesische Regierung unter Druck setzen, damit Israels Forderungen erfüllt würden. Da die gegenwärtige Regierung dazu nicht einmal im Traum stark genug sei, werde der nächste Schritt die Einsetzung eines Diktators durch Israel sein. Das ist militärische Logik. Ich habe meine Zweifel daran. Näher liegt die Vermutung, daß der größte Teil der Libanesen wie jedes andere Volk auf der Welt reagieren wird: mit Zorn und Haß gegen die Invasoren. So geschah es 1982, als die Schiiten im Süden des Libanon bis dahin so gefügig wie ein Fußabstreifer sich gegen die israelischen Besatzer erhoben und die Hisbollah gründeten, die die stärkste Kraft im Lande wurde. Wenn die libanesische Elite sich nun als Kollaborateure Israels erweisen sollte, wird sie weggefegt. (Aproposs: Haben denn die Qassams und Katjuschas die israelische Bevölkerung veranlaßt, auf ihre Regierung Druck auszuüben, damit sie aufgibt? Im Gegenteil.) Die amerikanische Politik ist voller Widersprüche. Präsident Bush wünscht im ganzen Nahen Osten »Regimewechsel«. Das gegenwärtige libanesische Regime wurde aber erst kürzlich von den Amerikanern eingesetzt. Inzwischen gelang es Bush lediglich, einen Bürgerkrieg zu verursachen. Dasselbe könnte im Libanon gelingen, wenn er nicht beizeiten die israelische Armee stoppt. Zudem könnte ein vernichtender Schlag gegen die Hisbollah nicht nur die Wut des Iran anheizen, sondern auch die der Schiiten im Irak, auf deren Unterstützung sich Bushs Pläne eines pro-amerikanischen Regimes gründen. Und wie sollte nun die Antwort lauten? Nicht zufällig hat die Hisbollah ihren Überfall und die Entführung der beiden Soldaten zu einem Zeitpunkt unternommen, als die Palästinenser um Beistand riefen. Die palästinensische Sache ist in der ganzen arabischen Welt populär. Indem die Hisbollah zeigt, daß sie ein Freund auch in der Not ist, während alle anderen Araber schmählich versagen, hofft sie ihre eigene Popularität zu vergrößern. Gäbe es bereits ein israelisch-palästinensisches Abkommen, dann wäre die Hisbollah nur mehr ein lokales libanesisches Phänomen, ohne Einfluß auf die Situation in Israel. Doch die Regierung Olmert, noch keine drei Monate im Amt, hat Israel in einen Zwei-Frontenkrieg gezogen, dessen Ziele unrealistisch und dessen Folgen unabsehbar sind. Die israelische Öffentlichkeit ist vom Krieg gar nicht begeistert. Sie hat sich stoisch-fatalistisch damit abgefunden, weil man ihr erzählt hat, es gebe keine Alternative und wirklich, wer könnte gegen ihn sein? Wer möchte nicht, daß die »entführten Soldaten« befreit werden? Wer möchte nicht, daß die Katjuschas entfernt werden und die Abschreckung wieder funktioniert? Kein Politiker wagt es, die Operation in Frage zu stellen (außer den arabischen Knessetmitgliedern, die von der jüdischen Öffentlichkeit ignoriert werden). In den Medien herrschen die Generäle und nicht nur die in Uniform. Es gibt fast keinen früheren General, der nicht von den Medien eingeladen wird, um zu kommentieren, zu erklären und zu rechtfertigen und alle sprechen mit einer Stimme. Dazu eine kleine Illustration: Israels bedeutendster Fernsehsender lud mich zu einem Interview über den Krieg ein, nachdem bekannt geworden war , daß ich an einer Anti-Kriegs-Demonstration teilgenommen hatte. Ich war ziemlich überrascht. Aber nicht lange. Eine Stunde vor der Sendung, rief ein sich entschuldigender Talkshowmaster an und sagte, es habe sich ein schrecklicher Fehler eingeschlichen: Man habe nämlich Professor Shlomo Avinery, den früheren Generaldirektor des Außenministeriums, einladen wollen. Auf den kann man zählen, wenn es darum geht, das Regierungshandeln mit abgehobener akademischer Sprache zu rechtfertigen ganz gleich welches. »Inter arma silent musae« (wenn die Waffen sprechen, schweigen die Musen), heißt ein altes Sprichwort. Hier paßt besser: Wenn die Kanonen donnern, hört das Gehirn auf zu arbeiten. Nur noch ein kleiner Gedanke: Als der Staat Israel in der Mitte eines grausamen Krieges gegründet wurde, waren die Wände mit Plakaten zugepflastert, auf denen folgendes zu lesen war: »Das ganze Land eine Front, das ganze Volk eine Armee!« Seitdem sind 58 Jahre vergangen, doch der Slogan ist noch genau so gültig wie damals. Was sagt das über die Generationen von Staatsmännern und Generälen aus? Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz
Erschienen in Ossietzky 15/2006 |
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