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An die LokalpresseDer US-Präsident hat in seiner Rede an die Nation vom 15. Mai 2006 erklärt, daß er den antimexikanischen Schutz-wall noch wirkungsvoller durch Hochsi-cherheitszäune, Bewegungsmelder, In-frarotkameras und Fahrzeugsperren vor illegalen Einwanderern schützen will. Können wir den unverbrüchlichen ame-rikanischen Blutsbrüdern dabei nicht mit Rat und Tat zur Seite stehen? Vielleicht liegt aus der Zeit der innerdeutschen Grenze doch noch einige Technik bereit, mit der ausgeholfen werden kann? Die Geschichte hat ja oft genug gezeigt, daß man nicht mehr benötigte Ausrüstungen nicht zu voreilig wegschmelzen soll! Und außerdem: Hätten wir nicht alles zersprengt oder verscherbelt, könnten wir mit unseren Betonplatten als Touri-stenattraktion den Haushalt sanieren und unseren Abgeordneten vielleicht sogar noch ein kleines Diät-Zubrot in die öf-fentliche Hand legen. Heute weiß ja kaum noch einer, wo die Berliner Mauer gestanden hat. Da haben es die Chinesen mit ihrer Großen Mauer viel schlauer angestellt, die wird von Millionen Urlaubern aus aller Welt als Promenade benutzt! Die Chinesen hätten auch nie-mals den Kaiserpalast abgerissen! Na-türlich unterscheiden sich die amerika - nischen Grenzen wesentlich von der deutschen Mauer, ist ja klar. Aus der DDR wollte man die Leute nicht raus-lassen, in die USA will man sie nicht reinlassen! Und die israelische Mauer im Westjordanland unterscheidet sich von unserer schon dadurch, daß sie dreimal so hoch ist – was ich irgendwie beschämend finde. Was mich allerdings etwas tröstet, ist die Tatsache, daß die Bushmänner wenigstens die Vorbereitung der Nacht-und-Nebel-Aktion von uns übernommen haben. Ulbricht hat da-mals gesagt, niemand habe die Absicht, eine Mauer zu errichten, und Schorsch Dabbelju hat versprochen, Mexiko und die USA blieben Freunde und die borderline werde nicht militarisiert. Wie das mit 6.000 zusätzlich bewilligten Nationalgardisten zusammenpaßt, weiß ich zwar nicht, aber ich muß ja auch nicht alles wissen. – Moritz Mauerbrecher (40), Steinmetz, 76534 Steinbach bei Baden-Baden Wolfgang Helfritsch
Der BND mit gebührender IronieGegen den »Feind im Osten« brachte General Reinhard Gehlen mit seiner Organisation Fremde Heere Ost alias Organisation Gehlen alias Bundesnachrichtendienst nichts Nennenswertes zuwege – nur Pannen und Pleiten. Dafür mischte er sich mit Erfolg immer wieder in die Politik der Bundesregierung ein, was verfassungswidrig war – aber wo kein Kläger, ist auch kein Richter. Dieser fand sich erst, nachdem Ludwig Erhard die Nachfolge Konrad Adenauers angetreten hatte. Für Erhard hatte Gehlens Truppe gewesener SS-Leute und sonstiger Nazispione »keinen Platz in der Leistungsgesellschaft«. Da half es Gehlen nicht, in gewohnter Manier seinen Dienstherrn zu bespitzeln und ein Dossier über ihn anzulegen – seine Zeit war gekommen… Harald Gröhler, der Gehlen noch persönlich kennengelernt hat, liefert ein anschauliches Psychogramm des »Mannes ohne Gesicht«, der die frühe Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wesentlich mitbestimmt hat, und zugleich eine kritische Darstellung der Entstehungsgeschichte des BND, gewürzt mit der gebührenden Ironie. Angesichts der jüngsten BND-Skandale sei das Buch dringend empfohlen. Gerd Bedszent Harald Gröhler: »Herr Gehlen ohne Foto – Ein Bericht über den Gründer des Bundesnachrichtendienstes«, trafo Verlag, 226 Seiten, 15,80
