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Die drei Hexen ergötzen sich fäkalisch. Wie zu Shakespeares Zeiten sind nur Männer auf der Bühne. Wer genau hinsieht, erkennt: Herrlich weit haben wir es seit der Zeit des historischen Macbeth im 11. Jahrhundert nicht gebracht. Wenn am Anfang ein Spieler von anderen beiseite gezerrt und blutig geschlagen wird, denkt man an Jugendgewalt von heute, und wenn später ein Reigen mit Kindermasken auftritt und, während einer Gitarre spielt, ein anderer einen Mann stranguliert, könnte auch das täglicher Zeitungslektüre entnommen sein. Das Gastmahl bei Hofe beginnt mit Gesang und langem Klatschen, ein Zeremoniell, das in Aggressivität umschlägt, wenn Knüppel auf dem Tisch kaputtgeschlagen werden. Der Geist des ermordeten Banquo sitzt mehlüberstäubt am Tafelende – nie verleugnet die Aufführung ihre einfachen theatralischen Mittel. Daß nackte Leiber übereinander an Abu Ghraib erinnern sollten, dementierte Regisseur Jürgen Gosch allerdings vehement. Daß »Three Atmospheric Studies« Irak meinen, aber auch Kriege allgemein, bekennt dagegen der seit 1973 in Deutschland arbeitende Choreograph und Bush-Gegner William Forsythe ausdrücklich, »My son was arrested« sind am Beginn des Abends die einzigen Worte einer Mutter, bevor die sechzehn Tänzer der Forsythe Company die Klage in Bewegungen und arrangierten Körperbildern ausdrücken. Im letzten Teil kommentiert die gleichförmige Stimme eines Militärsprechers die »Kollateralschäden« eines Bombardements. Ein anderes Experiment brachte die seit sechs Jahren als Begründer eines »Reality-Trends« renommierte Gruppe »Rimini Protokoll« ins Theatertreffen ein: Ihre Darsteller spielen sich jeweils mit ihren eigenen Biographien selbst. Das politische Skandalon heißt hier Vietnam und wird von zwei Veteranen jenes US-Krieges mit nüchternen Berichten über erlebte Verbrechen in Erinnerung gebracht. Er habe dabei an »Wallenstein« gedacht, sagt ein im Tarnanzug auftretender GI und schlägt damit einen Bogen zum gleichnamigen Projekt der Riminis. Das hat freilich mit dem Original nichts zu tun, und die krampfhafte Analogiesuche ist nur als Tribut ans 2005 begangene Schillerjahr zu verstehen. Von den Versen des gefeierten Dichters sind gerade mal fünfzig Zeilen übriggeblieben. Sonst soll man Motive des Dramas in der Gegenwart wiederfinden. Für die Soldateska der Pappenheimer steht neben den Amis die verbale Rekonstruktion einer Übung durch einen ehemaligen, heute arbeitslosen Zeitsoldaten der Bundeswehr, der Krieg erscheint in Erinnerungen eines einstigen Flakhelfers, und als Beispiel für heutige Intrigen und Verrat spricht als Wallenstein ein 1999 bei der Mannheimer Oberbürgermeisterwahl durchgefallener CDU-Kandidat von seinen politischen Erfahrungen und nennt auch mehrmals seine Lieblingsspeise Spaghetti mit Bologneser Sauce. Als Thekla soll man sich die blondierte Inhaberin einer Partnerschaftsagentur in knallrotem Kostüm vorstellen, und für Seni steht eine geprüfte Astrologin. Da diese Produktion des Nationaltheaters Mannheim eine Koproduktion mit dem Deutschen Nationaltheater Weimar ist, wurde dazu der stellvertretende Leiter einer Polizeidirektion in Thüringen engagiert, der von seinem Karriereknick zu DDR-Zeiten wegen der Liebe zu einer ausreisewilligen Frau erzählt – was als Parallele zum Konflikt Max Piccolominis