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Im wirklichen Krieg der USA gegen Vietnam aber haben Einzel- oder Bodenkämpfe allenfalls zu Beginn das Geschehen bestimmt, ausgeführt von südvietnamesischen Soldaten. Die US-Soldaten wurden kaum im Gelände eingesetzt, sie überflogen es im Hubschrauber, Kampfjet oder B-52-Bomber. In den Filmen kämpften sie am Boden, und zwar im Grunde – das war das Neue im Genre – gegen eine feindliche Natur, den Dschungel, und der Feind, der »Vietkong«, war nur ein Teil davon. In diesem Arrangement steckte gleichwohl ein Stück Wahrheit, eine subtile Symbolik: Man bemühte sich nicht einmal darum, zu behaupten, dies sei ein heldenhafter Krieg, in dem das Vaterland am Mekong verteidigt werde, sondern das Handeln der GIs erschien wie ein Krieg gegen eine natürliche Ordnung der Dinge, gegen ein Volk, das seinen Weg gehen wollte und das seinerseits keinerlei feindliche Absichten oder Gefühle hegte, geschweige denn irgendeine Aggression oder Invasion plante. Denn daß die nördlichen und südlichen Vietnamesen ohne den Einfluß, die Agitation und Invasion der USA aufeinander losgeschlagen hätten, ist ein Märchen, das niemand je ernsthaft geglaubt hat. Die Gegner waren räumlich voneinander getrennt: der eine oben und der andere unten. Unten fand die Zerstörung statt, die der Pilot nur ahnen konnte – eine moralische Konfrontation fand nur punktuell statt, wenn einer abgeschossen wurde. Seither haben die USA ihre »Kriege neuen Typs« so geführt wie zuletzt auch im Irak: Man bombt ohne Risiko alles kaputt und marschiert dann ein, ohne auf den Widerstand starker Streitkräfte zu stoßen. Im Vietnamkrieg wurde aber eine neue Waffe zum ersten Mal eingesetzt, mit bislang noch nicht erlebten Konsequenzen. Das Besprühen großer Teile des Bodens in Südvietnam mit chemischen Giften von 1961 bis 1971 hatte eine räumliche Trennung zwischen Aggressoren und Opfern zur Voraussetzung. Ursache und Wirkung waren nunmehr auch zeitlich dissoziiert. Über Vietnam versprühte die US Air Force, um den Widerstandskämpfern die natürliche Umgebung und Deckung zu nehmen, 65 verschiedene Gifte, darunter, versteckt im sogenannten Agent Orange, schätzungsweise 600 Kilogramm des Giftes Dioxin, des gefährlichsten Giftes, das die Menschheit kennt. Es ist sehr widerstandsfähig und verdirbt im Boden auch nach 100 Jahren noch nicht. Es verursacht sofortige Schäden an Menschen, die ihm direkt ausgesetzt sind: Tod (ein tausendstel Gramm ist tödlich), Krebs, geistige Störungen. Das grausigste Neue an dieser Waffe sind die verheerenden, noch kaum erforschten Langzeitwirkungen auf das menschliche Genom. Ähnlich wie bei der Atombombe (Hiroshima) oder der mit Uran gehärteten Munition (Irak) wird damit die zeitliche Grenze des Kriegsendes aufgehoben. Viele Opfer werden erst 30 oder 40 Jahre nach dem Krieg geboren (wenn sie denn lebensfähig sind). Diese Opfer wissen nicht, woher ihre Leiden kommen, es muß ihnen im Geschichtsunterricht erzählt werden. Zugespitzt gesagt: Keiner weiß, wie lange dieser Krieg noch dauern und Opfer fordern wird. Bisher hat sich keine Regierung in Washington zu der Verantwortung der USA bekannt, obwohl der Wissenschaft die Gefährlichkeit dieser Substanzen seit langem bekannt ist und Agent Orange – ursprünglich ein Entlaubungsmittel – in der Zusammensetzung, wie es in Vietnam eingesetzt wurde, in den USA seit langem verboten ist. Als US-Veteranen, die ebenfalls betroffen sind, klagten, speiste die Regierung sie mit viel Geld ab, um einen Prozeß zu verhindern. Für Vietnam sind diese Kriegsfolgen eine ungeheure Belastung, die man mit eigenen Mitteln weder wissenschaftlich noch medizinisch noch sozial noch finanziell bewältigen kann. Deswegen haben die Opfer sich jetzt in einer Interessengemeinschaft organisiert und sind vor Gericht gegangen. Da nach US-amerikanischem Recht die Regierung nicht angeklagt werden kann, richtet sich ihre Klage gegen die Firmen, die das Dioxin hergestellt haben (Monsanto, Dow Chemical und andere). Nachdem Richter Weinstein vom Bezirksgericht in Brooklyn die erste Klage zurückgewiesen hat, gehen sie nun in die nächste Instanz. Aber auch wenn das Verfahren letztlich scheitern sollte, so haben die Opfer (darunter auch Vietnamkriegsveteranen aus Australien, Neuseeland, Südkorea und Kanada, die sich jetzt angeschlossen haben) schon insofern Erfolg, als ihre Sache weltweit Aufsehen erregt und eine internationale Solidaritätsbewegung entsteht, die dringend notwendig ist, damit es nicht bei hilfloser Wut als Reaktion auf den Zynismus der Supermacht bleibt, sondern damit die Mißachtung der Menschenrechte (durch Dioxin, durch Atomwaffen, durch Folter) endlich gestoppt wird.
Erschienen in Ossietzky 12/2006 |
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