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US-amerikanische Schulkinder lernen diese an der Freiheitsstatue im New Yorker Hafen eingemeißelten Worte von Emma Lazarus diese Verheißung, die Millionen von Europäern in der Hoffnung auf »unbegrenzte Möglichkeiten« eine teure, gefährliche Reise ins Ungewisse wagen ließ. Mit ihnen entstanden die heutigen USA. Viele ihrer Urenkel aber meinen jetzt, die Lampe brenne zu hell und zu lange; ihnen wäre es lieber, sie würde gelöscht. Wie manche deutsche Wahlredner rufen sie: »Das Boot ist voll!« Heute wandern weniger Menschen durch New Yorks breiten Hafen ein; die meisten riskieren ihr Leben auf dem Landweg. Einige verdursten in den Wüsten von Texas, Neumexiko, Arizona und Kalifornien oder ersticken in abgedichteten Lastautos. Andere werden gefangen und zurückgeschickt. Außer Kubanern taugt niemand mehr für die Schlagzeile des Kalten Kriegs: »Sie wählten die Freiheit!« Trotzdem erweisen sich die Einwanderer, die ohne grüne Arbeitskarten kommen, als nützlich. Einerseits bieten sie jenen Rechten ein Wahlthema, die sich darüber aufregen, daß die Illegalen »unsere Gesetze« ignorieren, den Gesundheits- und Bildungsetat belasten und die Löhne der »ehrlichen Amerikaner« drücken. Andererseits freuen sich viele US-Amerikaner klammheimlich über die Illegalen, die für sie im Haushalt putzen, in »Schwitzbuden« nähen, spät nachts kellnern, Hühner, Schweine und Rinder am Fließband ausschlachten und kletternd oder gebückt die reichen Ernten einholen. Willkommen sind sie, gerade weil sie illegal sind, schwach in Englisch, oft auch im Lesen und Rechnen, und so voller Angst vor Entdeckung und Abschiebung, daß sie trotz miesester Löhne, unwürdigster Unterbringung und gröbsten Betrugs nicht aufzumucken wagen. Solche Eingeschüchterten sind willkommen, und für Nachschub ist gesorgt. Seit 1994 gilt zwischen Kanada, Mexiko und den USA die Nordamerika-Freihandelsallianz (NAFTA). Die riesigen Agrarmonopole der USA dürfen Baumwolle, Zucker und andere Waren billig nach Mexiko exportieren. Hunderttausende dortige Bauern konnten dagegen nicht konkurrieren und mußten ihr überschuldetes Land aufgeben. Um nicht zu verhungern, gaben sie all ihr Erspartes oder Erborgtes gierigen Schleppern, »Koyoten« genannt, um sich über die Nordgrenze schmuggeln zu lassen. Jede Arbeit war ihnen recht, wenn sie nur schnell Geld verdienen und nach Hause schicken konnten. Kleine Bauunternehmer wie auch große Tomatenfarmen oder Hähnchenmastbetriebe, Großlieferanten von Fast-Food-Ketten, nutzten die verzweifelte Lage der Illegalen und bereicherten sich an deren billiger Arbeitskraft. Noch viel mehr einlaßsuchende Lateinamerikaner sind zu erwarten, wenn es den USA gelingt, mit anderen Ländern im Süden ähnliche Verträge zu schließen wie mit Mexiko. Inzwischen kam es zur Spaltung zwischen lautstarken Feinden und heimlichen Freunden der Einwanderung. Im Dezember stimmte das Repräsentantenhaus einem Gesetz zu, das die Illegalen zu Verbrechern machte. Jeder, der sie anstellte oder ihnen half und sei es nur mit einem Glas Wasser , machte sich ebenfalls strafbar. Damit gingen die Einwanderungsgegner jedoch zu weit. Der Senat erdachte eine mildere Version. Auch George Bush kommt ja aus Texas, wo besonders viele solcher billigen Arbeitsverhältnisse bestehen. Dann traten die Betroffenen selbst aus ihrem Schattendasein hervor. Mehr noch: Sie marschierten, demonstrierten, forderten bislang ignorierte und negierte Menschenrechte. »Si, se puedes!« (»Ja, es geht doch!«) skandierten sie. Zuerst in Los Angeles, Chicago, dann in Dutzenden von Städten, großen und kleinen. Plötzlich machten sie sich bemerkbar: elf oder zwölf Millionen Illegale im Lande, Chinesen und Philippinos, Polen, Iren, Afrikaner, doch vor allem Latinos aus Mexiko und anderswo »südlich der Grenze«. Der 1. Mai in den USA kein Feiertag war der Höhepunkt. Vielleicht waren es eine Million in Los Angeles, dem Herz dieser neuen Bewegung, Hunderttausende waren es in Chicago und New York, Zehntausende in Orten, die längst vergessen hatten, wie ein Protestmarsch aussieht. Fröhlich, stolz, vielfach in weißen Hemden, wie vorgeschlagen, meist mit US-Fahnen, wie gewünscht, aber auch mit den Flaggen Mexikos, Guatemalas, der Dominikanischen Republik und anderer Staaten zogen sie friedlich durch die Straßen und gaben bekannt: Wir sind auch Menschen, wir wollen auch leben, ehrlich arbeiten und Menschenrechte haben wie alle anderen. Die US-Bürger staunten, was alles von den bisher Unsichtbaren abhängt: Lastautos fuhren nicht zum Hafen, Fast-Food-Ketten und Schlachthäuser machten gleich zu, manche Schulen blieben zu zwei Dritteln leer. Manche begriffen die Botschaft, andere nicht. Einige marschierten mit. Wichtige Gewerkschaften legten alte rassistische Traditionen ab und stellten fest, daß man nur gemeinsam etwas Besseres für alle erreichen könne. Am 29. April hatten in New York 350.000 gegen den Irakkrieg, gegen den drohenden Irankrieg, gegen die ganze Bush-Politik demonstriert. Zwei Tage danach reckte sich stolz eine neue Säule im wachsenden, aber immer noch wackligen Gebäude des Widerstands. 120 Jahre zuvor, am 1. Mai 1886, waren die Arbeiter von Chicago für den Achtstundentag marschiert. Sie waren friedlich geblieben, die Polizei blieb es nicht: Nach einer Provokation verhaftete sie acht führende Gewerkschafter sieben davon Ausländer, sechs waren Deutsche. Vier, die »Haymarket-Märtyrer«, henkte man, um die Arbeiter einzuschüchtern. Der Kubaner José Martí sagte: »Die Arbeiterklasse der Welt wird sie jedes Jahr am 1. Mai weiterleben lassen.« Und siehe da! Der Gesetzentwurf des Repräsentantenhauses wurde vergessen, auch den »Kompromiß« des Senats legte man beiseite. Im November finden Kongreßwahlen statt. Illegale Einwanderer haben kein Wahlrecht, doch viele Wähler haben ihre spanische Sprache und ihren spanischen Familiennamen noch nicht vergessen. Die Republikaner fürchten um ihre Mehrheit im Kongreß, die Demokraten streben danach. Die Stimmen von Texas und Kalifornien können den Ausschlag geben. Auch der dümmste Politiker liest in der Presse von Venezuela, Bolivien, Argentinien und immer wieder von Kuba. Bald wählt man in Mexiko einen Präsidenten. Wird er ein Freund von Bush sein oder von Castro und Chavez?
Erschienen in Ossietzky 11/2006 |
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