verstanden werden soll. Weimar wird zudem von einem ehemaligen Oberkellner des berühmten Hotels »Elephant« repräsentiert, von dem man erfährt, daß er einmal Ceaucescu bediente, und mit welchen Sprechchören einst jubelnde Bürger den Hotelgast Hitler feierten. Als Referenz an eine in Deutschland geplante Weltmeisterschaft gab's übrigens im Prolog noch einen Bericht über Fußballrandale. Ich mußte während der Aufführung an den kurz zuvor gestorbenen Eberhard Esche denken, den ich 1979 als Wallenstein auf der Bühne des Ostberliner Deutschen Theaters sah. Von Riminis »Wallenstein«-Verwurstung hätte der Sprachkünstler, der sich selbst als klassischen Schauspieler bekannte, sich wohl mit Grausen gewendet. Ich nahm's der Auswahljury gerade mal als Beleg für die Vielfalt heutigen Theaters ab, die das Pauschalurteil des Boulevardjournalismus über die angebliche Dominanz modernen »Ekeltheaters« Lügen strafen sollte. Nur so wäre auch der kunstvolle Einsatz der Münchner Kammerspiele für das nichtssagende Rätselstück »Dunkel lockende Welt« des Österreichers Händl Klaus nachsichtig zu verstehen. Nach dem Dokumentartheater aus Mannheim dann Erzähltheater aus Halle. Bei der Ankündigung stutzte ich erst einmal: Nachdem die ostdeutsche Theaterprovinz jahrelang ignoriert worden war, zeigte man nun ausgerechnet das Stück eines holländischen Autors nach einer israelischen Romanvorlage in der Inszenierung des neuen theaters Halle, dessen Gründer und phantasievoller Intendant Peter Sodann kürzlich gehen mußte. Bei aller weiterhin bestehenden Skepsis gegenüber dieser Auswahl: Für sich genommen war es eine sympathische Aufführung. Dem Autor, Regisseur, Allroundtalent Paul Binnerts, Jahrgang 1938, der mehr als 75 Stücke inszeniert und etwa 15 selbst geschrieben hat, ist es in »Allein das Meer« gelungen, den gleichnamigen Roman des vorjährigen Frankfurter Goethe-Preisträgers Amos Oz in 34 kurze poetische Szenen aus dem Alltag einfacher Leute zu übertragen. Das spielt meist in einem kleinen israelischen Küstenort, aber auch mal am Himalaya, wohin sich Rico nach dem Tod der Mutter auf einen Selbsterfahrungstrip begeben hat, während daheim sein verwitweter Vater von der erotisch aufgeladenen Freundin des Sohnes in Verwirrungen der Gefühle gestürzt wird. Ein Freund Ricos, eine einsame Bekannte des Vaters und ein windiger Filmproduzent komplettieren das ständig auf der kargen Bühne präsente Ensemble, in dessen Raum und Zeit überspringende Monologe und Dialoge sich immer wieder mal die Figur des Autors einmischt. Da naheliegende Nahostkonflikte ganz ausgespart bleiben, könnte sich die undramatische Geschichte fast überall abspielen. Die frustrierte Freundin des Vaters bringt es gegen Ende auf den Punkt: »Es ist wie in einem Stück von Tschechow: Geldprobleme, und alle rennen der verkehrten Person hinterher, Leidenschaft, aber kein Rückgrat, es passiert eine Menge, aber verändern tut sich nichts.