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NationalmannschaftenLukas Podolski und Miroslaw Klose stürmen für Deutschland. Wir haben sie aus Polen eingebürgert. In der Ukraine ist auch was zu holen. Frankreich bedient sich in Afrika, Italien in Südamerika. Arme Länder müssen ihre guten Spieler den reichen Ländern überlassen und werden dann von denen besiegt. Die Armen in den reichen Ländern dürfen darauf stolz sein. Evelyn Enzian
Vom Sinn des 11. SeptemberIn seiner Interviewreihe in der Welt am Sonntag hat Michel Friedman jetzt den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland präsentiert. »Wie ist das mit der Gerechtigkeit, Herr Huber?« ist der Text überschrieben, und gern würden wir eine bischöfliche Antwort darauf studieren. Das können wir aber nicht, denn zur »immer weiter auseinanderklaffenden Schere zwischen Arm und Reich« (Friedman) fällt Wolfgang Huber nur ein: »Es gibt Unterschiede, und es muß sie geben, weil sie Leistungsanreize sind, weil sie an Freiheit orientiert sind.« Das klingt ein bißchen reichlich lässig, was dem Ratsvorsitzenden wohl selbst aufgefallen ist, und deshalb schiebt er nach: Die »Privilegierung derjenigen, die an der Spitze sind«, müsse »erkennbare Vorteile« auch für diejenigen haben, denen es schlecht geht, und deshalb möchten doch bitte »Menschen mit wirtschaftlicher Verantwortung ihren Patriotismus nicht nur auf den Fußball, sondern auch auf die Arbeitsplätze im eigenen Land anwenden«. Dies lesend, reibt man sich die Augen, findet aber Trost in dem Gedanken, daß ein Superbischof halt nicht die Zeit hat, sich über Interessenlagen und Handlungsmotive im globalisierten Kapitalismus zu informieren. Huber ist zuständig für Kirchliches – schauen wir mal, was er da zu bieten hat: Die klassischen Religionsgemeinschaften, sagt er, haben das Schlimmste hinter sich, sie bewegen sich, »auf steinigem Weg« zwar, »aufwärts«, es gibt »ein neues Fragen nach Sinn und Heil«. Wie das? »Äußere Faktoren haben viel dazu beigetragen, vieles wird auf den 11. September zurückgeführt.« So präsentiert sich die Kirche als Kollateralnutzer massenmörderischer Akte – »Not lehrt Beten«. Allerdings ist in die prophetische Fähigkeit des Ratsvorsitzenden kein unbedingtes Vertrauen zu setzen. Er sagt nämlich auch: »Meine guten Wünsche begleiten unsere Nationalmannschaft. Ich habe ein neues Endspiel Brasilien-Deutschland schon für möglich gehalten, als alle anderen die Mannschaft noch heruntergeredet haben.« Das Interview erschien in der WamS am 2. Juli, da war Brasilien schon aus dem Rennen. Auf nichts ist mehr Verlaß, nicht einmal auf Wunschgegner – wird Wolfgang Huber sich merken müssen. Marja Winken
Frieden ist ein MenschenrechtKlaus Rauterberg ist tot. Der »Friedens-pastor«, wie ihn der Evangelische Pressedienst würdigt, starb am 4. Juni in seiner langjährigen Wirkungsstätte Sievershausen bei Hannover. Sein Einsatz für den »Frieden auf Erden« (»nicht unter der Erde«, wie er die Weihnachtsbotschaft aus Lukas 2 Vers 14 ergänzte) wurzelte in der Ostermarsch-Bewegung, die er schon in den frühen 60er Jahren durch öffentliche Ansprachen unterstützte, und in seinem Abscheu vor dem US-amerikanischen Vietnamkrieg. Mit diesem Engagement hatte er es nicht leicht in der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, in deren Leitungsgremien in den 50er, 60er, 70er Jahren zahlreiche hochrangige Militärs aus der NS-Wehrmacht saßen oder untergekommen waren. Zum Beispiel der General Adolf Kuntzen, der mit seiner Panzertruppe 1941 am Überfall auf die Sowjetunion führend beteiligt war, 1942 die SS-Division »Adolf Hitler« zur Verfügung gestellt bekam und 1947 bis 1953 als Mitarbeiter in der