Milosevic erhält das WortFür die Diskussion über Peter Handke und die Medien, speziell die der NATO-Länder, sei als Material außer seinen eigenen Büchern eine kürzlich erschienene Sammlung von Reden des früheren jugoslawischen Staatspräsidenten Slobodan Milosevic empfohlen. Ein wichtiges historisches Dokument ist zum Beispiel Milosevics Rede 1989 auf dem Amselfeld (Kosovo): Eindringlich rief er dazu auf, die Gleichberechtigung und das friedliche Zusammenleben der ethnischen Gruppen in Jugoslawien zu hüten. Die Medien, die ihn verteufelten, behaupteten damals wie später immer das Gegenteil. Im Originalton ließen sie ihn nicht zu Wort kommen – auch nicht als er vor Gericht stand. Hier ist nachzulesen, was er zu seiner Verteidigung vorzubringen hatte. Kein Wunder, daß uns diese Reden vorenthalten wurden. Red. »Die Zerstörung Jugoslawiens - Slobodan Milosevic antwortet seinen Anklägern«, Zambon Verlag, 265 Seiten, 10
Freies Denken?Wir, die nachgeborene Generation derer, die das vergangene Jahrhundert ganz erlitten und erlebten, haben viele Gründe, über die Wege und Irrtümer dieser Väter und Mütter nachzudenken. Ralf Dahrendorf, seit 1993 Mitglied des britischen Oberhauses, fand für seine »Ahnenforschung« die spannende Frage: Was war es, das einige wenige geistige Köpfe damals befähigte, den »Versuchungen der Zeit« – Nationalsozialismus oder Kommunismus – zu widerstehen? Karl Popper, Isaiah Berlin, Raymond Aron und Norberto Bobbio sind seine Favoriten, aber auch Hannah Arendt, Theodor W. Adorno, Jean Paul Satre und Robert Havemann werden erwogen und mehr oder weniger zu leicht befunden. Die »reinen« Erasmier (Erasmus von Rotterdam gilt dem Autor als Urahn) sind bindungslos, stellen die Freiheit über alles und wollen nichts als denken. Ob damit irgend etwas in der Welt bewegt wird, befindet sich schon außerhalb ihrer Wirkungswünsche. Zuweilen dachten sie ganz Kluges, ganz wie der Autor, dem man die aufmerksame Betrachtung heutiger Gefahren nicht absprechen kann: Die sind überall dort, wo die »Harmonie« oder gar der Bestand liberalen britischen Eingerichtet-Seins wackelt. Freilich fallen da die dem Kommunismus verbunden gewesenen Ahnen durch: Sie wollten die Welt wirklich verändern! (Und passen so gar nicht in dieses Buch!) Die Freiheit, sagen und schreiben zu können, was man denkt, ist eine nicht zu unterschätzende zivilisatorische Errungenschaft, sich mit ihr zu begnügen, ist jedoch auch eine Art Versagen gegenüber einer nach Veränderung schreienden Realität (zu der auch die Monopolisierung der Medien und damit die Vermachtung der Informations- und Meinungsfreiheit gehört). Obwohl die Helden Dahrendorfs nach seiner Bewertung die Prüfung des Jahrhunderts mit Bravour bestanden haben, sind sie bei mir trotz Respekt vor Einzelleistungen letztlich durchgefallen. Christel Berger Ralf Dahrendorf: »Versuchungen der Unfreiheit. Die Intellektuellen in Zeiten der Prüfung«, C. H. Beck, München; 239 Seiten, 19.90
Zwei Deutsche in SpanienDer Spanische Bürgerkrieg begann vor 70 Jahren. Eine gute Einführung ins Thema ist der 1979 entstandene Film »Unversöhnliche Erinnerungen« von Klaus Volkenborn (1945–2005). Der Freundeskreis Ernst Busch e.V. zeigte ihn dieser Tage im Kino Krokodil an der Greifenhagener Straße im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Ich freute mich über die jungen Frauen und Männer im Publikum. Der Dokumentarfilm porträtiert zwei Deutsche: den Arbeiter Stillger aus Remscheid und den Flieger der Wehrmacht, späteren Bundeswehrgeneral Strümpell aus Frankfurt am Main. Maurer Stillger hat in diesem Krieg als Interbrigadist für die Spanische Republik gegen den Faschismus gekämpft; Flieger Strümpell »genoß das Abenteuer«, für die Deutsche Wehrmacht in Spanien auf Seiten des Putschisten Franco gegen die Kommunisten zu kämpfen. Der Interbrigadist bekennt sich zu Marx und seinen Theorien, der Jagdflieger verehrt den Preußenkönig Friedrich II. und dessen Werte. Während Stillger in harter Arbeit Barrikaden errichtet gegen den italienischen