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Zwar wurde die Bundesnetzagentur mit wirksamen Kontrollinstrumenten ausgestattet: Informationsanspruch, Untersuchungsbefugnissen, Sanktionsmöglichkeiten, wovon sie aber wenig Gebrauch macht. Sowohl bei der Preis- als auch bei der Leistungskontrolle hat sie schmählich versagt. (Man denke an die Entwicklung der Strom- und Bahnpreise und an die Servicedefizite bei Post und Bahn.) . Starkes Interesse an den Profitmöglichkeiten im Brieftransport zeigen die Eigentümer regionaler Zeitungsverlage. Angesichts sinkender Zeitungsauflagen erhoffen sie sich hier ein Geschäft mit Zukunft. Vorbild sind ihnen die Fürsten von Thurn und Taxis. Deren Urahn begann im 13. Jahrhundert als lokaler Briefträger in der Lombardei. Seine Nachfahren erhielten im 15. Jahrhundert die Zuständigkeit für die kaiserliche Post im Deutschen Reich, in den Niederlanden und in Burgund. Als Generalpostmeister schöpften sie immensen Reichtum. Heute verfügt die Familie über ausgedehnte Ländereien, dicke Aktienpakete und diverse andere Wertsachen. Das Kommunikations- und Transportwesen wurde vor gut 100 Jahren verstaatlicht, weil damals – im Gegensatz zu heute – gesehen und verstanden wurde, daß bestimmte öffentliche Dienste nicht privatem Profitstreben überlassen werden durften. Der Staat erkannte seine Aufgabe als Regulator im öffentlichen Interesse. Er verbeamtete Arbeiter und Angestellte und gestaltete annähernd soziale Preise, die keinem Aktionärsvotum unterlagen. Preisfestsetzung auf Kostenbasis und häufiger Defizitausgleich der Staatsbetriebe galten als Bestandteil vernünftiger Sozial- und zugleich Infrastrukturpolitik. Züge fuhren auch in Zeiten, in denen viele Plätze frei blieben. Komplette Postdienstleistungen gab‘s vom Spreewald bis ins bayerische Hochgebirge, also nicht etwa nur in Großstädten. Pensions- und Krankenkassen, Post- und Eisenbahner-Siedlungsbau entsprachen diesem Verständnis von den Staatsaufgaben – im vorigen Jahrhundert. Inzwischen haben dumme Profitgier und Desinteresse am Gemeinwohl wieder gesiegt. Zum Beispiel dürfen sich heute Zeitungsverleger an der Wertschöpfung aus dem Brieftransport gütlich tun. Unter ihnen die Brüder Peter und Thomas Esser, Eigentümer des Mittelbayerischen Verlags mit rund 550 Angestellten. Die Mittelbayrische Zeitung ist in den Kreisen Regensburg, Cham, Kelheim, Neumarkt und Schwandorf, weiteren Teilen der Oberpfalz und Niederbayerns marktbeherrschend. Eigenwerbung: »Hier führt kein Weg an der MZ vorbei!« Die Essers machen jetzt aus dem Verlag einen komplexen Dienstleistungskonzern. Dazu gehört die MZ -Tochter City Mail GmbH (Briefdienstleistung). Ihr beigegeben sind die PZO GmbH (Pressezustellgesellschaft Oberpfalz) und die V.I.A. GmbH (Verteilung im Auftrag). Im MZ -Konzern arbeiten Angestellte für mehrere Firmen der Gruppe gleichzeitig. Das Unternehmen nutzt eben alle Optionen, auch steuerliche. City Mail GmbH kooperiert mit bundesweit tätigen Transportunternehmen und dient sich zu Kampfpreisen an. Bei der Deutschen Post AG beträgt das Porto für den Standardbrief 0,55 Euro, bei der City Mail nur 0,43 Euro. Für den Transport eines Päckchens verlangt die Post 3,90 Euro, City Mail 3,50 Euro. Das Landgericht und viele Behörden in Regensburg, Versicherungen, die Stadtsparkasse, die Siemens-Niederlassung oder der Autobauer BMW bedienen sich bereits der City Mail statt der Deutschen Post. Sie sparen rund 15 Prozent