Kanzlei des Landesbischofs Lilje Unterschlupf fand. Dieser selbst hatte 1941 auch einen Beitrag zum Überfall auf die Sowjetunion geleistet, und zwar mit seiner Schrift »Der Krieg als geistige Leistung«, die in Massenauflagen verbreiten wurde. Dafür sollte er »amtlich gefördert« werden. Nach dem Krieg trug er zusammen mit dem Berliner Bischof Otto Dibelius entscheidend dazu bei, daß Kanzler Ade-nauer die Remilitarisierung der Bundesrepublik durchsetzen konnte. Wegen des Vietnamkrieges kam es zu einer Auseinandersetzung mit Pastor Rauterberg. Direkter Anlaß dafür war eine Konfirmandenstunde, in der sein Amtsbruder Hans Dunkhase das amerikanische My-Lai-Massaker von 1968 angeprangert hatte. Der Inhalt dieser Stunde wurde bekannt und verursachte in kirchlichen Kreisen helle Empörung – nicht wegen des Massenmordes an Hunderten schutzloser Bewohner jenes vietnamesischen Dorfes, sondern wegen der Kritik an der amerikanischen Kriegsführung. Dem Bischof war die Angelegenheit so wichtig, daß er beide Pastoren in seine Kanzlei vorlud. Er selbst hatte gerade öffentlich großes Verständnis für den US-Präsidenten bekundet, »mit Zähigkeit den Kriegsschauplatz Vietnam festzuhalten«. Er konnte die Sievershäuser Pastoren weder überzeugen noch einschüchtern. Unbeirrt sorgte Rauterberg um so mehr für vietnamesische Kriegsopfer. Es gereicht dem damaligen Sievershäuser Kirchenvorstand zur Ehre, daß auch er sich vom landeskirchlichen Druck gegen die Friedensarbeit nicht einschüchtern ließ, auch nicht, als Rauterberg 1975 im Talar an einer Demonstration in Hannover gegen polizeiliche Übergriffe mit der »chemischen Keule« teilnahm und prompt ein »Amtszuchtverfahren« an den Hals bekam. Der Kirchenvorstand verhinderte die geplante Versetzung des Pfarrers. Danach konnte das Gelände um die Sievershäuser Kirche so ausgebaut werden, wie es heute viele Friedensgruppen kennen. Zentrum ist das 1980 errichtete Antikriegshaus, eine von vielen Freiwilligen umgebaute alte Scheune, wo Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen, Seminare, Ausstellungen stattfinden. An seiner Stirnseite ist das Wort aus Jesaja 2 Vers 4 in den alten Balken eingekerbt: »Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und werden nicht mehr lernen, Krieg zu führen.« Und auf dem Grabstein des Verstorbenen steht nun das Wort »Frieden ist ein Menschenrecht«. Hartwig Hohnsbein
Der OnkelWer Sinn für schwarzen Humor hat, kann jetzt von einem Angebot der SPD-Parteizentrale Gebrauch machen; die hat nach langen Jahren eine alte Tradition wieder aufgegriffen und eine Gedenkmarke herausgegeben, gedacht als »dekoratives Element fürs eigene Parteibuch oder als Präsent für Jubilar-Ehrungen«. Für fünf Euro wird die Marke unter dem Slogan »Eine Wehner kleben« offeriert. Der einstige stellvertretende Vorsitzende der Partei, Fraktionschef im Bundestag sowie Bundesminister ist darauf pfeiferauchend abgebildet, die Inschrift lautet schlicht »Einhundert Jahre Herbert Wehner«. Der ist am 11. Juli 1906 zur Welt gekommen, und es gibt für die SPD in der Tat triftige Gründe, sich seiner zu erinnern. Nach der zur Zeit offiziösen Lesart der Parteigeschichte war es Herbert Wehner, der als »Abräumer überständigen ideologischen Felsgesteins« dem Godesberger Programm 1959 zum innerparteilichen Erfolg verhalf ( vorwärts ). Er war es auch, der 1960 den außenpolitischen Kurswechsel proklamierte, als Bekenntnis zur nordatlantischen Militärpolitik. Und der schließlich (wiederum laut vorwärts ) als »taktische Meisterleistung« 1966 die Große Koalition und damit den Einstieg der SPD ins Regierungsgeschäft zuwege brachte. Ein hochverdienter Politiker also, als historischer Kronzeuge