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Himbeeren, Pfirsiche, Reineclauden und vor allem die hellblauen, duftenden Zaunwicken im schmalen Gärtchen am steilen Hang des Hügels sind Teil meiner Kindheit. Wenn meine Großmutter und ich an Sommerabenden zum Gießen hinaufgingen, stellten wir uns zuerst oben auf der Kuppe unter die alte Linde – die im Dorf liebevoll »das Bäumchen« genannt wurde – und schauten weit ins goldgelb leuchtende thüringische Ernteland. Wir wußten: Über Langensalza mit seiner großen Marktkirche hinweg in die Merxlebener Richtung gesehen, weit hinten, fand einst die berühmte Schlacht statt, Hannoveraner gegen Preußen. Mein Urgroßvater hat an diesem sicheren Platz hier oben den grummelnden Kanonendonner noch selbst gehört und die Explosionswölkchen in der Ferne gesehen. Vor mir liegt ein abgegriffenes, in Kaliko gebundenes Bändchen aus seinem Besitz: »Der Kampf bei Langensalza am 27. Juni 1866«, ein Gedenkbuch von Hermann Gutbier. Dieser ortsansässige Chronist war preußischer Untertan in dem seit 1815 preußischen Landstädtchen. Ich blättere in dem Büchlein und denke: Geschichte hat keinen Anfang. Was Menschen einander angetan haben, hat Ursachen, und diese Ursachen haben Ursachen haben Ursachen und so fort, immer weiter und weiter zurück. In unseren Tagen rücken das sogenannte »Unrecht der Vertreibung der Deutschen« und die »Tapferkeit unserer Soldaten an allen Fronten« dank Guido Knopp und seiner Leute immer mehr ins deutsch-nationale Blickfeld, als hätte nicht zuvor unser Volk andere Völker vertrieben und getötet. Der Zusammenbruch des Nazi-Reiches in Blut und Tränen und eine Befreiung, die nun keine mehr sein soll. Zurück: Der irrwitzige Überfall auf Befehl des sich schlau dünkenden Dummkopfs Adolf Hitler auf den Sender Gleiwitz. Görings großmannssüchtige Erprobung seiner für kurze Zeit überlegenen Luftwaffe im baskischen Guernica. Die revanchistische Empörung über die »Schmach von Versailles« – Schmach für den Aggressor und Verlierer. Die deutschen Bürgerkriegsmetzeleien von militärisch aufeinander abgestimmten Freikorps und sozialdemokratisch kommandierter Reichswehr. Eine halbe Revolution zuvor, ausgelöst durch das Ende des verlorenen Ersten Weltkriegs. An dessen Anfang der widerrechtliche Einfall in Belgien. Zurück – zurück: Die Verwandlung der deutschen Länder in ein preußisches Kaiserreich mit tausendjähriger Verspätung. Der deutsch-französische Krieg. Die Schlacht bei Langensalza. Gutbier schreibt: »Es war unmöglich, daß Deutschland mit zwei Großmächten an der Spitze bestehen konnte. Einer von den Großstaaten mußte die Führung Deutschlands haben. Das alternde Österreich mit seiner nur zum geringeren Teil deutschen Bevölkerung nahm dieselbe kraft historischen Rechtes in Anspruch; Preußen wollte auf Grund seiner Macht in Deutschland nicht länger der ›Schleppenträger Österreichs und der Narr der Kleinstaaten‹ sein.« Das reicht schon aus zur Begründung für alles preußisch verursachte Elend, das uns Deutschen später widerfahren ist. 1864 waren im deutsch-dänischen Krieg Schleswig und Holstein selbständig geworden, nun stritten Wien und Berlin um die Beute, und der Welfenkönig Georg V. von Hannover suchte sich zu behaupten auf der Seite des vereinbarten deutschen Bundesrechts, nicht speichelleckerisch auf der des Annektionisten Preußen, denn »mediatisieren« lasse er sich nicht, lieber wolle er »mit Ehren untergehen!