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Zumal 3. die Steuerzahlenden nach der Privatisierung noch lange Zeit mindestens ebensoviel wie bisher, nämlich rund zwölf Milliarden Euro jährlich, für das System Schiene zahlen müssen – dann allerdings großenteils als direkte Alimentierung kapitaler Heuschrecken. Gelegentlich hört man, es werde aus »purer Ideologie« privatisiert. Nun erhebt sich Ideologie über einer Basis, die von materiellen Interessen bestimmt wird. Daraus entstehen konkrete Entscheidungen und Handlungen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in den USA die Eisenbahnunternehmen als die bis dahin weltweit führende Kapitalmacht abgelöst durch die Ölindustrie (Rockefeller, Standard Oil) und die junge Autoindustrie (Ford, General Motors). In der Folge veränderte sich der Verkehrsmarkt in den USA radikal. In der »Ölkrise« 1973 wurde plötzlich entdeckt und sorgenvoll erörtert, daß es in den meisten US-Städten einen öffentlichen Verkehr nur noch in Spurenelementen gab. Vor diesem Hintergrund erteilte der US-Senat dem jungen Soziologen Bradford C. Snell den Auftrag, die Geschichte dieser Veränderungen im US-Verkehrssektor zu untersuchen. In dem 1974 veröffentlichten »Snell-Report« ist auf 103 Seiten mit 142 Anmerkungen dokumentiert, daß das Verschwinden der schienengebundenen städtischen Verkehrssysteme im Zeitraum 1920 bis 1950 von einem jahrzehntelang konspirativ operierenden Verbund organisiert worden war, den die US-Autokonzerne General Motors, Ford, Chrysler und der Reifenhersteller Firestone gebildet hatten. Ähnlich wie in den USA haben sich in den letzten hundert Jahren auch in anderen Ländern Kapitalgruppen zusammengetan, um den Auto- und den Flugverkehr anzutreiben. Vom gesamten Umsatz der 100 größten Industriekonzerne der Welt entfällt mehr als die Hälfte allein auf den addierten Umsatz der Ölkonzerne, der Fahrzeugbaufirmen und der Flugzeugindustrie. Dem Öl und seinen Derivaten – Benzin, Diesel, Kerosin und Raketentreibstoff – verdanken die größten Konzerne ihre globale Macht. Diesen Konzernen gebührt das Attribut »k & k«; sie sind klimazerstörend & kriegstreiberisch. Konspirative Methoden zur Durchsetzung der Autogesellschaft sind kaum mehr erforderlich. Das Personal, das die Bahn privatisiert, braucht keine Tarnung. Es ist großenteils offen mit der Auto-Luftfahrt-Branche verbunden. Heinz Dürr zum Beispiel wurde 1991 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bundesbahn und hat in dieser Eigenschaft die Bahnprivatisierung eingeleitet. Er war auch erster Vorstandsvorsitzender der neu gegründeten Deutschen Bahn AG und übte diese Funktion bis 1997 aus, um danach noch bis 1999 als Aufsichtsratsvorsitzender der DB AG zu wirken. Doch all das waren nur seine Nebentätigkeiten. Dürr, der vorher Vorstandmitglied der Daimler-Benz AG gewesen war, ist vor allem Haupteigentümer der Dürr AG. Diese rühmt sich, auf dem Weltmarkt für die Herstellung von Autolackier-Robotern führend zu sein. Hartmut Mehdorn war fast dreißig Jahre in der Luftfahrtbranche aktiv. Er arbeitete eineinhalb Jahrzehnte als Top-Manager unter anderem bei Airbus und Daimler-Dasa. Als sein Lebenstraum, Daimler-Benz-Chef zu werden, zerschellte und Jürgen Schrempp an ihm vorbeizog, wurde Mehdorn nach einem kurzen Intermezzo außerhalb der Verkehrsbranche 1999 vom Autokanzler Gerhard Schröder als Bahnchef installiert. Mehdorn war es, der als erster einen »Börsengang der Bahn« propagierte. Im März 2001 wurde Helmut Frenzel Aufsichtsratsvorsitzenden der DB AG. Dessen Hauptberuf war und blieb der des Vorstandsvorsitzenden des ehemaligen Stahl- und Kohlekonzerns Preussag, der kurz darauf den Namen