Schirrmachers guter Tod

Otto Köhler

Frank Schirrmacher, diese unentwegte Gebärmutter der Nation, ist endlich dort, worauf er mit seinem Buch »Methusalem-Komplott« hinauswill: bei der Eu-thanasie aller Überflüssigen und allzu Beladenen. Beim Freitod für alle, die nicht mehr leben wollen. Oder die sich überzeugen ließen, daß die Kosten, die sie als Alte und Kranke verursachen, für unseren um seine Existenz ringenden Sozialstaat zu hoch sind, und die darum einen sozialverträglichen Weg zum Abschied aus ihrem Leben suchen.

Für dieses freigewählte Ableben gibt es eine gute Adresse: den von dem pensionierten Spiegel -Redakteur Ludwig A. Minelli angeführten Schweizer Verein »Dignitas«, der schon mehr als einem halben Tausend Menschen Beihilfe zum Verschwinden aus dem Leben leistete und im vergangenen Herbst des großen Erfolges und der wachsenden Nachfrage wegen eine deutsche Filiale in Hannover eröffnete.

Jetzt durfte in einer konzertierten Aktion großer Medienkonzerne der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland auf einer Gala des Verlags Gruner + Jahr im Hamburger Schauspielhaus den Henri-Nannen-Preis des Stern einem Redakteur der Zeit aushändigen. Bartholomäus Grill hatte letztes Jahr zur Eröffnung der deutschen »Dignitas«-Filiale auf drei Seiten seines großen Blattes eine liebevolle Reportage geschrieben: über die vorzügliche Bedienung, die das Schweizer Euthanasie-Unternehmen seinen Kunden angedeihen läßt.

Grill hatte seinen krebskranken Bruder Urban im verhängten PKW in die Schweiz zu »Dignitas« zwecks assistierten Selbstmords transportiert. Dort konnte er den Bruder rasch und zuverlässig ums Leben bringen lassen: »Es ist 8.35 Uhr morgens, am 25. November 2004, als das Auto in die Bundesstraße 15 einbiegt. Urban weiß, daß er in ungefähr dreißig Stunden tot sein wird.«

Beschlossen wurde diese »Reise ohne Wiederkehr« ( Die Zeit ) schon am 30. Oktober 2004. Aber nach Presseberichten kann man sich von »Dignitas« den eigenen Tod sogar innerhalb von 24 Stunden liefern lassen. Prompt und zuverlässig. Das bestätigt auch der ZDF -Schleichwerbefilm »Dignitas heißt Würde«, der über die verschiedenen Kanäle des öffentlich-rechtlichen Fernsehens schon 30 mal, zuletzt am Ostersamstag, ausgestrahlt wurde; er handelt von einer kranken Frau, für die es »gut zu wissen« ist, daß sie »den Weg zu Dignitas gehen kann«.

Die G+J-Organisatoren der großen Gala wußten genau, worum es sich handelt, und forderten von den Kollegen, die sich zu ihrer Werbeveranstaltung akkreditieren lassen mußten: »Bitte denken Sie unbedingt an eine dem Anlaß angemessene Kleidung (dunkler Anzug). Bitte haben Sie Verständnis, daß wir Kollegen mit Jeans und T-Shirt keinen Einlaß gewähren werden.« Zwischenfälle wie ein unassistierter Mord oder Selbstmord waren mit Hilfe des Bundeskriminalamts weitgehend ausgeschlossen. G+J-Hinweis: »… werden alle Foto- und Kamerataschen sowie Laptops und Rucksäcke und Stative im Anschluß an die Akkreditierung von BKA-Beamten untersucht und mit einem Sicherheitssiegel versehen«.

FAZ -Katastrophier Schirrmacher über den preisgekrönten Zeit -Redakteur Grill: »Diese Begleitung des Bruders in einer existentiellen Grenzsituation« sei »meisterhaft beschrieben« und gewinne – darauf kommt es heute nicht nur in unserem Hartz-IV-Staat an – »exemplarische Bedeutung«, weil der »Umgang mit dem selbst gewählten Tod« zu den – das ist wahr – »großen Themen der Gegenwart und Zukunft« gehört. Der preisgekrönte Euthanasie-Befürworter Grill ist auch Mitglied im Afrika-Beraterkreis des Bundespräsidenten – was sich sehr gut trifft, weil Horst Köhler alles tun will, um die Probleme dieses bedauernswerten Kontinents zu lösen.

Daß der Zeit -Redakteur seinen Preis, einen Henri-Nannen-Schrumpfkopf aus Bronze sowie 5000 €, mit seinem Ex-Kollegen Minelli teilen muß, ist unwahrscheinlich. Eher bekommt Grill für diese tolle Euthanasie-Reklame vom »Dignitas«-Chef einen Gutschein – falls noch ein Angehöriger ums Leben zu bringen ist.

Vielleicht aber sollte der Zeit -Redakteur von seinem Nannen-Preis eine kleine Spende an die Bewohner des Züricher Hochhauses in der Gertrudstraße abzweigen. Dort im vierten Stock hat »Dignitas« seinen Hauptsitz. Die Mitbewohner sind mit ihren Nerven am Ende, weil fast jeden Tag im Fahrstuhl eine Leiche im Plastiksack nach unten mitfährt.

Erschienen in Ossietzky 11/2006