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In den Ossietzky- Heften 13 und 14 berichteten wir über die vielfach verschwiegene vorsorgliche »Dienstliche Erklärung« des Bundeswehr-Oberstleutnants Jürgen Rose an seine Vorgesetzten, mit der er sich vor einer Teilnahme an grundgesetzwidrigen Kriegshandlungen schützen will. Wir empfahlen den Vorgang zur gefälligen Kenntnisnahme in Kasernen und Feldlagern vom Balkan bis zum Hindukusch und lasen zugleich Manfred Messerschmidts Buch »Die Wehrmachtjustiz 1933–1945«. Auf Seite 286 zitiert der Autor aus den »10 Geboten für die Kriegführung des Deutschen Soldaten«, einem Merkblatt, das als Heeresdienstvorschrift (HDv) Nr. 231 vom Oberkommando der Wehrmacht im Jahr 1942 herausgegeben wurde und, obwohl in die Soldbücher eingelegt oder eingeklebt, zu den weithin unbekannten Schriften zählte. Warum wohl? Messerschmidt verweist auf den Anfang des 3. Gebotes: »Es darf kein Gegner getötet werden, der sich ergibt ... « Wie ist das mit dem millionenfachen Tod von Gefangenen zu vereinbaren? Mit den »Probevergasungen« sowjetischer Kriegsgefangener? Vom Kommissarbefehl und anderen direkten Mordanweisungen nicht zu reden. Wir legen hier das dem deutschen kollektiven Gedächtnis entschwundene Merkblatt in seiner ganzen vergeblichen Pracht vor. Da heißt es: In der Wehrmacht des Dritten Reiches sind die Soldaten durch Unterricht, Dienstanweisung und Befehle eingehend mit den für sie in Betracht kommenden völkerrechtlichen Bestimmungen vertraut gemacht worden. Jeder deutsche Soldat hat als Merkblatt folgende 10 Gebote für die Kriegführung des deutschen Soldaten in seinen Händen: I. Der deutsche Soldat kämpft ritterlich für den Sieg seines Volkes. Grausamkeiten und nutzlose Zerstörungen sind seiner unwürdig. 2. Der Kämpfer muß uniformiert oder mit einem besonders eingeführten weithin sichtbaren Abzeichen versehen sein. Kämpfen in Zivilkleidung ohne ein solches Abzeichen ist verboten. 3. Es darf kein Gegner getötet werden, der sich ergibt, auch nicht der Frei-schärler und der Spion. Diese erhalten ihre gerechte Strafe durch die Gerichte. 4. Kriegsgefangene dürfen nicht mißhandelt oder beleidigt werden. Waffen, Pläne und Aufzeichnungen sind abzunehmen, von ihrer Habe darf sonst nichts weggenommen werden. 5. Dum-Dum-Geschosse sind verboten. Geschosse dürfen auch nicht in solche umgestaltet werden. 6. Das Rote Kreuz ist unverletzlich. Verwundete Gegner sind menschlich zu behandeln. Sanitätspersonal und Feldgeistliche dürfen in ihrer ärztlichen bzw. seelsorgerischen Tätigkeit nicht gehindert werden. 7. Die Zivilbevölkerung ist unverletzlich. Der Soldat darf nicht plündern oder mutwillig zerstören: Geschichtliche Denkmäler und Gebäude, die dem Gottesdienst, der Kunst, Wissenschaft oder der Wohltätigkeit dienen, sind besonders zu achten. Natural- und Dienstleistungen von der Bevölkerung dürfen nur auf Befehl von Vorgesetzten gegen Entschädigung beansprucht werden. 8. Neutrales Gebiet darf weder durch Betreten oder Überfliegen noch durch Beschießen in die Kriegshandlung einbezogen werden. 9. Gerät ein deutscher Soldat in Gefangenschaft, so muß er auf Befragen seinen Namen und Dienstgrad angeben. Unter keinen Umständen darf er über Zugehörigkeit zu seinem Truppenteil und über militärische, politische und wirtschaftliche Verhältnisse auf der deutschen Seite aussagen. Weder durch Versprechungen noch durch Drohungen darf er sich dazu verleiten lassen. 