und deutschen Faschismus, bezieht Strümpell ein Luxus-Hotel und genießt das Leben eines gutbezahlten Offiziers der Legion Condor. Nach diesem Krieg, mit Pomp bedankt vom »Führer«, schaut er zuerst auf sein Konto und kauft von dem angesammelten Geld ein Auto, Coupé Marke Adler. Stillger und seine Kameraden können nicht zurück in die Heimat. Die Gestapo wartet dort auf sie. In Belgien werden sie interniert, bis 1940 die Deutschen das Land überfallen. Man bringt sie auf Umwegen nach Perpignan, Frankreich. Stillgers Frau, von der Gestapo verhört, vergeblich ausgefragt nach dem Verbleib ihres Mannes, wird zu 14 Monaten Haft verurteilt und gezwungen, sich scheiden zu lassen. Grund: »6 Jahre Abwesenheit des Ehemannes«. Hätte sie die Scheidung verweigert, wäre ihr Sohn auf Dauer in ein Kinderheim eingewiesen worden. Strümpell resümiert diese Zeit als »fabelhaft«. Leider habe man den Krieg verloren, ja, aber »die alten Werte sind uns Jagdfliegern bis heute geblieben«. Er schaut hoch zufrieden aus der Leinwand auf uns herab, die blaßbunten Bilder seines Ambientes bezeugen Wohlanständigkeit gleich Wohlstand. Schnell fanden sich die alten Kameraden, »alles Ritterkreuzträger«, wieder zusammen, halfen einander, besetzten wesentliche Positionen in Wirtschaft, Politik und bald darauf auch in der neu formierten Wehrmacht. »Wollten wir nicht in die Hände des Ostens fallen, mußten wir wieder über Militär verfügen.« Dies wird mit schlichter Selbstverständlichkeit vorgetragen. Ein Ehrenmann. Damals, heute, jederzeit. »Die alten Werte sind uns erhalten geblieben«, wiederholt er, »abgesehen von dem kleinen Ausrutscher in München, wo junge Offiziere anläßlich einer feucht-fröhlichen Feier Juden verbrannt haben. Sie erinnern sich: Auf kleine Zettel schrieben sie das Wort Jude und verbrannten die im Aschenbecher. Einer von ihnen hat dann die Kameraden verraten. So etwas hätte es früher nicht gegeben. Verrat zu üben! Das war unehrenhaft.« Stillger, nach mehr als zehnjähriger Abwesenheit heimgekehrt, fand seine von ihm geschiedene Frau und das Kind in schlimmem Zustand vor. Essen, Heizung, Kleidung – alles fehlte. Er sorgte für die kleine Familie und fühlte sich wieder – ungebrochen – für die große Gemeinschaft verantwortlich. Er kämpfte in Partei und Gewerkschaft gegen die Remilitarisierung. Doch das »neue deutsche Staatsgefühl brauchte eine neue deutsche Armee« (Strümpell), also wurde der Gewerkschaftssekretär Stillger »abgeschossen«. Bahnfrei für die NATO und das KPD-Verbot. »Eine schöne Zeit«, sagt der Ritterkreuzträger rückblickend. »Na ja, merkwürdig war es schon, einem feindlichen Kampfjäger Auge in Auge zu begegnen, ihn herunterzuholen. Aber der hatte ja auch seine Chance.« »Mein Leben?«, sagt Stillger. »Ich bin Marxist. Ich würde alles noch einmal so machen.« Der Spanienkämpfer Stillger erhielt (1979) nur eine kleine Invalidenrente, die Jahre in Spanien und im erzwungenen Exil wurden nicht anerkannt. Die obligatorischen Geschenke des Bürgermeisters von Remscheid für Ehepaare, die 50 Jahre verheiratet sind (Geldbetrag plus Präsentkorb), verweigert man den Eheleuten Stillger mit dem Hinweis, daß sie ja zwischendurch geschieden gewesen waren. Kommentarlos hat Klaus Volkenborn gemeinsam mit seinen Kollegen Johann Feindt und Karl Siebig die Interviews der beiden Männer gegeneinander montiert. Das Ergebnis ist heute so verstörend wie damals. Anne Dessau
Joseph WulfIn die Reihe »Jüdische Miniaturen«, die inzwischen bis zum 50. Bändchen vorangekommen ist, wurde eine Studie Gerhard Schoenberners über Joseph Wulf aufgenommen, dessen in den ersten Nachkriegsjahrzehnten erworbene Verdienste heute weitgehend vergessen sind. In Chemnitz geboren, in Krakau aufgewachsen, im Widerstand gegen die deutschen Eroberer bewährt, in Auschwitz gequält, ein Überlebender unter den europäischen Juden, kam Wulf nach der Befreiung auf Umwegen 1955 nach Berlin, wurde hier ansässig und entfaltete als Historiker, der – von seiner frühen Zusammenarbeit mit dem Franzosen Leon Poliakov abgesehen – ein Alleingänger war, eine außergewöhnliche Produktivität. Bei der Bloßlegung von Charakter und Funktionsweise des Naziregimes ging er allen Fachwissenschaftlern in der Bundesrepublik voran. Wulfs Bücher »Das Dritte Reich und die Juden« (1955), »… und seine Diener« (1956), »… und seine Denker« (1959), »... und seine Vollstrecker« (1961) sind reich an Argumenten gegen alle damals im Schwange befindlichen Verzeichnungen des Regimes. Sie stellten zugleich Anklageschriften gegen alle dar, die für die Wiederverwendung von Zehntausenden einstiger Täter – eben jener Diener, Denker und Vollstrecker – im bundesdeutschen Staate verantwortlich waren. Weitere Dokumentensammlungen beleuchteten die Rolle der Bildenden Künste, der Musik, der Literatur und Dichtung, des Theaters und des Films, der Presse und des Funks im Nazireich. Auch sie Früchte eines immensen Fleißes, entfaltet in Archiven. Und das alles zu einer Zeit, da die etablierte Geschichtsschreibung, wenn sie sich dem Thema nicht überhaupt verweigerte, den Weg zur Bildung leistungsfähiger Forschungsgruppen gerade betreten hatte. In diese ist Wulf nicht integriert worden. Bei dem Versuch, in der Villa am Wannsee, in der am 20.Januar 1942 der millionenfache Mord an den Juden Europas besprochen worden war, ein Internationales Forschungszentrum zu errichten, scheiterte er. Erst nach seinem Tode wurde der Plan in abgewandelter Form verwirklicht. Schoenberner, der zu Wulfs Mitstreitern gehörte und später als erster Direktor der Gedenkstätte wirkte, hat seinem Freunde einen eindrucksvollen literarischen Gedenkstein gesetzt. Er erinnert sich ihrer beider Gespräche und berichtet von seinen Wahrnehmungen auch über Wulfs Haltung zu den Zeitereignissen namentlich in der Bundesrepublik und in Israel. In dieser Passage findet sich einer von vielen Sätzen, die zum Einhalten und Nachdenken herausfordern: »Seine (Wulfs) Reaktion, selbst bei aufkommenden Zweifeln, tapfer zum Staat der Juden zu stehen, Israel unbedingt zu verteidigen und niemals ein Wort der Kritik nach außen dringen zu lassen, die mich lange an die durch nichts zu erschütternde Treue der Kommunisten in aller Welt zur Sowjetunion erinnerte, war damals durchaus typisch.« Wünschenswert wäre, daß das schmale Bändchen einen Doktoranden anregte, Joseph Wulf in der Historiografie über das faschistische Regime den Ehrenplatz einzuräumen, der ihm gebührt, einem Manne, der weder die Muße zur Ausbildung noch die Arbeitsbedingungen späterer Forscher besaß, doch mit seinen Arbeiten ungeschönte Geschichtsbilder in einer demokratischen Gesellschaft wirksam machen wollte. Von ihm schrieb 1963 die Frankfurter Allgemeine Zeitung , er habe als erster die Mistgabel ergriffen. Kurt Pätzold Gerhard Schoenberner: »Joseph Wulf. Aufklärer über den NS-Staat, Initiator der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz«, in: »Jüdische Miniaturen«, Hg. Hermann Simon, Hentrich & Hentrich Verlag, 61 Seiten, 5.90