Porto-Ausgaben. Innerhalb eines Jahres vervierfachte sich der Umsatz der City Mail und liegt jetzt – Tendenz kräftig steigend – bei monatlichen 1,5 Millionen Euro. City Mail fordert Kampf-, aber keine Dumpingpreise. Die Firma macht Gewinn. Darum gründeten die Essers auch noch die BNS GmbH (Briefnetz Süd). Bei dieser können Subunternehmer für einzelne Postleitzahlbereiche in der Umgebung des MZ -Verlagsgebiets Lizenzen kaufen, dann auf Software und Know-how der City Mail zugreifen und sich damit ebenfalls ein – kleineres - Stück vom großen Kuchen abschneiden. Dem MZ- Verlag eröffnen sich dadurch für die Zukunft weitere Expansionsmöglichkeiten. In Hannover gibt die Verlagsgesellschaft Madsack GmbH & Co. KG die Hannoversche Allgemeine Zeitung und einige andere Blätter heraus. Eines ihrer vielen Tochterunternehmen heißt Citipost, Kurier- und Postdienstleistungen GmbH. Es transportiert Briefe und vertreibt ebenfalls das Knowhow in Lizenz an Subunternehmen. Im Jahr 2005 lieferte die Citipost 27 Millionen Sendungen aus. Madsack spekuliert, wie die meisten Kurierdienst-Anbieter, offenbar darauf, daß die Deutsche Post AG weitere Teile ihres Briefdienstes entweder im Konkurrenzkampf verlieren oder gegen Bares abgeben und sich noch mehr aufs Speditionsgeschäft als globaler »Logistiker« konzentrieren wird. Geld wächst nicht auf Bäumen. Wo trotz Kampfpreisen (Citipost-Standardbrief: 52 Cent) fette Gewinne eingefahren werden, müssen sie anderswo geschöpft worden sein: aus dem Mehrwert der Arbeit lohnabhängiger Menschen. Chefs und Manager der City Mail, der Citipost und vergleichbarer Betriebe beziehen Einkünfte in unbekannter Höhe. Die Teamleiter in den Kurierfirmen immerhin auch noch bis zu 3500 Euro im Monat. Bei den Bürokräften reicht die Verdienstspanne hingegen kaum mehr an 1600 Euro heran. Bei Sortierern beginnt ein Niedriglohnsektor: 8 Euro und weniger pro Stunde. Noch weniger bekommen die Zusteller. Sie arbeiten meist im Akkord. In Regensburg-Stadt zum Stücklohn von 10 bis 18 Cent, im Umland sogar nur von 2 bis 4 Cent. Die Boten auf dem Land sind zumeist Zeitungsausträger, denen mit der Postzustellung eine zusätzliche – wegen der Dokumentationspflichten und der geforderten schriftlichen Abrechnung zeitraubende – Aufgabe zugewiesen wurde. Für Großbriefe und Päckchen erhalten sie einen kleinen Zuschlag. Bundesweit sind in dieser Branche 150.000 Menschen tätig. Betriebsräte sind weithin unbekannt. In diesem finsteren Winkel der Arbeitswelt schützt kein Manteltarifvertrag. Da gilt Heuern und Feuern. Die Arbeitszeiten orientieren sich zwar an der 40-Stunden-Woche, doch werden Überstunden ohne Zuschläge verlangt, Sonder- schichten zu allen Tages- und Nachtzeiten gefahren, auch an Sonn- und Feiertagen. Es gibt keine Regeln für Zulagen, bezahlten Urlaub und Weihnachtsgeld, teilweise ist auch keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall vereinbart. Wer pausiert, verdient nichts. Nur ein Drittel aller Zusteller hat (zumeist befristete) Arbeitsverträge. Es fehlt jede berufliche, finanzielle und soziale Perspektive. Von der Arbeit dieses Heeres der Verlierer füllen sich die Essers und Madsacks den Geldsack. Auf der Verliererseite aber steht auch unser Gemeinwesen. Seine Vorleute haben vergessen, was ihre Aufgabe wäre, wenn es nach der Verfassung ginge, etwa nach dem Sozialstaatsgebot.
Erschienen in Ossietzky 15/2006 |
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