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Niemand mochte widersprechen, denn am selben Tag war bekannt geworden, daß die Bundesregierung den Verschleppungsfall Khaled el Masri und die Rolle des BND dabei in einem entscheidenden Punkt falsch dargestellt hatte. Der BND wußte weitaus früher als bisher zugegeben von der Verschleppung durch die Amerikaner. Das Parlament sieht sich von Bundesregierung und BND getäuscht. Khaled el Masri, deutscher Staatsbürger libanesischer Herkunft, wurde Silvester 2003 unter mysteriösen Umständen an der serbisch-mazedonischen Grenze verhaftet. Nach 23 Tagen Gefangenschaft in Skopje wurde er der CIA übergeben, mit verbundenen Augen zum Flughafen gebracht, mit Handschellen gefesselt, eine Sichtmaske über den Augen. In einer Verhörzelle wurde er zusammengeschlagen. Seine Kleider wurden ihm mit einer Schere vom Leib geschnitten. Durch eine Injektion wurde der Mann betäubt und in ein Flugzeug gesetzt. In einer Zelle wachte er auf. Mitgefangene erzählten ihm, er sei in Kabul. Dort hielt ihn die CIA fünf Monate gefangen und verhörte ihn immer wieder über das Multikulturhaus in Neu-Ulm. Ende Mai 2004 ließen ihn die Amerikaner endlich frei. Ein BND-Agent meldete sich jetzt zu Wort, als er annehmen mußte, zu diesem Verschleppungsfall als Zeuge im BND-Untersuchungsausschuß des Bundestags aussagen zu müssen: Er habe beiläufig bei einem Einsatz in Skopje Anfang Januar 2004 von der Verhaftung erfahren. Demnach hätte der BND das Martyrium el Masris noch rechtzeitig verhindern können. Der Agent behauptet, er habe seine Information für sich behalten. Dies erscheint so weltfremd und unwahrscheinlich, daß niemand diese Version glaubt. Damit gerät auch die offizielle Version ins Wanken, die Bundesregierung habe erstmals nach der Freilassung el Masris von dessen Verschleppung erfahren. Noch im Februar hatte Olaf Scholz, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion und ehemaliger Hamburger Innensenator, getönt, nach Vorlage des 270 Seiten starken »Schlußberichts« der Bundesregierung seien alle Fragen zu el Masri, zu den Vernehmungen in Foltergefängnissen, zu den CIA-Gefangenenflügen in Europa und zum BND-Einsatz während des Irakkriegs in Bagdad beantwortet. Die Opposition setzte dennoch einen Untersuchungsausschuß durch. Zu Recht, wie sich jetzt zeigte. Sogar SPD-Obmann Thomas Oppermann gab zu, man könne die Lesart nicht mehr aufrechterhalten, daß schon alles aufgeklärt sei. Vielmehr wird der Untersuchungsausschuß jetzt erst recht prüfen müssen, ob el Masri bewußt von deutschen Behörden den Amerikanern ans Messer geliefert worden ist. Es gibt Anhaltspunkte für eine Kooperation mit der CIA. Laut Focus soll ein Mitarbeiter des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz im April 2004 in der Nähe des Münchner Stachus einem CIA-Mann ein Dossier über el Masri ausgehändigt haben. Eine Widerrufsklage des Verfassungsschutzpräsidenten gegen das Nachrichtenmagazin blieb in erster Instanz erfolglos. Immer mehr rücken sogar die traditionell geheimdienstfreundlichen Unionspolitiker vom BND ab. Der CSU-Innenexperte Stephan Mayer verlangte eine völlige Neuorganisation des Dienstes. Wolfgang Bosbach, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ging noch weiter und erklärte, die »Informationspannen« seien »fast schon systemimmanent«. Bosbach forderte einen ständigen Geheimdienstbeauftragten des Parlaments. Solche Vorschläge greifen aber zu kurz. Der BND ist und bleibt ein Fremdkörper in einer Demokratie, nicht kontrollierbar und nicht reformierbar. Er schadet viel und nützt wenig. Nicht nur blamabel, sondern sogar katastrophal war die Fehlleistung des BND, den Amerikanern mit falschen Informationen über angebliche Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins