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Das Beispiel PrivatisierungDas beherrschende innenpolitische Thema auf beiden Parteitagen war die Privatisierung gesellschaftlichen Eigentums – früher hätte man sich getraut, es Volkseigentum zu nennen. Hier lag und liegt, abgesehen von persönlichem Eitelkeiten und trotzkistischer Lust am Spalten, der Kern der berechtigten Kritik großer Teile der Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) an der Politik der Linkspartei dort, wo sie an der Regierung ist. Vom Treffen der Linkspartei in Halle ist zu berichten, daß es auch dort kaum jemals größeren Beifall gab als dann, wenn sich einer der Redner über den Privatisierungswahn empörte. Der Antrag G4, gestellt von den Dresdnern Christine Ostrowski, Ronald Weckesser und anderen, sollte den Verkauf kommunalen Wohneigentums unter einigen verquast formulierten Einschränkungen legitimieren. Er bekam heftige Schelte und geht in die Anekdotengeschichte von Parteitagen insofern ein, als es am Schluß für diesen Antrag, der vorher im Zentrum der Generaldebatte gestanden hatte, weder einen einzigen Fürsprecher noch eine einzige Stimme gab. Das war aber auch nicht nötig. Denn die, die gemeinsam mit Sozialdemokraten in Dresden, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin Politik gestalten, hörten aus Halle wie auch von der WASG aus Ludwigshafen ein ganz anderes, viel wichtigeres Signal, das da lautet: Macht ruhig, was Ihr wollt, Ihr bekommt ein paar rhetorische Klapse, habt ansonsten aber Handlungsfreiheit! Um das zu verstehen, müssen wir uns drei Dinge genauer ansehen: den von der Linkspartei beschlossenen Antrag gegen den »Privatisierungswahn«, die laufende Privatisierung der Berliner Sparkasse und das Nichthandeln des Parteivorstands in dieser letzten Frage. Der Beschluß »Privatisierungswahn stoppen, kommunale Daseinsvorsorge erhalten!« beginnt mit den üblichen wuchtigen Worten, die jeden sofort skeptisch machen, der im Westen ein paar Jahrzehnte die sozialdemokratisch verhunzte Dialektik (links blinken und rechts abbiegen) erleben mußte. Darauf folgt die in ihrer Eindeutigkeit wie für Jurastudenten geschriebene Ausnahmeregelung: »Nur in Ausnahmefällen ist die Trennung von kommunalem Eigentum politisch vertretbar: ...« Der Beschluß nennt nach dem Doppelpunkt exakt zwei Ausnahmen, und zwar ohne jede Einschränkung etwa durch ein »insbesondere« oder »zum Beispiel«. Das kann keine Schlampigkeit sein; denn der Parteitag ist inzwischen, wie wir weiter unten sehen werden, kein Amateurtheater mehr, sondern eine Veranstaltung hochbezahlter Politprofis. Es gibt also – nach dem Beschluß dieses Parteitages – diese beiden Ausnahmen und sonst keine. Damit aber die Dresdner trotz der verbalen Schelte vor dem möglichen Ansinnen geschützt werden, daß die Partei nun etwa mit dem Beschluß in der Hand energisch gegen sie vorgeht, steht an der entscheidenden Stelle statt »darf« das sanfte »sollte«: »Zur Gewährleistung der bedarfsgerechten Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum sollte eine Veräußerung von Wohnungen aus dem Bestand kommunaler Wohnungsgesellschaften nur dann möglich sein, wenn...« – Sekt für Dresden und den US-Fond, der nun nicht mehr befürchten muß, daß die Beschlüsse des Kommunalparlaments noch revidiert werden könnten. Die andere Ausnahme – neben Wohnungen – betrifft »Ver- und Entsorgungsleistungen sowie Einrichtungen der sozialen Infrastruktur«, wenn sie der »Bevölkerungsentwicklung« angepaßt werden müßten. Wie steht es damit? In den letzten Wochen tagten nicht nur die Bundesparteitage von Linkspartei und WASG, sondern auch diverse Landesparteitage und -mitgliederversammlun-gen. In Berlin wurde unter anderem das Wahlprogramm der Linkspartei für den Urnengang am 17. September verabschiedet. Dem dortigen Parteitag lag der Antrag vor, folgende Passage in das Wahlprogramm aufzunehmen: »Die Linkspartei. PDS wendet sich gegen eine Privatisierung der Berliner Sparkasse, wie sie im Berliner Sparkassengesetz vorgesehen ist. Nur ein vollrechtsfähiges öffentlich-rechtliches Kreditinstitut mit entsprechendem sozialstaatlichen Auftrag gewährleistet eine flächendeckende Grundversorgung der Berliner Bevölkerung. Das Berliner Sparkassengesetz ist entsprechend zu ändern.