« Aber ehe er sich's versah, waren am 15. Juni 1866 nachmittags 1½ Uhr die preußischen Truppen bei Harburg in sein Königreich einmarschiert, darauf aus, endlich das brandenburgische Stammland mit den rheinischen Provinzen zu einem einzigen Territorium zu verbinden. Mit dem Mut des Stolzes will der blinde König nun mit seinem kleinen Heer quer durch Thüringen den Süden erreichen und seinen Bundesverpflichtungen nachkommen. Hüten wir uns, Georg als tapferen Kriegsherrn zu glorifizieren, aber reizvoll – wenn auch müßig – ist der Gedanke schon, was aus Deutschland ohne die hochmütige preußische Herrschsucht hätte werden können. Und tatsächlich, der König und sein Heer überraschen die Großmacht. An der Langensalzaer Front sind zunächst keine preußischen Truppen zur Stelle. Der Oberbefehlshaber Moltke versucht es mit einer List. Am 22. Juni, morgens 9 Uhr, läßt er den kommandierenden hannoverschen General zur Waffenstreckung auffordern: Er sei von allen Seiten umstellt. Der fällt darauf nicht herein. Aber die Hannoveraner sind ermüdet von ihren tagelangen Märschen, und die überraschten Preußen müssen mit der Eisenbahn dringend Truppenverstärkung heranbringen. Also wird ein Waffenstillstand verabredet. Und nun die preußische Hinterlist. Das Protokoll dieser ehrenhaften Waffenruhe lautet: »Es besteht bis auf Weiteres Waffenstillstand zwischen den Königlich preußischen und den Königlich hannoverschen Truppen. Der eventuelle Wiederbeginn der Feindseligkeiten wird befohlen werden.« Die Hannoveraner meinen, die Waffenruhe gelte bis zu ihrer beiderseitigen Aufkündigung. In Berlin und in Gotha, wo die zusätzlichen preußischen Truppen ankommen sollen, denkt man nur an eine Waffenruhe von 24 Stunden. Das steht nirgendwo geschrieben. Als die Truppen da sind, geht es überrumpelnd los, und das hannoversche Ende kommt schnell. Triumphierend verkündet der kommandierende preußische General von Falkenstein am 29. Juni: »Heute sind es dreizehn Tage, daß der Krieg begonnen. In dieser Zeit habt ihr ein Königreich und ein Kurfürstentum in unsere Gewalt gebracht und die ganze Königlich Hannöversche Armee hat sich uns ergeben ... Hier wüthete das Zündnadelgewehr fürchterlich in den Reihen unseres Gegners. 100 Offiziere und 1.000 Mann fielen durch dasselbe. Er lernte es kennen, daß nunmehr ein Kampf gegen einen größeren Truppenkörper seine Vernichtung herbeiführen mußte. 36 Stunden nach dem Gefechte von Langensalza legten auf derselben Stelle 20.000 Mann ihre Waffen nieder, und hiermit hat die hannöversche Armee aufgehört zu sein. Soldaten, ihr habt mir die Berechtigung zu weiteren schönen Erwartungen gegeben ...« Und diese Erwartungen gehen in Erfüllung, als alle deutschen Könige und Großfürsten und Fürsten im Spiegelsaal zu Versailles dem neuen Aller-gnädigsten Herrn ihre Ergebenheit zu Füßen legen: dem »Kartätschenprinz« aus den Tagen der Badener Republik, jetzt Kaiser »Weißbart«. Gut vier Jahrzehnte nach dieser Krönung beginnt der erste große Krieg mit Sperrfeuer und Giftgas und geächteter Munition. Mit den Habsburgern ist's dann bald vorbei, und Serbien muß sterbien – bis in unsere Tage. Das sind die zwiespältigen Eigenschaften zuerst preußischer, dann deutscher Offiziere und Soldaten seit Friedrichs II. Zeiten über die Schlacht bei Langensalza bis zum Ende des Weltkrieges Nummer zwei: Mutiges Gottvertrauen in den Sieg, wenn nur die eigene Technik der des Gegners überlegen ist und das militärische Risiko möglichst gering bleibt. Sich als glanzvollen Sieger geben mit überheblichem Großmut, jedoch nicht ohne die Neigung zu gelegentlichen blutigen Massakern unter Wehrlosen. Wenn es ernst wird, den Unterschied zwischen ritterlicher Kriegslist und feiger Hinterlist schnell vergessen. In Phasen der Schwäche zu jedem Wortbruch und jeder Täuschung bereit sein. Auf Befehl in der Lage, alle Deutschtümelei beiseite zu lassen und ohne Unterschied auch den anders denkenden deutschen Bruder einfach totzuschlagen. So geschehen zum Beispiel 1919 im Englischen Garten zu München, wo Tausende junge Männer auf den Verdacht hin, Sympathisanten der Räterepublik zu sein, erschossen wurden. Im Blutrausch und wie am Fließband.
Erschienen in Ossietzky 15/2006 |
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