« So paßte der unspektakuläre Import aus Halle zur Tschechow-Dominanz dieses Theatertreffens. Der große russische Seelensezierer und Atmosphärenzauberer war mit gleich dreien seiner Stücke dabei; seine Figuren entsprechen wohl zeitgeistigem Lebensgefühl. In Stuttgart brachte Karin Henkel das erst im Nachlaß gefundene, sämtliche späteren Motive vorwegnehmende Frühwerk »Platonow« leicht modernisiert auf die Bühne. Alles, was die zahlreichen Personen tun, tun sie aus Langeweile: plötzliche Aggressionen herauskehren, trinken, auch lieben oder was sie so benennen. Die vier Frauen, die um den zynischen schwachen Schulmeister rivalisieren, meinen es freilich ernster als er, wenn sie durch ihn ihrem provinziellen Frust zu entrinnen hoffen. Sie lassen sich von diesem gegen alle Welt, die er »dreckig und schäbig« findet, rüde ausfallenden Platonow demütigen, um sich ihm dann doch wieder an den Hals zu werfen. Felix Goeser brilliert in der Titelrolle abstoßend, am Schluß aber mitleiderregend, wenn ihn die von ihm Verletzten und Enttäuschten nun als Rachegöttinnen niederschießen und wenn wir uns in seinen letzten Worten »Ich bin ein Mensch« auch wiedererkennen. Über diese Schlußszene im angedeuteten Wald wallt modischer Bühnennebel, der in Dimiter Gotscheffs ausgewähltem Berliner Volksbühnen-»Iwanow« – einem späteren Wiedergänger Platonows – in der leeren Tiefe vor einem Rundhorizont alle Figuren verschluckt. Auch die beiden übrigen in die Theatertreffenauswahl als »bemerkenswert« einbezogenen hauptstädtischen Inszenierungen, Ibsens »Hedda Gabler« von der Schaubühne und Andreas Veiels Dokumentarstück über einen rechtsradikalen Jugendmord in Brandenburg, »Der Kick« vom Maxim-Gorki-Theater, seien nur beiläufig positiv erwähnt. Da das Publikum doch ganz überwiegend aus Berlinern besteht, sollte man lieber mehr interessantes Auswärtiges einladen. Aber das ist eine immer wieder ignorierte alte Forderung. Das diesmal schwache Angebot hätte (vielleicht bessere) Ergänzungen vertragen. Schließlich also die »Drei Schwestern« aus Hannover, Anfang mit Gosch, Ende mit Gosch: der Kontrast zum actionreichen »Macbeth«. Eine graue tiefe Guckkastenbühne, die Tschechows Figuren wie in einem Käfig gefangen hält. Tische und Stühle werden von den Akteuren selbst hin und her geräumt, die sich zwischen ihren Auftritten in einen Hintergrund voller Gerümpel zurückziehen oder kurz in der ersten Parkettreihe Platz nehmen. Die Kostüme weisen sie als unsere Zeitgenossen aus. Die Männer einschließlich der Offiziere in schwarzen Anzügen, die Schwestern in Jeans und T-Shirts. Alle drei tragen eine Brille und wirken eher unscheinbar, während doch die Liebeserklärungen ihrer hoffnungslosen Verehrer von den wunderbaren Augen und Haaren der Angebeteten schwärmen. Den Alkohol, mit dem die Tschechowmenschen sonst gern Frust und Langeweile betäuben, ersetzen bei Gosch Zigaretten. Eine lähmende Stimmung liegt über dem Ganzen und schien so noch einmal den generellen Eindruck der Theatertreffen-Jury zu bestätigen, die das Theater der Gegenwart als ein »Theater des Stillstands« charakterisierte. So wie man früher in der DDR mehr als in Stücken heimischer Autoren in importierter Sowjetdramatik Probleme der eigenen Gesellschaft reflektiert fand, könnte man hier und heute fast glauben, es bedürfe eines Tschechow, um uns einen Spiegel vorzuhalten. Der Sehnsuchtsruf der drei Schwestern »Nach Moskau, nach Moskau« bekäme dann übertragen symbolische Bedeutung. Eins unterscheidet unsere Befindlichkeit allerdings von Zustandsschilderer des alten Rußland: Seine Gestalten hoffen zwar nicht mehr für sich selbst, aber für spätere Generationen immer noch auf eine glücklichere Zukunft erfüllten Lebens.
Erschienen in Ossietzky 11/2006 |
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