« Es ist klar wie Kloßbrühe: So hätte es dem Beschluß von Halle entsprochen. Doch die Berliner lehnten den Antrag mit großer Mehrheit ab. Wäre die Linkspartei nicht so redestark und tatenschwach, dann wäre klar gewesen, was jetzt hätte passieren müssen. Denn vor und nach dem Doppelparteitag gab es beeindruckende Worte des Beauftragten für den Parteibildungsprozeß, Bodo Ramelow, was der Partner WASG alles tun müsse, um seine widerspenstigen Landesverbände auf Linie zu bringen. Nun weiß gerade dieser Freund des Alten Testaments, daß immer drei Finger auf denjenigen zurückweisen, der mit dem Zeigefinger jemand anderem vor dem Gesicht herumfuchtelt. Sie weisen auf die Linkspartei in Dresden, wo die verkauften Bewohner der verkauften Siedlungen nun zusehen dürfen, wie die US-amerikanischen Käufer die Mietpreise in die Höhe ziehen, auf die Linkspartei in Berlin und auf die Linkspartei als Ganze. Würde diese Partei genauso zentralistisch mit ihren Landesverbänden umspringen, wie sie es von der WASG verlangt – was hätte angesichts der Berliner Parteitagsentscheidung geschehen müssen? Zumindest hätte doch wohl der Parteivorstand gleich nach Halle erklären müssen, daß unabhängig davon, was Landesverbände beschließen, eine Privatisierung außer den vom Bundesparteitag abschließend festgelegten Ausnahmen verboten sei. Aber eine solche Erklärung gibt es nicht. Also wird die Berliner Sparkasse demnächst mit dem Segen der Linkspartei privatisiert werden – und das betrifft nicht nur Berlin. Zu Recht wehrt sich der Dachverband der Sparkassen, der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DGSV), vor Gericht dagegen, daß die Berliner Bankgesellschaft im Falle der Vollprivatisierung auch den Namen »Sparkasse« erwirbt. Wird die Berliner Sparkasse so versilbert, wie jüngst mit Segnung der Linkspartei die Dresdner Wohnungen versilbert wurden, wird danach das öffentlich-rechtliche Bankensystem ähnlich zerfallen wie in Italien und anderswo. Die Konsequenz wird sein, daß bundesweit die Sparkassen auf dem freien Markt zu kaufen sind, die Renditen der deutschen Privatbanken angelsächsische Höhen erreichen und dafür die jetzt noch vernünftigen Tarif- und Sozialleistungsstrukturen für die rund 250.000 Angestellten der Sparkassen bundesweit geschleift werden. Als weitere Konsequenz werden sich vermutlich – wie in den USA oder England – auch hier wegen der dann rapide steigenden Kontoführungsgebühren mehr und mehr Arbeitslose ganz aus dem Bankgeschäft verabschieden. Da an ihnen eh nichts zu verdienen ist, wird man sie ziehen lassen. Das schwächste Glied in der Kette der deutschen Sparkassen, die sie vor der Privatisierung schützt, liegt pikanterweise ausgerechnet da, wo die Partei regiert, die auf ihren Parteitagen am lautesten gegen die Privatisierung trommelt. Aber die Spitze dieser Partei sieht trotz aller schönen Reden und trotz frischer, klarer Beschlüsse seelenruhig zu, wie die Kette bricht. Soviel Apparat war nieDer scheinbare Hauptwiderspruch in Ludwigshafen war der zwischen scheinbar linkssektiererischen Landesverbänden und der fusionsbereiten Delegiertenmehrheit. Weil es – zum Glück – eine gemeinsame Partei geben wird, wird dies zu einem Nebenwiderspruch, der im weiteren geschichtlichen Verlauf vermutlich keine Rolle mehr spielen wird. Der Hauptwiderspruch in Halle war nicht so deutlich, aber er wiegt viel schwerer: Es ist der Widerspruch zwischen markigen Worten und der großen Bereitschaft, Handlungsfreiheit für politische Taten zu gewähren. Die Veräußerung der Dresdner Wohnungen war eine solche Tat, und die Privatisierung der Berliner Sparkasse wird eine solche Tat sein. Wie kommt das? Man braucht nicht lange zu rätseln, sondern muß nur einen nüchternen Blick in die Zahlenwelt des Parteitags werfen. 