Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Unerwünschte Sicht auf die GeschichteSusanna Böhme-Kuby »Klios Griffel kratzt«, wußte schon Tucholsky. »Objektiv ist sie auch nicht, weil ja niemand hinieden objektiv ist, und es hängt von tausenderlei Faktoren ab, was sie da auf ihre Schiefertafel malen wird, mit der wir sie immer abgebildet sehen – aber von Wahrheit hängts wohl kaum ab. Man lese einmal die Darstellung der pariser Kommune in den deutschen Geschichtsbüchern und bei Kautsky, und man wird einen kleinen Begriff bekommen…« (Gesammelte Werke 2, S.383 ff) Im Kölner Papy-Rossa-Verlag ist jetzt die »Kurze Geschichte der Demokratie« von Luciano Canfora (404 Seiten, 24.50 Euro) erschienen, deren italienische Originalausgabe schon seit 2004 vorliegt. Eigentlich hätte die deutsche Ausgabe – im Rahmen einer europäischen Verlagskooperation – längst bei C.H.Beck in München herauskommen sollen. Doch dieses Buch – das ergibt sich auch aus einer Ende Mai veröffentlichten Stellungnahme des Beck-Cheflektors Detlef Felken – paßt nicht. Die ganze Richtung paßt nicht. Dem Buch fehlt die bundesrepublikanisch-liberale Ausgewogenheit. Es ist ein »Pamphlet«, das Sachverhalte »selektiv darlegt« und daher wissenschaftlich nicht stichhaltig, ja parteilich ist. Lenin, Trotzki und sogar Stalin, ganz zu schweigen von Marx und Engels, werden auf mehreren Seiten häufiger zitiert als Montesquieu! Und was sollten erstere überhaupt mit »Demokratie« zu tun haben? Canfora kritisiert auch die bundesdeutsche Nachkriegsentwicklung und ihre Kontinuitäten, ohne gleichzeitig die Errungenschaften des Sozialstaats zu würdigen. Und urteilt anders als die Herrschenden über die Zerschlagung Jugoslawiens, was man nicht einmal einem Peter Handke zugesteht. Nein, so etwas kann ein seriöser Verlag wie Beck nicht veröffentlichen, in dem 1936 Globkes Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen erschienen war. Da hat man im wiedervereinigten Deutschland inzwischen erfolgreich, ohne nennenswerte Widerstände, die gesamte DDR-Historikerzunft entsorgt und muß doch nun nicht der Sichtweise eines italienischen Marxisten Raum geben, der die herrschende Meinung mit all ihren Tabus nicht verinnerlicht hat! Die Tatsache, daß Canfora sich nun auch noch der Mühe unterzogen hat, seinen Kritikern Punkt für Punkt argumentativ zu begegnen (»Das Auge des Zeus«, Konkret-Literatur-Verlag), wird ihm bestenfalls als Quengelei angelastet. Da ist einer, der nicht gleich klein beigibt und sich nicht in die linke Schmuddelecke abschieben lassen will (s. auch Canforas Antworten: www.papyrossa.de). Aber Ihre Selbstverteidigung, lieber Canfora, ist fast zuviel der Liebesmüh, denn es helfen keine Argumente, wo der antikommunistische Grundkonsens bereits feststeht. Georg Fülberth bezeichnet den renommierten Ordinarius für Griechische Literatur aus Bari als »normativen Idealisten, als Jakobiner« und folgert: »Wenn Liberale einem solchen begegnen, fassen sie sich an den Hals« ( Konkret 6/06). Das sagt eigentlich schon alles. Da aber in den bisherigen Stellungnahmen das eigentliche Thema und Anliegen Canforas, den geläufigen Demokratie-Begriff und seinen ideologischen Gebrauch von Athen bis heute zu entmystifizieren, kaum vorkommt, seien dazu einige Hinweise gegeben, die hoffentlich zum Lesen des Buches motivieren. Canfora ist nicht nur Altphilologe, sondern ein in Italien geschätzter Querdenker (der hier sogar