10. Zuwiderhandlungen gegen die vorstehenden Befehle in Dienstsachen sind strafbar. Verstöße des Feindes gegen die unter 1 bis 8 angeführten Grundsätze sind zu melden. Vergeltungsmaßregeln sind nur auf Befehl der höheren Truppenführung zulässig. Offiziere und Wehrmachtsbeamte sind durch umfangreichere Merkblätter unterwiesen worden. Ferner sind die vökerrechtlichen Abkommen zum Gebrauch für die Truppe in besonderen Dienstvorschriften zusammengestellt worden. Das also ist die HDv Nr. 231 von 1942, die für jeden Wehrmachtangehörigen galt, im Unterricht durchgekaut und ins Soldbuch eingefügt wurde. Man frage einen damaligen Soldaten, ob er davon noch etwas weiß. Der allgemeine Erinnerungsschwund der Wehrmachtkameraden gleicht dem aktuellen Gedächtnisverlust der Bundeswehr nach dem Krieg gegen Jugoslawien und schon während des Krieges. Was zählen denn 10 christliche oder zehn wehrmachtliche Gebote oder die des Grundgesetzes, wenn der Angriffsbefehl kommt. Da stehen dann ein paar Treudienstler wie Jürgen Rose von Gott und Regierung verlassen in der Gegend. Was ist ein Papier noch wert, wenn es um Macht geht, um Kapital und Blut. Die Terroristen sind immer die anderen. Was gilt das Völkerrecht, wenn ein Führer, Präsident, Minister es zu brechen befiehlt. Das ist die Kardinalfrage. ... dir general du wildes vieh / dir wünsch ich ein geschoß ins knie / und auch – damit die rechnung ganz – / drei kugeln in den steifen schwanz ... – so schön robust dichtete ich in der Erstfassung meines Antikriegszyklus anno 1943 im Schützengraben von Monte Cassino. Als die leicht geglättete Version 1962 in »Gesänge auf dem Markt« bei Kiepenheuer und Witsch in Köln erschien, war dort der alte Kardinal sauer und die junge Bundeswehr geschockt. Nur das Lesepublikum applaudierte. Es wußte noch, was Krieg ist. Am 21. 3. 2000 berichtete die Süddeutsche Zeitung über deutsche Tornado-Piloten, die gerne Helden wären und von sich sagten: »Man muß den Hebel im Kopf von Peace auf War umlegen.« Die Flieger hatten sich 1999 allerdings als »Helden ohne Anerkennung« gefühlt. Wofür wollten sie anerkannt werden? Fürs »Eindringen in den Luftraum eines fremden Landes ohne jedes Mandat der Völkergemeinschaft.« Es war, wir erinnern uns, im Frühjahr 1999, als Jugoslawien bombardiert wurde , aber: »Noch lange danach, im Herbst 1999, haben sich hohe Militärs Seminare bei Generalbundesanwalt Kay Nehm in Karlsruhe geben lassen über die verfassungs- und völkerrechtliche Legitimation des Kosovo-Krieges. Auch er konnte die Herren nicht mit einem Freibrief nach Hause schicken.« Laut SZ hatten die Kommandeure also Skrupel. Wir wundern uns. Am zweihundertfünfzehnten Tag des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses, Freitag, 30. August 1946, erklärte Oberst Telford Taylor, beigeordneter Ankläger der USA: »Der deutsche Militarismus wird, wenn er wieder kommt, nicht unbedingt unter der Ägide des Nazismus auftreten. Die deutschen Militaristen werden sich mit jedem Mann und jeder Partei verbünden, die ihnen eine Wiedergeburt der deutschen bewaffneten Macht verspricht.« Dieser Herr Oberst war ein Prophet. Wir werden uns mit seiner Weisheit noch ein wenig befassen müssen. Warum nur fällt mir da ausgerechnet Peter Scholl-Latour ein, der die USA aus solider Sachkenntnis vor dem Irak-Krieg warnte? Vom Völkerrecht nicht zu reden. (Fortsetzung folgt)
Erschienen in Ossietzky 15/2006 |
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