204 der 398 Delegiertenmandate in Halle waren mit Abgeordneten sowie mit hauptamtlichen Mitarbeitern der Partei und ihrer Fraktionen besetzt. Auch zumindest die aus größeren Städten kommenden 163 kommunalen Parlamentarier dürften der Partei manchen Euro für ihr privates Portemonnaie zu verdanken haben. Als Hans Modrow – völlig zu Recht – die für Bild- und FAZ- Leser ungewohnte schlichte Wahrheit ausspricht, daß die DDR über 40 Jahre lang der friedlichere und sozial gerechtere Teil Deutschlands war, wird sofort die SED-Keule geschwungen und gefragt, ob denn jemand diese verkrustete, von Apparatschiks beherrschte Partei zurückhaben wolle. Der Bericht der Mandatsprüfungskommission in Halle zeigt, daß außerhalb der SPD wohl selten eine Partei in Deutschland so vom eigenen Apparat beherrscht war wie heute die Linkspartei. Die Mehrheiten des Parteitages stehen, und sie stehen eng bei der Parteiführung, von deren Gehaltsüberweisungen diejenigen abhängen, die nicht als Abgeordnete ihr Geld direkt vom Staat beziehen. Diese Beherrschung der Linkspartei durch den Apparat setzt sich konsequenterweise im Parteivorstand fort. Die stärkste Fraktion in diesem 20köpfigen Gremium ist die der sieben Bundestagsabgeordneten, die zusammen mit den sechs Landtagsabgeordneten und der Vertreterin des Berliner Abgeordnetenhauses immer eine satte Mehrheit haben. Sie werden dafür sorgen, daß von diesem Parteivorstand nichts ausgeht, was irgendeinem Parlamentarier in Berlin oder den Provinzen an den Karren fahren könnte. Da erscheint es fast selbstverständlich und bedarf kaum der Erwähnung, daß diesem Vorstand kein einziges Mitglied eines Betriebs- oder Personalrats angehört. Der Parteibildungsprozeß, das zeichnet sich ab, ist trotz aller gegenteiligen Beteuerungen überwiegend ein Fusionsprozeß zwischen Linkspartei und WASG. Trotz aller in den nächsten Monaten mit Sicherheit aufblühenden Worte wird er keine Fusion unter Gleichen sein. Er ist ein Beitritt der WASG zur Linkspartei, und diese ist weitgehend von ihren bezahlten Funktionären beherrscht. Innerhalb dieser Schicht der Parteibeamten dominieren finanziell und dank des ihnen von parlamentsfixierten Konzernmedien ständig zugeführten Renommees die Abgeordneten des Bundestages und – sozusagen als Juniorchefs – die der Landtage. Friedrich Engels' alter Traum war, daß sich die (Arbeiter-)Bewegung eine Organisation – die Partei – schafft, die ihren Interessen zur Geltung verhilft, und daß diese Partei als eines ihrer Kampfinstrumente eine Fraktion in die vorher allein vom Bürgertum bestimmte Gesetzgebungsmaschine entsendet. Wir erleben jetzt, wie die Triade von Bewegung, Partei und Fraktion auf den Kopf gestellt wird. Nicht mehr die Bewegung schafft sich eine Partei und die Partei beauftragt eine Fraktion – nun beherrscht die Fraktion die Partei, und die hofft, daß sich die Bewegung so entwickelt, damit sich die von Steuergeldern direkt oder indirekt bezahlten Personalstellen hübsch vermehren mögen. Auch die Sprache verkehrt sich – wie man beim derzeit zweitbesten Volkstribun Deutschlands beobachten kann, der Mitglied beider Parteien ist. In Halle bezeichnete er in der Auseinandersetzung mit »unseren Strömungen« diejenigen, die keine Parlamentsfunktionen übernehmen, als die »außerirdische Strömung«. Selbst bürgerliche Parlamentarier haben sich, als sie noch am Rhein residierten, gelegentlich als »Offiziere im Raumschiff Bonn« bezeichnet. Doch das Bewußtsein, daß das Volk außerhalb der Parlamente die Erde ist und das Parlament die von dort entsandte Kapsel, droht im neuen Raumschiff Berlin zumindest im linken Flügel der Enterprise verloren zu gehen. Genau von dort droht der Linkspartei wirkliche Gefahr. Die Mindestlohn-Kampagne scheint im Moment im wahrsten Sinne des Wortes »verabschiedet«. Es gab eine gute Parteitagsregie zu diesem Thema, einen schönen Beschluß, demnächst gibt es einen Gesetzantrag – und dann? Ohne Bewegung (ohne eine Partei, die in der Lage ist, Bewegung zu erzeugen, weil sie aus der Bewegung kommt) ist das alles nicht das Papier wert, auf dem es gedruckt ist. Die Fraktions- und Parteibeamten machen sich darüber kaum Gedanken. Sonst wären sie jetzt in ihren Städten und würden Veranstaltungen und Kundgebungen zum Mindestlohn organisieren. Sie sind aber lieber im Raumschiff und beschimpfen die Irdischen als Außerirdische. Das ist der Hauptwiderspruch der sich entwickelnden Linkspartei, und wenn er nicht zugunsten der Irdischen gelöst wird, wird das Raumschiff in der Unendlichkeit des Alls spurlos verschwinden.
Erschienen in Ossietzky 11/2006 |
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