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Der FAZ -Kritiker Eberhard Rathgeb meint: ja. »Wir aber, wir saßen da, nun mitten in der Zukunft, und sahen: Wenn die Zukunft so alt ausschauen wird wie behauptet, dann wird das Theater vielleicht kein Theaterspielen mehr sein, sondern das gekaperte Leben: eine Begegnungsstätte in einer toten Gesellschaft.« Wir sahen eine Uraufführung im Hamburger Schauspielhaus: »Rosi, das hast du gut gemacht Vom Alter«. Regisseurin: Jaqueline Kornmüller, Autor: die Mitwirkenden, ihr Leben, ihre Erfahrungen. Aus 1000 Bewerbern wurden 26 ausgewählt, Frauen und Männer ab 63. Aus ihren Lebensgeschichten sind die Monologe, Dialoge und Szenen entstanden, von ihnen nicht gespielt, sondern nachgelebt, oft sogar komisch, selbstironisch oder sich Mut und Lob zusprechend wie die Rosi (76) im Titel weil ja kein anderer sie lobt. Sie befreien sich von den Regenhüllen, bekommen Gesichter, Stimmen. Gleichzeitig bewegt sich die Bühnenwand nach hinten, gibt Platz für Bewegung, ja manchmal für Tanz. Wenn auch der erste Satz den Tod betrifft, der »etwas Tröstliches« habe das Publikum entdeckt bald, daß Einsamkeit, Träume, die noch nicht begraben wurden, Krankheit, aber auch Aufsässigkeit nicht ans Alter gebunden sind. Besser im Frauengefängnis als im Altersheim, hören wir, da gibt es sogar eine Bibliothek. Und man lernt dort interessante Menschen kennen. Kein Bühnenbild. Mal ein Stuhl, sonst nur Stangen, die waagerecht an den Wänden entlang führen wie im Altersheim oder beim Ballett. Renee (63) erzählt von ihrem Brustkrebs, den sie überstanden hat. Als sie, um die Nachwirkungen, auch psychische, zu demonstrieren, ihre Perücke abnimmt, spürt jeder, was der öffentliche Auftritt für sie bedeutet. Wie zum Schutz scharen sich alle um sie. Ihr Appell ans Publikum: »Laßt euch nicht unterkriegen!« Heinrich (67), auf dem Land groß geworden, wagt nicht, ich zu sagen: »Man hatte nichts zu entscheiden, man konnte ja auch nichts.« Oder die Frau mußte sagen, was der Mann sagte. »Geprägt von der Nazischeiße...« Eine spricht vom Kind eines Gauklers, das vermessen wurde, ob es den arischen Kriterien entsprach. Im Hintergrund ein Kinderlied. Ev (63) fliegt im Traum, nicht sehr hoch, aber immer mit Einkaufstasche. Sie steht mit ausgebreiteten Armen auf dem Stuhl wie ein Kind. Manchmal summen alle eine bekannte Melodie. Gisela, mit 85 die Älteste, hat ihr Heil in Indien gefunden. Als sie mit 74 von den weisen Männern dort hörte, rief sie ungeduldig: »Da will ich hin. Kann ich denn gar keinen Guru bekommen?« Nun hat sie einen und fliegt zweimal im Jahr dorthin. Ihre Erleuchtung demonstrieren alle ironisch mit kleinen Lämpchen, die sie anknipsen. Manche hat nur, wenn es ihr schlecht geht, eine »Trostwiese«, auf die sie sich flüchten kann. Louise (81) spricht über die zwölf Jahre bis 1945: »bis zum Ende Stillschweigen, wir wagten nicht zu fragen. Es war alles Lüge, Lüge und Schweigen.« Aber sie wußte schon mit fünfzehn von Erschießungen in Polen, auch von KZ-Lagern. Es kam Besuch nach Hause zum Vater. An der Schiebetür konnte sie lauschen. Aber »ich habe immer Schweigen respektiert. Vielleicht bin ich erst im Alter so weit gekommen, daß ich reden kann.« Plötzlich haben alle blutige Kleider und Hände, wickeln sich gegenseitig Binden drum. Einer erzählt vom Prügeln, mit dem Teppichklopfer, der Peitsche und mit dem Lineal des Lehrers. »Wir mußten immer einen Diener machen.« Die blutigen Hände: Wer verletzte sie? Oder wen verletzten sie? Mit fünfzehn Lazarettdienst in der Rote-Kreuz-Baracke. »Ne schöne Brust hast du, Kleine« raunte ihr der SS-Mann zu. Hans-Viktor (78) hat seine Kindheit korrigiert, sagt er. Klatschen im Publikum, als er bekennt, daß er allergisch reagiere auf Neo-Nazis und auf den »Verbrecher Hitler, der mich außerdem betrogen hat«. Aber wenn er vom deutschen Liedgut Bezüge zum Krieg herstellt (»mit einem Volkslied fängt es an«), schrillen scharfe Pfiffe aus dem Publikum hinter mir. Am Schluß haben sich alle auf dem Boden niedergelassen, in Schlafanzügen. Als wären sie in die Kindheit zurückgekehrt, spielen sie im imaginären Sand, malen Zeichen in die Luft. Ein letzter Satz: »Ich schätze: Wenn die Menschen ihre Einstellung nicht ändern, wird niemand diese Erde retten.« Großer Beifall und Jubel wo war die »tote Gesellschaft« der FAZ ? Im Herbst findet in Hamburg ein Theatertreffen (60+) mit dem Titel »Herzrasen« statt, da ist »Rosi« wieder zu sehen.
Erschienen in Ossietzky 14/2006 |
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