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Er war 1945 im irakischen Ninive geboren worden, studierte Schauspiel und Regie in seiner Heimat und in Ostberlin, wo er auch promovierte. Später arbeitete er im Irak und vielen Ländern des Nahen Ostens. Er führte fast alle Stücke Brechts auf – sogar in Kuweit und in Emiraten der arabischen Halbinsel. Ich erlebte 1999 die Premiere von »Der Jasager und der Neinsager« in Abu Dhabi. Karoumi hatte das Stück ganz in Lehrstückmanier mit Laien erarbeitet. Die Darstellerin der Mutter war eine Verkehrspolizistin, die 5000 Dollar im Monat verdiente. Abgesehen vom hohen Lebensstandard dürstet das Land aber nach Kultur und Demokratie, weshalb die von Brecht beabsichtigten Effekte des Stücks doch durchschlugen. Das Publikum, zur Hälfte aus koketten Damen in Seidenschleiern bestehend, hatte selbstverständlich keine Ahnung vom Inhalt. Es spendete schon herzlichen Beifall nach dem »Ja-Sager«, der das allbekannte traditionelle Opfer bekräftigte, das der Einzelne notfalls der Gemeinschaft zu bringen hat. Bei der scheinbaren Wiederholung des Stücks entstand Irritation und am Schluß dann eine große Überraschung, weil eine bessere Lösung gefunden war: Nein! Auch der einzelne soll nicht mehr geopfert werden! Die nicht endende Freude des Publikums war unbeschreiblich. Der Wohlstand der Darsteller und seines Publikums in diesem ölhaltigen Teil der Welt sagt nichts aus über Karoumis Honorare. Wenn man in Abu Dhabi einen Brecht aufführen darf, muß man froh sein, dafür einen prunkvollen Kulturpalast zur Verfügung zu bekommen. Kosten sollen möglichst nicht entstehen. Awni war im schäbigsten Hotel der Stadt untergebracht, hatte die Übersetzung mit den Spielern erarbeitet, das Bühnenbild selbst entworfen und finanziert. Neben Brecht inszenierte er in der arabischen Welt auch andere europäische Autoren wie Handke, Kafka, Tschechow, Frisch. Die großen Bühnen seines Exillandes verweigerten sich jedoch konsequent diesem hoch kultivierten Theatermann und brachten ihr Publikum damit um die Erfahrung des politisierten und trotzdem überaus sinnenfrohen modernen arabischen Theaters. Besonders schade ist, daß »Der Nachtreisende« des Ägypters Salah Abd as Sabur (1931-1981) sowohl 2001 als auch in diesem Jahr nur in der Off-Szene gezeigt werden konnte, obwohl Karoumi es mit hochprofessionellen deutschen Schauspielern inszenierte. Das Stück zeigt den Kampf zwischen einem allmächtigen Fahrkartenkontrolleur und einem ihm hilflos ausgesetzten Reisenden. Daß der Kontrolleur die Fahrkarte verschlingt, ist nur der banale Anfang, denn es geht keineswegs allein um die in ägyptischen Zügen nicht unwahrscheinliche Ausraubung des Reisenden durch den Kontrolleur. Dieser entpuppt sich auch als Personifikation jener anonymen bürokratischen Gewalten, die den Menschen durch ein perfides Spiel von billigen Verlockungen und schwersten Bestrafungen zum Eingeständnis universeller Schuld und schließlich zur Selbstaufgabe zwingen. Natürlich denkt man an Kafkas »Prozeß«, aus dem auch kräftig zitiert wird. Nicht nur dieses – in den arabischen Ländern häufig gespielte – Stück zeigt, daß sich Künstler in diesen Ländern und ihr Publikum genau jene Demokratiefragen selber stellen, für die der Westen dort angeblich missionieren und Krieg führen muß. Bezeichnend, daß die taz die bei mir bestellte Rezension der Inszenierung nach dem 11. September nicht mehr drucken wollte. Und das, obwohl man gleichzeitig hätte melden können, daß Karoumi damals in Kairo Frischs »Biedermann und die Brandstifter« zu inszenieren begann. Kampf um Demokratie in einem schon über 20 Jahre alten arabischen Stück – das paßte nicht in die Kriegsstimmung. Unvergeßlich auch, wie Karoumi selbst in einem Kreuzberger Cafétheater 1997 den Affen aus Kafkas »Bericht an eine Akademie« spielte. Und in einem Zimmertheater in einer Prachtwohnung am Hackeschen Markt schaffte er es 2003, die Atmosphäre des als Keilschrift-Textfragment überlieferten dreitausend Jahre alten babylonischen Stücks »Der Herr und der Knecht« mit seltsam au-thentischer Wirkung zu rekonstruieren. Dafür hatte er einen großen, im holländischen Exil lebenden irakischen Schauspieler nach Berlin geholt. Awni Karoumi starb überraschend am 27. Mai nach einer Wiederaufführung des »Nachtreisenden«. Für seine Freunde und Mitkämpfer ist es eine traurige Genugtuung, daß er am 6. Juni auf dem Französischen Friedhof, keine zwanzig Meter von Bertolt Brecht entfernt, begraben werden konnte. Die Trauerfeier fand in der Bonifatius-Pfarrkirche in Kreuzberg in deutschem und arabischem Ritus statt. Awni Karoumi hatte zur katholischen Minderheit des Irak gehört.
Erschienen in Ossietzky 13/2006 |
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