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Denn alles, was die US-Agenten mit konspirativer Unermüdlichkeit in den Papierkörben des »Subjekts« (Brecht) suchten oder in aufopferungsvoller Tag- und Nachtarbeit beim Abhören der Telefonate und beim unablässigen Beobachten aller Leute, die das Haus des »Subjekts« in Santa Monica betraten, erfahren wollten, hätten sie mühelos und wesentlich kostengünstiger zum Beispiel in Brechts Stück »Die Heilige Johanna der Schlachthöfe« finden können, sogar in Englisch: »Where ever violence prevails, the only help is violence itself.« Gibt es einen eindeutigeren Beweis, daß das »Subjekt« tatsächlich den »gewaltsamen Sturz« des Kapitalismus plante? Ein einziger Satz also, nämlich »Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht«, hätte ausgereicht, ganze 371 Seiten Protokolle zu ersetzen. Denn er liefert, was die Aktenberge nicht liefern konnten: den Beweis für die Gefährlichkeit des »Subjekts«, das »höchstwahrscheinlich Kommunist« war. Die unter dem Stichwort »Subject Bertolt Eugen Friedrich Brecht, Document File#100-19o707« gesammelten Protokolle einer kostspielig-aufwendigen Observation beweisen wieder einmal, daß Graham Greene wie auch andere kluge Leute seiner Generation recht hat, wenn er in seinem umwerfenden Spionage-Roman »Unser Mann in Havanna« die globale Geschäftigkeit der Geheimdienste ein »unverzichtbares perpetuum mobile bestbezahlter Sinnlosigkeiten« nennt. Denn es geht dem Federal Bureau of Investigation offenbar gar nicht um das, was in den Akten steht. Darin steht nichts, was man nicht an jeder Straßenecke am Zeitungskiosk hätte erfahren können. Es geht vielmehr um das, was nicht drinsteht, was aber, wie man vermutet, drinstehen könnte. Da nichts drinsteht, kann man alles Mögliche vermuten. Es geht also nicht um den Inhalt der Akten, sondern einfach um die Tatsache, daß es solche »Akten« gibt und daß das jeder weiß. Da man sie aber nicht kennt, können sie alles und jeden betreffen. Nicht die Gewißheit der Fakten soll hier wirken, sondern der Faktor der Ungewißheit. Die FBI-Akten sollen nicht etwa zeigen, was einer tatsächlich einmal getan hat, sondern was er in Zukunft auf jeden Fall unterlassen soll. Es sind Warnungen an Illoyale oder solche, die man zu Illoyalen macht. Kurz: In der professionellen Sinnlosigkeit der Geheimdienste liegt gerade ihr Sinn: Man soll sie fürchten, ohne zu wissen warum. Und je größer die Ungewißheit, desto gewisser die Furcht. Gott, dessen Auge auf allen Menschen ruht, verfolgt sie, wenn sie sündigen, nach den zehn Geboten, und die sind seit Moses bekannt. Das FBI, dessen Auge ebenfalls auf allen Menschen ruht, verfolgt sie bis in die Papierkörbe und in die Ehebetten, ohne daß sie je erfahren, aus welchem Grund. Es schafft eine Atmosphäre, in der Angst und Denunziation prächtig gedeihen. So gesehen sind die FBI-Akten allerdings als spannende Lektüre sehr zu empfehlen. Denn gerade ihr feststellbarer Leerlauf, betrieben rund um die Uhr mit professioneller Monotonie, bringt die gewünschte Wirkung: Die vollendete Sinnlosigkeit verunsichert das »Subjekt«, das ständig nach einem Sinn sucht, den es nicht gibt. Ein Nervenkrieg. Und je weniger Beweise, desto mehr Verdachtsmöglichkeiten. Das »In dubio pro reo« (Im Zweifel für den Angeklagten) erfährt hier eine ganz neue Auslegung: In Zweifelsfällen noch größeres Interesse für die Zielperson. Unschuld macht verdächtig, sie könnte Tarnung sein. Das Federal Bureau of Investigation hat damit Erfolg. Es konnte zwar nicht die Gefahr der japanischen Bomber »investigieren«, die unerkannt zu Hunderten Pearl Harbour ansteuerten, um die gesamte Pacific-Flotte der USA zu vernichteten, aber es gelang dem FBI zum Beispiel, eine andere »Gefahr von den Vereinigten Staaten von Nordamerika abzuwenden«: Der Schauspieler Charles Chaplin, lange Zeit Ziel »intensiv-operativer Behandlung« durch das FBI, verließ fluchtartig das Land und ließ sich in der Schweiz nieder. Von nun an waren die USA vor Chaplin sicher. Auch Brecht verließ 1947 die USA, nachdem er knapp der Verfolgung durch McCarthy entgangen war. Und das FBI hatte noch einen zusätzlichen Erfolg: Die US-amerikanische Besatzungsmacht verbot dem »Kommunisten Brecht«, als er aus der Emigration kommend nach Ostberlin reisen wollte, bei Androhung einer Haftstrafe die Durchreise durch ihre Besatzungszone. Geradezu unentbehrlich wird die Lektüre der »Akte Brecht«, wenn wir uns im staatlich verordneten Dschungel heutiger, heimischer Geheimdienste zurechtzufinden versuchen, die auch Journalisten und Kinder als »Quellen« (freiheitlich-demokratische Version von IM) benutzen. Wie das Federal Bureau of Investigation wollen sie nur das Beste: die »Sicherheit« des Staates durch Verunsicherung seiner Staatsbürger. »Die Akte Brecht«, jüngst vom FBI freigegeben, erläutert von Klaus Huhn, wird Ende Juni im Spotless Verlag erscheinen.
Erschienen in Ossietzky 12/2006 |
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