für die Politik der SPD heute geeignet. Auf weitere verdienstvolle Tätigkeiten Wehners, die bei den aktuellen Würdigungen nicht genannt werden, ist ergänzend hinzuweisen: Er verdrängte den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und seine Förderer aus der Sozialdemokratie. Als »Zuchtmeister« der Fraktion brachte er aufmüpfige Bundestagsabgeordnete zum Schweigen. Auch Willy Brandts Verzicht auf das Amt des Bundeskanzlers führte er herbei. Und er verstand es, die SPD an den Gedanken zu gewöhnen, daß innerparteiliche Opposition politisch strafbar ist. Den »Onkel« nannten ihn zur Zeit seiner Herrschaft viele sozialdemokratische Funktionäre und Mandatsträger; er hatte sie das Fürchten gelehrt, sonst hätten sie ihn wohl den Paten genannt. Arno Klönne SPD-DebattenkulturDer deutschen Sozialdemokratie, so klagen manche politliterarischen Beobachter, sei der Sinn für innerparteilichen Meinungsstreit abhanden gekommen, es mangele ihr an »Debattenkultur«, überhaupt an Debatte, Diskussion, Auseinandersetzung. Aber das stimmt nicht. Im Kampf gegen die »Sozialparasiten« treten derzeit in der SPD durchaus kontroverse Meinungen auf, wer denn nun für die Unverschämtheit, gesetzlich zugestandene materielle Hilfen tatsächlich in Anspruch zu nehmen, verantwortlich gemacht werden soll. Die jungen Leute sind es, sagt der Parteivorsitzende Kurt Beck: »Schüler gehen so weit, in die Einliegerwohnung der eigenen Eltern einzuziehen und sich als Bedarfsgemeinschaft anzumelden, um nach dem Abitur öffentliche Leistungen einzustreichen.« Nein nein, die Alten sind es, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck: »Niemand hatte erwartet, daß bei Hartz IV Eltern ihre Kinder ausquartieren mit dem Hinweis: Der Staat zahlt euch die eigene Wohnung.« Ideologisch zerbrechen wird die SPD an diesem Konflikt über die Identifizierung der »Unanständigen« nicht, denn weder Beck noch Struck geraten in Rage, wenn Millionäre mit Hilfe ihrer Steuerberater jede Chance nutzen, dem Staat steuerliche Leistungen vorzuenthalten. Der Bescheidenheitsimperativ der neuen Sozialdemokratie ist klassenbewußt, auf seine Weise: Verzicht ist dem, der wenig hat, doch leicht zu- zumuten. Peter Söhren
Risiko eines BuchhändlersDas Kölner Bankhaus Sal. Oppenheim, die größte Privatbank Europas, hat dem Frankfurter Nomen-Verlag durch einstweilige Verfügung die weitere Auslieferung des Buches »Der Bankier« von Werner Rügemer verbieten lassen und zugleich auch dem Kölner Buchhändler Ulrich Klinger mit herben Strafen gedroht. In Klingers »Buchhandlung für ausgesuchte Literatur« hatte Rügemer aus seinem Buch mit dem Untertitel »Nachruf auf Alfred Freiherr von Oppenheim« vorgelesen. Mit diesem Buch hat der Autor dem im vorigen Jahr verstorbenen reichsten Bürger der Stadt Köln ein Denkmal gesetzt, das allerdings dessen Sohn Christopher Freiherr von Oppenheim, persönlich haftendem Gesellschafter der Sal.Oppenheim jr. & Cie. KGaA, nicht zu gefallen scheint. Klinger spricht von einem heraufziehenden »Kampf Goliath gegen David«. Weitgehend unbekannt für die Kölner Zeitungsleser – was man sich ganz einfach daraus erklären kann, daß die Kölner Monopolverlegerfamilie Neven DuMont über den Oppenheim-Esch-Fonds mit dem Bankhaus zu beiderseitigem Nutzen liiert ist – hatten der Bankier und sein Unternehmen nach Rügemers Recherchen äußerst erfolgreich Geschäfte mit der Stadt Köln gemacht. Ein Beispiel: Vom Bau des Technischen Rathauses und der neuen Kölner Fußball-Arena profitiert ein Oppenheim-Fonds (zu dessen Anlegern Mitglieder der Familie Neven DuMont gehören), während die Stadtkasse aufgrund des für sie ungünstigen Mietvertrags viele Jahre lang Millionen-Verluste macht. Köln ist, nicht zuletzt wegen »Geschäften« mit solchen Investoren, inzwischen hoch überschuldet, so daß sogar Neven DuMonts Kölner Stadt-Anzeiger am 13. Mai folgenden vorsichtig formulierten Satz veröffentlichte: »In einem weiteren Ermittlungsverfahren wird nach wie vor geprüft, ob die Stadt beim Bau der vier neuen Messehallen an der Zoobrücke mit einem anderen Investor als dem Oppenheim-Esch-Fonds ein besseres Geschäft hätte machen können.