einen Vorwand für den Irakkrieg zu liefern. Der jüngst bekannt gewordene Skandal, daß der BND an- derthalb Jahrzehnte rechtswidrig Journalisten bis hin in die Privatsphäre bespitzelt hat, müßte jedermann die Augen geöffnet haben: Die einzige logische Konsequenz ist die Auflösung dieses Geheimdienstes. Denn die Reaktion der Bundesregierung im Bespitzelungsskandal zeigt, daß es keinen ernsthaften Willen gibt, diesen »Staat im Staate« an die kurze Leine zu legen. Publikumswirksam hat das Kanzleramt Mitte Mai 2006 dem BND ab sofort die Bespitzelung und Anwerbung von Journalisten als Quellen untersagt. Bei näherer Betrachtung fiel auf, daß dies nur für die Fälle der sogenannten »Eigensicherung« gelten soll, wenn also der BND herausfinden will, wie Geheimdossiers an Journalisten gelangt sind. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) fordert daher schärfere Vorgaben für die Nachrichtendienste. DJV-Justitiar Benno Pöppelmann erklärte gegenüber dem ARD -Hauptstadtstudio zu der unzureichenden Anweisung des Kanzleramtes: »Das heißt im Klartext nur: Wenn ein Geheimdienst nach undichten Stellen in den eigenen Reihen sucht, darf er Journalisten nicht mehr bespitzeln – in allen anderen Fällen aber durchaus. Das ist mit den Grundsätzen der freien Medien nicht vereinbar.« Journalisten dürften sich nicht länger als »Zielobjekte der Geheimdienste« fühlen müssen. Dieses Beispiel beweist, daß die Bundesregierung eine Schaufensterentscheidung getroffen hat, um die Gemüter zu beruhigen. Weiterhin wird aber der BND Journalisten als Quellen führen, besser gesagt, sogenannte Journalisten, die sich dafür hergeben. Der Bundestag schaut bei alledem mehr oder weniger machtlos zu. Heribert Prantl bestätigte in der Süddeutschen Zeitung den Abgeordneten, die im Parlamentarischen Kontrollgremium die Geheimdienste überwachen sollen, redliches Bemühen. Aber dieses Gremium ist den Diensten strukturell unterlegen. Es ist auf Informationen durch die Bundesregierung angewiesen. Laut Gesetz informiert die Bundesregierung von sich aus über alle wichtigen Vorgänge. Dieser blauäugig formulierte Gesetzestext ist eine schriftliche Lüge, denn das Gegenteil ist wiederholt geschehen: Die Bundesregierung hat beispielsweise nicht über den Einsatz von BND-Agenten in Bagdad informiert. Diese Mitwirkung am Bush/Blair-Krieg stand im Gegensatz zur »Friedenspolitik« von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Außenminister Joseph Fischer (Bündnis 90/Die Grünen). Kein Wunder, daß man lieber den Mantel des Schweigens darüber gebreitet hat. Nicht die Kontrolleure bestimmen die Themen im Kontrollgremium, sondern die Kontrollierten selbst. Daran wird sich nichts ändern. In der Bundestagsdebatte vom 1. Juni machte SPD-Fraktionsvorsitzender Peter Struck deutlich, daß die Koalition Mitarbeitern des BND nicht einmal das Recht einräumen will, sich wegen aktueller Mißstände unmittelbar an das Kontrollgremium zu wenden, damit die Parlamentarier rechtzeitig eingreifen könnten. »Das würde die Funktionsfähigkeit eines Dienstes nachhaltig beeinträchtigen«, wehrte Struck diesen kleinen Reformansatz ab. Und selbst wenn an der einen oder anderen Stelle kleine Verbesserungen für die Arbeit der Kontrolleure erreicht werden sollten, darf man sich keine Illusionen darüber machen, daß die Schlapphüte letztlich doch machen, was sie wollen – sei es in Pullach oder künftig in Berlin. Die Bundesregierung hat festgestellt, daß es zu den Journalistenbespitzelungen gekommen sei, weil sich im BND noch die »Mentalität des Kalten Krieges« gehalten habe. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, daß diese Mentalität dort je überwunden wird.
Erschienen in Ossietzky 12/2006 |
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