Touristik Union International (TUI) erhielt. Inzwischen ist TUI das größte Touristikunternehmen der Welt. 2002 stieg es ins Billigfluggeschäft ein. Ende 2005 gab der Konzern bekannt, daß der sogenannte »Zug-zum-Flug-Service« der Bahn auf die Konzernfluggesellschaften Hapagfly und Hapag-Llloyd-Express (HLX) ausgedehnt werde, womit im Fall HLX »erstmals eine Billigfluggesellschaft ihren Kunden diesen günstigen Service anbieten« könne – ein Fall direkter Interessenkollision. Genauer gesagt: An führenden Stellen der Bahn AG stehen Personen, die dort die weit stärkeren Interessen der Luftfahrt vertreten. Dafür noch weitere Beispiele: Ende der neunziger Jahre holte Bahnchef Mehdorn eine Reihe ehemaliger Manager der Lufthansa ins Top-Management des Schienenkonzerns, unter ihnen Anna Brunotte, Christoph Franz und Hans G. Koch. Diese waren hauptverantwortlich für das Ende 2002 eingeführte neue Bahnpreissystem und seine katastrophalen Folgen. Es paßt dann ins Bild, wenn die DB AG ihren »IC-Kurier«-Dienst ausgliedert und der Lufthansa übergibt. Vergleichbare Interessenkonstellationen finden sich auf internationaler Ebene. Der Chef der französischen Staatsbahn SNCF, Francois Gallois, war zuvor Top-Manager bei Aerospatiale/Airbus. Gegenwärtig wird er als neuer Top-Mann für EADS/Airbus gehandelt. Der Chef der weltweit größten Fluggesellschaft Air France-KLM, Jean-Cyril Spinetta, teilte im Frühjahr 2006 mit, sein Unternehmen wolle, sobald der französische Markt für den Schienenfernverkehr geöffnet sei, selbst Hochgeschwindigkeitszüge betreiben. Schließlich sei ein Hochgeschwindigkeitszug »nichts anderes als ein Flugzeug, das rollt«. Der ehemalige Rennfahrer Niki Lauda kommentierte seinen Job bei der österreichischen Bahngesellschaft ÖBB in einem Interview wie folgt: »Als ich vor zwei Jahren in den Aufsichtsrat der Österreichischen Bundesbahnen gewählt wurde, hatte ich das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, ich sollte in einen Zug steigen. Ich bin von Wien nach Graz gefahren.« Frage: »War das deine erste und letzte Bahnfahrt?« Antwort: »Richtig.« Noch ein Blick in die USA, wo diese Entwicklung sehr viel früher zu beob-achten war: Am 21. Juni 1970 meldete dort die größte Transportgesellschaft der Welt, die Penn-Central-Eisenbahngesellschaft, Konkurs an. Einen maßgeblichen Grund dafür sah die angesehene Zeitschrift Ramparts darin, daß der Vorstand der Penn Central durchsetzt war mit Personen, deren Interessen dem Eisenbahnverkehr entgegengesetzt waren: Vertreter von Stahl-, Öl- und Kohlekonzernen, die nicht kostendeckende Frachttarife für ihre Bahntransporte einführten. Der Vorstand war auch massiv ins Luftfahrtgeschäft eingestiegen. Erklärtes Ziel war es, mit der eigenen Fluggesellschaft Executive Jet Aviation Inc. die weltweit führende Fluggesellschaft Pan Am von Platz eins zu verdrängen. Allein dieser Ausflug ins Luftfahrtgeschäft endete als 200-Millionen-Dollar-Pleite. Ramparts zitierte Stuart Saunders, den Chef von Penn Central, mit dem Satz: »Ich will das Penn Central-Kapital in wirklich profitable Projekte stecken und nicht in diese verdammte Eisenbahn« (»...and not in this fucking railroads)«. Das Verständnis von den »fucking railroads« begleitete den Niedergang der vormals weltweit führenden Eisenbahnen. Ebenso denken heute Top-Manager der Deutsche Bahn AG und andere, die die Privatisierung der Bahn betreiben. Informationen zur Kampagne gegen die Bahnprivatisierung unter: ; Ende Juli erscheint von Winfried Wolf: »In den letzen Zügen – Zur Kritik der Bahnprivatisierung«, VSA Verlag, 98 Seiten, 6.50
Erschienen in Ossietzky 14/2006 |
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