« »Buchhändler sollen für den Inhalt der von Ihnen verkauften Bücher haften – oder sich per Unterlassungserklärung von dem Inhalt distanzieren«, empört sich Ulrich Klinger über einen Brief der Oppenheim-Anwälte. Dem Brief lag die Einstweilige Verfügung bei, mit der dem Autor und dem Verlag die weitere Verbreitung von mehr als 20 »Punkten« verboten und für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 250.000 Euro oder eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht wurden. Klingers bittere Frage »Wer gewinnt, die Macht des Kapitals oder die Freiheit des Wortes?« ist noch nicht entschieden. Der Verlag will eine Zwischen-Neuauflage herausbringen – »mit den geschwärzten Stellen«, so Werner Rügemer, »weil man daran auch sehen kann, daß das alles peanuts sind.« Neben dieser »Zensur-Auflage« sind »Zensur-Lesungen« in Vorbereitung. Verboten sind Sätze wie dieser: »Unabhängige Autoren erhalten keinen Zugang zum Unternehmensarchiv.« Ungeschwärzt bleiben in der Zwischen-Neuauflage Rügemers Texte zu Oppenheim-Aktivitäten in der Nazizeit, zum Aufstieg ehemaliger NS-Aktivisten in der Oppenheim-Bank nach der Befreiung vom Faschismus und zur geheimen Parteienfinanzierung. Rügemers Optimismus, daß er und der Nomen-Verlag die geschwärzten Stellen eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages wieder drucken und aussprechen dürfen, ist nicht unbegründet. In den 90er Jahren hatte er wegen seiner Veröffentlichungen Verleumdungsklagen vom damaligen Kölner Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier (der am Tage nach Ausscheiden aus seinem Amt zu einem der drei Geschäftsführer des Oppenheim-Esch-Fonds geworden war), vom Kölner Oberbürgermeister Norbert Burger und vom Präsidenten des Fußballvereins 1. FC Köln am Hals gehabt. Alle Verfahren gingen zu seinen Gunsten aus. David hat ja, wie wir aus der Bibel wissen, am Ende gegen den Philister Goliath gewonnen. Aber über den jüngsten ungleichen Kampf hat bisher noch keine Tages-, auch keine Wochenzeitung berichtet. Peter Kleinert
Sinnlose JahrePolitische Häftlinge gab es in der DDR und der BRD, wenn auch meist schamvoll verleugnet. Heide Draexler-Just beschreibt in diesem so genauen wie sensiblen Buch unter dem treffenden Titel »Sprecherlaubnis« ihr Leben, nachdem der Ehepartner, Gustav Just, stellvertretender Chefredakteur des Sonntag , 1957 zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, die Hälfte der Zeit mußte er in Einzelhaft verbüßen. Wie wird eine Frau damit fertig, daß der Mann als Genosse von Genossen mit erlogenen Begründungen eingesperrt worden ist? Verschreckt wenden sich die meisten Freunde und Bekannten ab. Von Beruf Redakteurin und Regisseurin für Musik- und Tanzsendungen im DDR-Fernsehen darf sie, wenn auch nur nach nervenzehrenden Auseinandersetzungen, unter ihrem Mädchennamen weiterarbeiten, um sich und die beiden Kinder zu ernähren. Erst viel später erfährt Heide Just: Im Hintergrund hatte Anna Seghers sich bei den Fernseh-Verantwortlichen solidarisch für sie eingesetzt. Sprecherlaubnis für Bautzen gibt es nur alle drei Monate, Sohn und Tochter dürfen den Vater nicht besuchen. Als der endlich wieder daheim ist, sagt der Junge Sie zu ihm. Die Autorin ist