Kisch und Bush und ein Sommertagstraum

Hermann Kant

Weil Sonntagnachmittag war, an dem ich gern ein wenig schlafe, und weil ich gerade – das unentbehrliche Neue Deutschland muß ich sonntags entbehren – die Zeitung aus Frankfurt gelesen hatte, wunderte ich mich nicht zu sehr, als ich telefonisch gebeten wurde, einer Journalistin oder einem Journalisten den Egon-Erwin-Kisch-Preis zu verleihen.

»Sie meinen, ich soll jemanden dafür benennen.«

»Nein, jemanden zum Preisträger ernennen.«

»In wessen Namen?«

»Namens der Vereinigten Kisch-Linken.«

»Ich dachte, der Egon-Erwin-Kisch-Preis sei abgeschafft.«

»Lediglich dessen Name.«

»Der Name Kisch ist abgeschafft?«

»Nicht der Name Kisch – nur der Egon-Erwin-Kisch-Preis.«

»Und ich soll den nun verleihen?«

»Dessen Namen. Den Namen als Preis.«

»Ist der denn frei?«

»Wir sind so frei, das anzunehmen.«

»Ich nehme an, Preisgeld gibt es keins.«

»Als Preis gibt es den unbezahlbaren Namen.«

»Dessen Empfänger ich nominiere?«

»Dieses Jahr. Im nächsten macht es der diesjährige Preisträger.«

»So über die Jahre fort als Staffette? Da lauert Willkür.«

»Die lauert immer. Man kann später eine Satzung stiften. Jetzt muß Egon Erwin von der Straße, jetzt muß für den Kisch-Preis ein Preisträger her. – Los, Mann, verleihen Sie!«

»Na gut«, sagte ich, »wenn es so eilt und weil ich weiterschlafen möchte, soll Nils Minkmar von der FAS die Auszeichnung haben. Für seine absolut entzückende Reportage ›Die Sache mit dem Schwein‹, Untertitel ›War George W. Bush wirklich in Stralsund – oder bloß in einer entvölkerten Sperrzone, die zufällig denselben Namen trägt?‹«

»Ja, hm«, sprach der Sprecher, » absolut klingt vielleicht ein bißchen absolut, und entzückend klingt ein wenig unpassend. Kisch klang und klingt rechts kaum entzückend. Andererseits ist entzückend irgendwie nicht links. Die FAS ist auch irgendwie nicht links. Ob dieser Minkmar ...«

»Keine Ahnung, ob der zum rastlos linken Reporter taugt«, warf ich ein. »Aber hirnlahm muß sein, wen sein Bericht nicht erheitert. Oder ergrimmt, weil ein durch Strawlsuund gehuschter Bush fast die Welt regiert.«

»Bush will übrigens nächstes Jahr wiederkommen«, hieß es im Telefon. »Zum G-8-Gipfel in Heiligendamm. Mit der ganzen Korona, soweit noch im Amt.«

»Heiligendamm?« sagte ich, »das ist arisiertes Sperrgebiet. Wenn ihr Journalisten da eindringen wollt, wird euch ein Schutzpatron nötig sein. Wählt Kisch dazu und stellt ihn als Paten eures Preises frei. Denn vor Heiligendamm liegt die grausame See, und vom Hinterland ist es greulich abgeriegelt; den Rest stiften die Richter. Es geht dort ähnlich zu wie in Guantanamo. – Überhaupt, warum gehen diese Gipfelmenschen nicht nach Guantanamo?«

Die Idee müsse man beschlafen, sagte der Mann, und ich tat es sogleich.

Erschienen in Ossietzky 15/2006