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Ostdeutschland hatte er offenbar weniger lieb, sonst hätte er Anfang der 1990er Jahre als Staatssekretär im Finanzministerium nicht maßgeblich dafür gesorgt, daß dort mittels überstürzter Währungsunion und Treuhandanstalt die sich selbst tragende Wirtschaft zerstört und Millionen von ostdeutschen Brüdern und Schwestern um ihren Arbeitsplatz gebracht wurden. Doch jetzt gehört der Osten zu »unserem Land«, das der Präsident liebt. Kürzlich, auf dem Höhepunkt des schwarz-rot-geilen Jubels, kurz vor der Niederlage der Klinsmann-Truppe gegen die »Squadra azzurra« und ihrer Metamorphose zum »Weltmeister der Herzen«, hat er noch eins draufgesetzt und gestanden, daß er »stolz auf dieses Land« ist. Meine eigene Liebe zur Bundesrepublik Deutschland geht nicht ganz so weit. Aber wie liebenswert die BRD ist, läßt sich schon an Kleinigkeiten erkennen, zum Beispiel daran, daß jeder bei jeder Gelegenheit jedem »einen schönen Tag noch« wünscht und jeder jeden, und sei es ein anerkannter Dummbartel oder ein verachteter Sittenstrolch, im Brief mit »sehr geehrter Herr« anredet. Oder ist es etwa nicht liebenswert, wenn jeder Bürger in seiner marktwirtschaftlich wichtigsten Eigenschaft, nämlich als Konsument, seit Jahrzehnten für so dämlich eingeschätzt wird, daß er bei jedem Kauf, von der Leberwurst bis zur Hundehütte, Preise, die auf 99 Pfennig oder Cent enden, für besonders vorteilhaft hält? Es muß noch gewichtigere Gründe geben, »unser Land« zu lieben. Vielleicht ein wohlgeordnetes Gesundheitswesen. Ein privilegienfreies Bildungssystem. Allseits geförderte Wissenschaft. Minimale Bürokratie. Das Fehlen jeglicher Diskriminierung (der Ostdeutschen, der Behinderten, der Frauen, der Ausländer). Die bürgernahen sympathischen Politiker von Koch bis Stoiber, von Beck bis Müntefering (den Spaßvogel Westerwelle nicht zu vergessen). Die verfassungstreuen Geheimdienste, der entschlossene Kampf gegen Neonazis und die sicheren nationalen Verteidigungslinien am Hindukusch, in Kosovo und nunmehr auch im Kongo… – Der Versuch, all diese Gründe hier näher zu beleuchten, würde schon am Einspruch des Verantwortlichen Ossietzky- Redakteurs scheitern, der zu Recht auf möglichst kurze Texte dringt. Unter diesem Druck beschränke ich mich schweren Herzens darauf, nur einen, bisher nicht genannten Grund meiner Liebe zum deutschen Vaterland in seiner derzeitigen Verfassung zu erläutern: die vorbildliche soziale Gerechtigkeit. In »unserem Land« leben 84 Euro-Milliardäre, 756.000 Euro-Millionäre sowie rund sieben Millionen ALG-2-Empfänger. Das private Gesamtvermögen beträgt fünf Billionen Euro. Davon gehört mehr als die Hälfte einem Zehntel der Haushalte, 50 Prozent der Haushalte teilen sich ganze vier Prozent des Vermögens. Milliardäre und Millionäre sind durch das Steuergeheimnis geschützt. Viele Konzernmanager, die Jahr für Jahr Millionen von Euro kassieren, sind nicht verpflichtet, ihr Einkommen offenzulegen. Vom Volk gewählte und bezahlte Abgeordnete wehren sich unter Verweis auf Datenschutz und Steuergeheimnis mit Händen und Füßen, dem Volk ihre Einkünfte aus »Nebentätigkeiten« offenzulegen. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse, vormals Parla-mentspräsident, sprach sich für Transparenz, aber dagegen aus, daß sich Abgeordnete »plötzlich nackt ausziehen« müssen. Aber diejenigen, die von geldgierigen – ich sollte wohl sagen: klug rechnenden – Unternehmern in die Arbeitslosigkeit gestoßen wurden, müssen sich beim Beantragen von ALG 2 bis aufs Hemd ausziehen und über Einnahmen »gleich welcher Art« aller Familienangehörigen, über Girokontenstand auf Euro und Cent, Sparbuch der Kinder, Lebensversicherungen, Gemälde, Schmuck und so fort detailliert Auskunft geben. Wenn ein hochqualifizierter arbeitsloser Elektroingenieur aufmuckt und nicht bereit ist, für einen Hungerlohn Spargel zu stechen, dann wird sein ALG 2 von 345 auf 241,50 Euro gekürzt. Ein ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Bankgesellschaft Berlin dagegen, Wolfgang Rupf, der mit krimineller Energie maßgeblich zum größten Skandal in der bundesdeutschen Bankengeschichte beiträgt, durch den der öffentlichen Hand ein Schaden von mehreren Milliarden Euro entsteht, erhält eine monatliche Pension von 30.000 Euro. Der Ingenieur verdankt seine ALG-2-Kürzung dem Exkanzler-Freund Peter Hartz, der von der Staatsanwaltschaft Braunschweig als ein Hauptbeschuldigter in der Sex- und Schweigegeld-Affäre des VW-Konzerns eingestuft wird und doch höchstwahrscheinlich vor allen Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe bewahrt bleiben wird. Der Unterschied besteht darin, daß der kleine Ingenieur jahrzehntelang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat und der Konzern für sein Vorstandsmitglied Peter Hartz eine sogenannte Manager-Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat. So leben sie denn friedlich nebeneinander: die vom Recht geschützten Kapitalisten mitsamt ihren Managern, Chefredakteuren und Politikern auf der einen Seite und die rechtlosen, grundlegender Menschenrechte beraubten Arbeitslosen auf der anderen. Für beide gilt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das im Kapitel »Die Grundrechte« verkündet: »Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.« Die Verfassung ist gar nicht schlecht, nur das Land ist in einer Verfassung, die es schwer macht, es aus vollem Herzen zu lieben. Die Klassengegensätze wachsen. Auch das Blatt, dem Horst Köhler seinen Stolz auf Deutschland bekundete, wies in einer milden Frage darauf hin: »Die Mehrheit der Bürger hat Schwierigkeiten, ihren Lebensstandard zu halten, gleichzeitig wird eine kleine Gruppe immer reicher. Ist es gerecht, wenn Löhne sinken und Managergehälter drastisch steigen?« Köhler antwortete: »Man kann Zweifel haben, ob sich alle Managergehälter durch Leistung ausreichend rechtfertigen.« Wahrlich, wer in einer so komplizierten Frage von Zweifel geplagt ist, verdient Liebe und Zuneigung – wie die ganze Republik, der er vorsteht.
Erschienen in Ossietzky 15/2006 |
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