enttäuscht, verletzt und wütend auf den Staat und eine Partei, die der Familie das antat, und dennoch um Objektivität bemüht. Kurz nach Heide Justs authentischen Aufzeichnungen las ich, was Joachim Gauck jüngst in stern und Spiegel absonderte: Für ihn waren DDR-Bürger entweder angepaßt kriecherisch oder angstgeschüttelt. Haß und Borniertheit sind wohl Merkmale von Helden, die sich erst post festum dazu ernennen. Weder Gustav noch Heide Just waren Feinde der DDR. Sie wurden dazu erklärt, weisen die Vorwürfe mit guten Gründen von sich und stehen als zuverlässige Zeitzeugen vor uns. Eine ergreifende und lohnende Lektüre. Ingrid Zwerenz Heide Draexler-Just: »Sprecherlaubnis«, Vorwort von Alexa Hennings, vorwärts buch, 151 Seiten, 14.80
Bewunderung und BedauernEin Roman könnte nicht spannender sein und müßte – wollte er mithalten – dem Leser dasselbe Wechselbad an Gefühlen bieten: Bewunderung und Bedauern lösen einander ab, wechseln das Objekt, aus dem einen wird das andere. Einmal große Achtung vor der Geduld und dem Feingefühl des Verlegers Unseld, mit dem er jahrzehntelang um den Autor Koeppen wirbt, auf dessen Versprechen für das demnächst kommende Buch vertraut, ihn unterstützt, immer wieder aus der nicht nur finanziellen Krise befreit. Andererseits auch Bewunderung für den Schriftsteller: Wie er es schafft, immer aufs neue den Funken Hoffnung am Glühen zu halten. Noch mehr Bewunderung für einige Briefe, in denen der große Stilist seine Lage schildert, wie er mit Worten und ihrem Rhythmus die Unfähigkeit beschreibt, seinen Ängsten und Zwängen beizukommen. Das ist Literatur, wenn auch jeweils nur wenige Zeilen und keine 250 Seiten, wie immer wieder versprochen. Und leid tun sie einem beide. Der eine, weil er über dreißig Jahre lang nicht bekommt, was vereinbart ist, und der andere in seiner Not, nicht liefern, nicht zu Ende schreiben zu können. Der nun edierte Briefwechsel zwischen beiden ist ein Stück respektabler Suhrkamp-Verlagsgeschichte und die Lebensgeschichte eines Schriftstellers, der einmal die großen und wichtigen Romane der Nachkriegsära schrieb und später an den eigenen Ansprüchen scheitert. Posthum ist das Versprechen erfüllt: Der Briefwechsel ersetzt jeden noch so guten Roman. Christel Berger »Ich bitte um ein Wort«, Der Briefwechsel Wolfgang Koeppen - Siegfried Unseld, hg. von Alfred Estermann und Wolfgang Schopf, Suhrkamp Verlag, 584 Seiten, 24.80
Ein Flaneur entdeckte Leipzig Nichts ist älter als die Zeitung von gestern, sagt man. Mag sein. Doch wer eine Zeitung von vorvorgestern und noch ein bißchen weiter davor in die Hand bekommt, dem gehen zuweilen die Augen über, wie interessant, ja wie aktuell sie ist. So ging es mal wieder meinem Kollegen Wolfgang Schütte, als ihm in einer längst vergessen Leipziger Gazette eine Artikelserie unter die Augen kam, die zu lesen noch heute nützlich und erbaulich zugleich ist. Eigentlich war er auf der Suche, ob seine Lieblingsdichterin, die Voigt Lene, auch in der Leipziger Allgemeinen Zeitung literarische Spuren hinterlassen hatte. Nun, von ihr fand er hier nichts, dafür aber das Feuilleton »Leipzig – wie ich es sah«. Ich – das war der Berliner Schriftsteller Erdmann Graeser, den der Ullstein-Verlag nach Leipzig entsandt hatte, um dem gerade aufgekauften, langweiligen Blatt etwas frisches Blut zuzuführen. Geholfen hat es nicht. Im September 1921 schlug für die Allgemeine die letzte Stunde, als Ullstein sie mit der Abendzeitung zur Neuen Leipziger Zeitung zusammenlegte. Erdmann Graeser hielt das, was er in jenem Frühsommer 1921 bei seinen Spaziergängen in Leipzig sah und hörte, in den zwölf Feuilletons fest, die uns nun in einem – wie kann es anders