im Mailänder Corriere della Sera schreiben darf); das macht all seine Bücher (die ich seit Jahren verfolge) zur spannenden Lektüre. Seine reiche Argumentationskette zeigt, wie viel enger der europäische Demokratiebegriff seit seinen griechischen Ursprüngen mit dem Begriff der Diktatur verbunden ist als mit dem der Freiheit. Dessen war man sich bewußt von Herodot über Goethe, Toqueville, Leopardi bis zu Croce und Arthur Rosenberg. Das erklärt die heutige Realität unserer westlichen »Demokratien« besser als alles Beklagen von Demokratieverlust und Politikmüdigkeit. Weder in der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika noch in denen der französischen ersten Republik taucht das Wort Demokratie auf; es bezeichnet, so Canfora, denn auch »keine politische Herrschaftsform (…), sondern eine Art und Weise der Beziehungen zwischen den Klassen mit einem tendenziellen ›Übergewicht des demos‹, um mit Aristoteles zu sprechen«. Auf die bitteren Erfahrungen der ersten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts mit dem fast bruchlosen Übergang der parlamentarischen Demokratien zu Faschismus und Nationalsozialismus folgte nach dem Sieg der Alliierten eine Reaktivierung des nun explizit mit Freiheit konnotierten parlamentarischen Demokratie-Begriffes gegen den der Diktatur, das heißt als »polemischer Gegenbegriff zum ›Sozialismus‹ (oder ›Kommunismus‹)«, und »dieses Mißverständnis vergiftete die politische Sprache«. Alternative Konzeptionen direkter Demokratie waren damit im Westen obsolet. Canfora präzisiert: »Weil die ›Demokratie‹ eben keine Regierungs form, kein Verfassungstyp ist, kann sie in den unterschiedlichsten politisch-konstitutionellen Formen herrschen, teilweise herrschen, gar nicht herrschen oder sich wieder zur Geltung bringen. (…) Was am Ende – oder besser: beim gegenwärtigen Stand der Dinge – die Oberhand gewonnen hat, ist die ›Freiheit‹. Sie ist im Begriff, die Demokratie zu besiegen. Wohlgemerkt nicht die Freiheit aller, sondern die Freiheit derjenigen, die aus dem Konkurrenzkampf als die ›Stärkeren‹ hervorgehen (seien es Staaten, Regionen oder Individuen) – jene von Benjamin Constant geforderte und mit der Fabel vom Reichtum, der ›stärker ist als die Regierungen‹, verbundene Freiheit, vielleicht aber auch jene Freiheit, für die die Anhänger der neonazistischen New Yorker Vereinigung ›Knights of Freedom‹ kämpfen. Anders könnte es auch nicht sein, denn Freiheit impliziert den beunruhigenden Aspekt, daß sie entweder total herrscht – und zwar in allen Bereichen einschließlich des persönlichen Verhaltens – oder gar nicht; und jede Begrenzung zugunsten der weniger ›Starken‹ wäre ein Einschränkung der Freiheit der Anderen«. Und mit dieser Tatsache, »daß nämlich in den reichen Ländern die Freiheit gesiegt hat – mit all den schrecklichen Folgen, die das für die anderen mit sich bringt und noch bringen wird« – sind wir weltweit alle konfrontiert, und auch deutschen Lesern sind solche Gedankengänge nicht zuletzt im Hinblick auf die problematische Lage Europas genauso zuzumuten wie ihren europäischen Nachbarn, bei denen Canforas reich dokumentierte Studie selbstverständlich vorbehaltlos in der Reihe »Europa bauen« (Herausgeber Jaques Le Goff) in Spanien bei Critica, 2004, in England/USA bei Blackwell, 2005, in Frankreich bei Seuil, 2006 erscheinen konnte.
Erschienen in Ossietzky 13/2006 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |