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Die Stimme appelliert an Bilder, eingebrannt im Kopf. »Wenn Sie also in diesen Körper hineinschneiden, am besten dort, wo er weich ist... wenn Sie sich diese zerschnittenen, erschöpften, geköpften Menschen in solchen Massen auch noch anschauen wollen... dann kommen Sie her... stürmen Sie diese Bilder, daß der Staub aufwirbelt wie unter einer tobenden Herde Vieh, die ins Stadion will, vorbei an den Sicherheitsleuten... daß Sie so einfach vorwärtsstürmen können, ohne daß einer Sie aufhält, na, dann werden Sie es kennenlernen!« Ein irritierender Text, ein Text von Elfriede Jelinek. Keine Bilder noch nicht. Im Burgtheater Wien, das mit »Babel« im Hamburger Thalia-Theater gastiert, hat Nicolas Stemann dieses sperrige Textungetüm inszeniert. Was ursprünglich für drei Stimmen gedacht war, hat er für acht Schauspieler eingerichtet und für neun Frösche, Marionetten wie aus einer Kinderserie des Fernsehens. Die schwadronieren übers Immunsystem, das untersucht und getestet wurde an Mäusen und im Krieg an den Toten, »die wir wieder neu hereinbekommen haben«. Es ist das zweite Stück der Jelinek, das sich wie schon vorher »Bambiland« mit dem Irak-Krieg auseinandersetzt. Mit den Vorstellungen, die sich in den Köpfen angestaut haben, mit den Bildern, mit dem, was danach kam. Die Folterfotos von Abu Ghraib stecken im Kopf, hinter den Augen, wie Pop-Ikonen. Gewalt und Sex und Religion, aufgetischt in den Medien, Jelinek setzt sie uns vor, ein Menschengericht bis zum Kannibalismus. Was aber bewirkt ein »Moralkunstwerk« (Jelinek) gegen das, was Bushs »embedded journalists« mit seinem Moralkunstwerk des »gerechten Krieges« veranstaltet haben? Kunst kann diese Ambivalenz sichtbar machen, mit Bildern einen Text aufbrechen, der eben diese Überflutung und Abstumpfung zum Thema hat. Das dichte Wortgewebe birgt unendlich viele Sprachspiele, selbst Albernheiten, aber auch Sprengstoff in sich. In der szenischen Darstellung geht vieles davon verloren oder wirkt plump, eindimensional. Worte lassen sich zurücknehmen mit Worten, ein Bild nicht. Da hängt das Kruzifix über dem Kamin, die Mutter tauscht es aus gegen ein Bild von Bin Laden. Die Söhne verschwinden später im künstlichen Kaminfeuer zum Song: »Adieu, mein Todespilot«, kommen mit Palästinensertüchern als Lendenschurz wieder. Später hinter Elektrozäunen eingesperrt, dann nackt, nicht provozierend, nur komisch. »Ach, Sie gehen schon?« extemporieren die drei nackten Söhne von der Bühne zu fliehenden Zuschauern und nehmen ihren Text wieder auf. Als Transvestiten mit BHs ausgestattet, die Schwänze weggeklemmt, verbreiten sie Vorurteile bei lockerer Musik nicht über ihr Zwittergeschlecht: über die Araber. »Denen ist alles zuzutrauen. Ich bin so dressiert worden, daß ich jedem Araber den Kehlkopf zertrümmern muß.« Dann allein auf der Bühne vor dem Vorhang eine einzelne Dame im Unterrock, hinreißend gespielt von wem, erfährt man aus dem Programmheft nicht. Sie versichert immer wieder: »Das ist österreichisch.« Die Sprache wohl, der Inhalt: international. »Die Berichterstattung von Taten ist der Berichterstattung über Titten gewichen.« Das Sich-Einverleiben der Bilder, des Fleisches, führt zum Kannibalismus. Eine Japanerin beschreibt emotionslos in niedlichen Deutsch einen geplanten Mord: Ein Mensch soll erschossen werden, nur Mittel zum Zweck: zur Zubereitung der Menschenmalzeit. Mit sanfter Musik untermalt wie manche Fernsehserien das läßt weitere Zuschauer flüchten. Vorn an der Rampe steht eine Frau, zieht sich langsam aus wie ein Opfer. Stammelt nur immer wieder: »Warum ist dieser Krieg ausgebrochen?« Ein kleiner dicker Mann kommt allein auf die Bühne, an einem Hamburger auf Pappteller kauend oder ist es eine »Bubenwurst«, wie Jelinek eine beschreibt? Setzt sich und beginnt zu zappen, beginnt sich das Leben ins Zimmer zu holen oder den Krieg, je nachdem. Wenn ihn die Bilder stören schnell weg-gedrückt. Die Frau oder Mutter, die Mutter nicht sein will von Söhnen, die sterben im Krieg oder als Märtyrer oder als Selbstmordattentäter. Die stolz sein will, den Sohn behalten will, bei sich behalten, in sich aufnehmen, unverlierbar. Elfriede Jelinek gibt ihr viel Raum im Buch. In dieser Inszenierung wird sie von der Vielzahl der Personen an den Rand gedrängt. Sie läuft mit dem Kruzifix in der Hand herum, das sie von der Wand gerissen hat: »Jetzt bin ich dir eben leider noch ausgeliefert, du Trottel Gott, was traust du deiner Natur alles zu! Die kann doch überhaupt nichts...« Zum Schluß Fernseher auf der Bühne, aufeinandergeschichtet, sie zeigen Gewaltszenen. Blut fließt und fließt. Die Söhne und alle anderen sind beschmiert mit Blut, vor allem der kleine Dicke, der da als Marsyas hängt, der die Flöte spielen will, aber nicht darf. Die Haut abgezogen und aufgehängt. »Wurde uns alles befohlen...« höre ich. Marsyas - er rebellierte gegen Apoll. Der sitzt unbewegt ohne Blut in der Ecke, eine Statue mit Lorbeerkranz und Leier, der Sieger mit Bush-Pokerface. An der Hinterwand kommt von oben ein großes Kreuz, plötzlich, daran hängt ein Schlipsträger: Jesus im dunklen Anzug. Der Beginn war dunkel, zeigte nichts. Das Ende ist laut und stampfend und schmerzhaft hell. Scheinwerfer, aufs Publikum gerichtet, blenden, zwingen die Augen zu schließen wovor?
Erschienen in Ossietzky 12/2006 |
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