sein, wenn Peter Hinke daraus ein Buch macht – schönen Bändchen, versehen mit zeitgemäßen Fotografien von Paul Wolff und einem Vorwort von Joachim Nowotny, vorliegen. Nein, die sozialen und politischen Zustände Leipzigs jener Nachkriegsjahre sind nicht Graesers Thema, wenn er auch das »Leipzig des Alltags « nicht übersieht. Doch was und wie er jene Orte beschreibt, die uns Heutigen wohlbekannt sind (den Thüringer Hof, die Rennbahn, den Brühl, den Zoo), aber auch jene Orte, die die Zeiten verschlungen haben (den »Park Meusdorf mit dem schönsten Kinderspielplatz Deutschlands« oder den Krystall-Palast und den Palmengarten und natürlich das legendäre Café Felsche), das ist noch heute des Lesens wert. Die Edition von Graesers Sichten auf Leipzig war für Peter Hinke zugleich der Auftakt für ein weiteres verlegerisches Unternehmen, für die »Kleine Leipziger Bibliothek« . Man darf gespannt sein, was da an Novitäten auf uns noch zukommt. In diese Reihe sollten meines Erachtens auch die Leipzig-Reportagen des »rasenden Reporters« Egon Erwin Kisch aufgenommen werden. Sie wären die klassische Ergänzung zu Graesers »Aufzeichnungen eines Flaneurs«. Edmund Schulz Erdmann Graeser: »Leipzig – wie ich es sah. Aufzeichnungen eines Flaneurs«,. entdeckt von Wolfgang U. Schütte, mit einem Vorwort von Joachim Nowotny. Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke, 110 Seiten, 12
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Press-KohlWer hätte nicht gern ein singendes Haus-tier in seinen vier Wänden oder, falls es sich um einen Elefanten mit Countertenor-Stimme handelt, in seinem zweckmäßigerweise asphaltierten Kleingarten? Der Berliner Kurier zeigte in seinem Anzeigenteil Verständnis für spezielle Wünsche: »Singendes Esel-Hengst- Pfohlen , namens Pinocchio, zu verkaufen ...« Ein verlockendes Angebot, das aber überdacht werden sollte. Singt Pinocchio vielleicht, wie manche Tenöre, durch die Nase? Das könnte auch bei ansonsten begabten Phohlen zu unschönen Fehlern in der Artikulation führen. »Ich bin der Pfigaro aller Barbiere« oder »Pfreude, schöner Götterpfunken, Tochter aus Elysium!« Und vielleicht: »Komm, pfahr mit mir nach Apfrika, gar süße Pfeigen wachsen da ...« Endlich zum Erwerb entschlossen, wurde ich sehr enttäuscht: Man hatte Pinocchio schon an eine Frau Andersen verkaupft, welche ihm auch das Pflöten- und Pfagottspiel beibringen will. * Unser Freund Dr. Golo Dietke, der in Strausberg eine Rabenfarm betreibt, mußte in eine spezielle Klinik gehen, in welcher moderne Neurosen geschrumpft werden. Golo hatte sich nämlich einen »FM Stereo/FM-AM Receiver mit CD/DVD Player« verschafft und in einem Anfall von fröhlichem Übermut die dazugehörige Gebrauchsanleitung in einem Zuge durchgelesen. Auf leeren Magen! Sein Psychiater, Prof. Eyko Zümmt-Stroyerl, zeigte mir eine Textprobe: »Obwohl der Receiver mit einem Mehrkanal-Decoder ausgestattet ist, besitzt er auch Multi-Ch-In-Buchsen. Dadurch ist es möglich, nicht nur Dolby Digital-Quellen und DTS, sondern auch Multikanalquellen anderer Formate wiederzugeben. Außerdem können Sie die Multi-Ch-In-Buchsen auch direkt mit den Multi-Ch-Out-Buchsen eines externen Mehrkanal-Decoders oder eines DVD-Players verbinden. Die Decodierung erfolgt dann im externen Mehrkanal-Decoder bzw. im Decoder des DVD-Players, was außerordentlich ...« Ach du lieber Himmel! »Tja«, sagte der Professor, »wir müßten es bei Dr. Dietke mit einer sogenannten großen Behandlung versuchen, die mehrere Monate dauern und etwa 450.000 Euro kosten kann. Aber wer soll das bezahlen? Wer?« Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 14/2006 |
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