Wofür gelebt – wofür gestorben?Wie viele Bundesbürger würden glauben, daß es ein tatarischer Dichter war, der – in Abwehrkämpfen gegen Hitlers Aggressionsarmee verwundet und in Gefangenschaft geraten, dann wegen Organisierung des Widerstandes in Deutschland der Hinrichtung entgegensehend – ein Gedicht schrieb, das mit diesen Zeilen begann: »Und das wär das Land des großen Karl Marx? / Den Stürmer und Dränger Schiller bargs?« Mussa Dshalil – vor hundert Jahren, am 15. Februar 1906 geboren, Autor von lyrischen Gedichten, Versepen, Opernlibretti, Vorsitzender des tatarischen Schriftstellerverbandes – wurde am 25. August 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Fünfzig Jahre ist es her, da erhielt ich den Auftrag des DDR-Verlags Kultur und Fortschritt, eine russische Ausgabe von Gedichten Mussa Dshalils sowie Nachdichtungen von Franz Leschnitzer zu begutachten. Dshalil beeindruckte mich durch die emotionale Kraft, die aus seinen im Moabiter Gefängnis geschriebenen Gedichten sprach – von der Unbeugsamkeit seinen Peinigern gegenüber (»Das lügst du, Henker, ich und niederknieen!«) über sein Bekenntnis zum Kampf selbst in Form einer solchen Ballade wie »Der Quell und die Nachtigall« bis zur Trauer, daß er seine Tochter Tschulpan wohl nie mehr sehen wird (»Vision im Kerker«). Bemerkenswert über seine Gedichte hinaus war auch, was seine Frau Amina später im Vorwort zur deutschen Ausgabe über seine Beschäftigung mit deutscher Zeitgeschichte und Kultur mitteilte: mit Beethoven, Händel, Brahms, Bach, Richard Wagner und auch mit Arnold Schönbergs atonaler Musik. Daß Mussa Dshalils bis Ende 1943 geschriebene Gedichte gerettet wurden, ist seinem zeitweiligen belgischen Zellengenossen André Timmermans zu verdanken. »Aus dem Moabiter Heft« hieß das Bändchen, das dann 1957 erschien –nach zehn Jahren gefolgt von einer erweiterten Auswahl mit neuen Nachdichtungen in der Lyrikreihe des Verlags Volk und Welt. Erich Müller zitierte zur Einschätzung von Mussa Dshalil den aserbaidshanischen Dichter Samed Wurgun: »Die Welt und die Weltliteratur kennt viele Dichter, die ihren Namen unsterblich gemacht haben. Solche Dichter aber wie der tatarische Dichter-Held sind nicht zahlreich... Ich nenne ihre Namen: der große Byron, der berühmte Dichter des ungarischen Volkes Petöfi, der Held Fuik und schließlich Mussa Dshalil.« Und gewiß war nicht die inzwischen dominierende global-kapitalistische Ausbeutung das Ideal, das Mussa Dshalil die Kraft gab, so zu leben und zu sterben, wie er im Gedicht »Meine Lieder« schrieb: »Ist als ein Volkslied mein Leben verflogen, ruft als ein Kampflied mein Sterben zur Tat.« Im Berliner »Russischen Haus« fand jüngst eine gut besuchte Veranstaltung »Mussa Dshalil – Leben und Poesie« statt, veranstaltet von den »Berliner Freunden der Völker Rußlands e.V.« unter Teilnahme von Gästen aus Kasan, der Hauptstadt Tatarstans, darunter Dshalils Tochter Tschulpan und sein Biograph Raffael Mustafin, und mit einem dynamischen tatarischen Kulturprogramm unter Leitung von Venera Vagizova, Redakteurin einer lesenswerten Zeitschrift von Tataren, Baschkiren und ihren Freunden , die unter dem Titel AITaBash erscheint. Leonhard Kossuth
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Press-KohlIn der Mitte Berlins existiert, wie jedermann weiß, weil er es wissen muß, ein schönes neues Monstrum. Das ist natürlich auch der B. Z. (»Berlins größte Zeitung. Gegründet 1877«!) nicht entgangen. Das Blatt teilte am 26, Mai mit: »Berlin feiert den neuen Hauptbahnhof der Superlative. Nach mehr als 10 Jahren Bauzeit wird er heute abend eröffnet. Eine Kathedrale aus Stahl und Glas im Herzen der Stadt.« Der Papst konnte zur Eröffnung der neuen Kathedrale leider nicht erscheinen, so daß unsere Frau Bundeskanzlerin eröffnete, wobei sie die Gepäck-Schließfächer nicht benutzte, weil es auf dem »größten Kreuzungsbahnhof Europas« keine Gepäck-Schließfächer gibt. Auch aus diesem Grund befahl die B.Z. in 45 Millimeter hohen Lettern: »Heute alle Bahnhof staunen!« Die dazugehörige Pisa-Schlagzeile »Und Angela seine Hals-Kette mit Ehrfurcht kucken!« entfiel wegen Platzmangels. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 12/2006 |
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