Hungern und strammstehen

Martin Petersen

Was geschieht einem Bundesarbeitsminister, wenn er sagt: »Nur wer arbeitet, soll auch essen«? Nichts. Außer daß er Applaus von der Seite erhält, die er einst als die falsche begriffen haben muß. Kürzlich noch galt Franz Müntefering als Seele der Sozialdemokratie, inzwischen ähnelt er immer mehr ihrem inneren Schweinehund. Weiß er nicht, daß er und seine Partei von dem Feuer, mit dem er spielt, sollte es noch einmal in diesem Lande ausbrechen, gnadenlos verschlungen würden? Aber der Parteisoldat wird immer weiter nach rechts marschieren, solange er auf Leute wie Iris Gleike, die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, zählen kann. Sie beschränkte ihren Kommentar auf: »Ich hätte so einen Satz nicht gesagt.« Richtig, schließlich genügt es, ihn zu denken und entsprechend zu handeln. Diesen Wink verstand letztlich auch der Arbeitsminister, der das ihm zugeschriebene Zitat gar nicht gesagt haben wollte, sondern stattdessen: »Wir sagen das nicht mehr. Wir sagen Fördern und Fordern.« Was auf das gleiche hinausläuft, aber netter klingt.

Das gibt eine Eins mit Sternchen. Wenn man sowas schon sagen will, dann hübsch elegant und hintenrum! So wie der kumpelhafte SPD-Chef Kurt Beck, der durch Springers erzkonservative Welt die Hartz-IV-Opfer onkelhaft ermahnte: »Man muß nicht alles rausholen, was geht.« Die laut Verlag 99 Prozent der Welt -Leserschaft, die für ihr monatliches Haushalts-Nettoeinkommen von mehr als 2500 Euro vermutlich alles rausholen, was geht, werden des SPD-Chefs Proleten-Beschimpfung mit Freude gelesen haben. Ruhigen Gewissens können sie auch fortan sämtliche Steuergeschenke der Becks und Münteferings annehmen. Wenn es demnächst noch weniger Staatsleistungen für die Armen gibt, haben die sich das selbst zuzuschreiben; sie hätten ja anständig sein und rechtzeitig verzichten können. Anstand bedeutet nämlich, daß man als Armer den Sozialdemokraten durch Verzicht auf Geld für Lebensmittel und Kleidung die lästige Pflicht erläßt, einem durch Gesetzesänderungen das Geld für Lebensmittel und Kleidung zu entziehen. Jedenfalls muß gespart werden, noch viel mehr als bisher, das weiß die SPD, und das weiß vor allem ihr Vorsitzender Kurt Beck: »Bitte, wo soll es denn sonst noch herkommen? Von der Bundeswehr? Aus dem Bereich Innere Sicherheit? Doch wohl nicht.« Natürlich nicht, schließlich leben wir in Deutschland. Und jetzt, wo die Fußballweltmeisterschaft in dem stolzesten aller Staaten ausgetragen wird, haben die Ärmsten doch gefälligst einen Grund mehr, sich einzuschränken, wie das Massenblatt Bild triumphal verkündet: »Wir sind wieder stolz aufs eigene Land. Wir wollen wieder was tun fürs eigene Land.« Für Welt -Leser und andere Wohlhabende bedeutet das, die Wirtschaft mit dem Kauf von noch viel mehr Luxusgütern zu stärken. Und für die sieben Millionen ärmsten Menschen bedeutet es: Anständig sein, beim vom CSU-Bundestagsabgeordneten Stefan Müller geforderten Reichsarbeitsdienst (»Gemeinschaftsdienst für Langzeitarbeitslose«) strammstehen und hungern für Deutschland. Hungern für Bundeswehr, Geheimdienste und Polizei, für Vermögende, Aktionäre und Vorstände. Denn der Hunger läßt sich gleich viel leichter ertragen, wenn man stolz sein darf – ja muß! – auf das Land, das einen nach und nach in die Obdachlosigkeit verstößt.

Erschienen in Ossietzky 13/2006