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Tun wir das also und lesen, ganz unvoreingenommen, in dem Dokument, in dem die Großkirchen ihre Werte gefunden haben: der Bibel. Dort lernen wir, von den ersten Seiten an, ein Sammelsurium gegensätzlicher Werte, Erziehungsziele und -stile kennen, die das Volk Israel von seinem Gott Jahwe ableitete. Auch er selbst erscheint als ein widersprüchliches Wesen. Mal gebärdet er sich rachsüchtig (Könige 18), mal fürsorglich (1. Mose 3, Vers 21); mal ist er wohltätig gegen »Fremdlinge« (2. Mose 22, Vers 20), mal blutrünstig gegen ganze Volksgruppen, die er ausrotten läßt (Josua 11, Vers 6 ff.). Er kann unberechenbar grausam sein und läßt dann fast die ganze Menschheit absaufen (1.Mose 79), danach verspricht er wehleidig-milde, daß »hinfort keine Sintflut mehr kommen wird« (1. Mose 9, Vers 15), worauf man sich allerdings angesichts des heutigen Klimawechsels besser nicht verlassen sollte. Vor allem aber ist er »eifersüchtig« (5. Mose 5, Vers 9) darauf bedacht, daß seine Anhänger ihm mit blindem Gehorsam dienen, auch wenn er befiehlt, den eignen unschuldigen Sohn für ihn zu schlachten (1. Mose 22); an dieser Geschichte von »Isaaks Opferung« durch seinen Vater Abraham haben spätere Kriegsherrn immer wieder Gefallen gefunden. Da wundert es nicht, daß für »widerspenstige Söhne« die Steinigung angeordnet ist (5. Mose 21, Vers 16 ff.). Auch das Neue Testament ist in sich widersprüchlich, und gerade die »Werte«, die es uns nahebringen will, widersprechen einander. Da wird einmal in geradezu umstürzlerischem Aufbegehren den Machthabern und reichen Ausbeutern der Kampf angesagt (Lukas 1 Vers 46 ff. und Matthäus 57). In anderen Teilen wird die gehorsame Unterordnung unter die Staatsgewalt verlangt. Widerstand dagegen gilt als Widerstand gegen die »Anordnung Gottes«. Diese berühmt-berüchtigte Anordnung des Apostels Paulus (Römer 13) bestimmt die Haltung der organisierten Christenheit bis in unsere Tage. Sie soll dem Sohn durch Schläge vermittelt werden, »denn wo ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt?« (Hebräer 12, Vers 7). Zwar gab es immer wieder Gruppen oder Einzelpersonen, die sich auf den kinderfreundlichen Jesus und seine »Bergpredigt« beriefen und ein einfaches, dem Evangelium gemäßes Leben führen wollten doch dafür mußten sie bitter büßen, so zum Beispiel die Katharer im 12./13. Jahrhundert oder Thomas Müntzer in der frühen Reformationszeit. Müntzer hatte sich Martin Luther angeschlossen. Der hatte mit seinem Angriff auf das Papsttum und seinem couragierten Auftritt beim Reichtag in Worms 1521 auch andere zum Widerstand ermuntert, ließ sie dann aber im Stich. Müntzer schildert in seiner »Hochverursachten Schutzschrift wider das geistlose, sanftlebende Fleisch zu Wittenberg« (1524), wie aus Luther ein »Dr. Lügner«, aus einem Gegner ein »Schmeichler« der »Herren und Fürsten« wurde, die er dann auch zu den Herren seiner Kirche machte. Als oberster christlicher Wert fiel Luther dann auch wieder der »Gehorsam« ein, der allen »Oberpersonen« geleistet werden müsse. »Das muß man dem jungen Volk wol einbläuen«, schreibt Luther in seiner Auslegung des 4. Gebotes, des »Erziehungsgebots«, im Großen Katechismus, auf den bis heute die lutherischen Pfarrer dienstverpflichtet (»ordiniert«) werden. Wenn sich aber einer aus dem »jungen Volk« »nicht bewegen will, den«, empfiehlt Luther, »befehlen wir dem Henker und Streckebein« (gemeint: Folterer). So wurde denn »Gehorsam gegenüber allen Oberpersonen« (verbunden mit Triebunterdrückung) als höchster christlicher Wert jahrhundertelang dem Volk »von Kindesbeinen an« mittels Luthers Folterpädagogik »eingebläut«. In dem zeitweilig führenden »Religionsbuch für evangelische Präparandenanstalten« von Johannes Westphal, das 1907 erschien und lange nachwirkte, wird den angehenden Lehrern zum 4. Gebot, ganz im Sinne Luthers, mitgeteilt, daß »die Befehle der Eltern und Herren«, worunter insbesondere auch »die Landesherren und deren Gehilfen im Staat« zu verstehen seien, »blindlings ausgeführt« werden müßten, »weil die Kinder nicht immer die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit des Befohlenen oder Verbotenen einsehen«. In der Auslegung des 5. Gebotes (»Du sollst nicht töten«) wird das am Beispiel Krieg illustriert: »Ob ein Krieg gerecht oder ungerecht ist, das zu entscheiden ist Sache der Obrigkeit (des Kriegsherrn), die von Gott das Recht und die Pflicht zur Kriegsführung hat, daher auch allein die Verantwortung trägt. Der kriegsführende Untertan hat zu gehorchen; für das Blut, das er beim Kämpfen vergießt, ist er nicht verantwortlich.« So wurde um auf die Worte unserer Ministerin zurückzukommen die Grundlage »unserer gesamten Kultur« gelegt, die so recht in den Jahren 19141918 und 19331945 zur Entfaltung kam. In einer Autobiographie aus dem 20. Jahrhundert schildert der Verfasser, wie er durch diese, wie ihm beigebracht wurde, christlichen »Erziehungsgrundsätze« »tief gläubig« wurde: »In der Hauptsache verkehrten Geistliche aus allen Kreisen bei uns. Mein Vater wurde im Laufe der Jahre immer religiöser... Ich betete in wahrhaft kindlichem Ernst... Von meinen Eltern war ich so erzogen, daß ich allen Erwachsenen und besonders Älteren mit Achtung und Ehrerbietung zu begegnen hätte, ganz gleich von welchen Kreisen sie kämen. Überall, wo es notwendig ist, behilflich zu sein, wurde mir zur obersten Pflicht gemacht. Ganz besonders wurde ich immer darauf hingewiesen, daß ich Wünsche oder Anordnungen der Eltern, der Lehrer, Pfarrer usw., ja aller Erwachsenen bis zum Dienstpersonal unverzüglich durchzuführen bzw. zu befolgen hätte und mich durch nichts davon abhalten lassen dürfe. Was diese sagten, sei immer richtig. Diese Erziehungsgrundsätze sind mir in Fleisch und Blut übergegangen...« Verfasser dieser Sätze war Rudolf Höss, Kommandant in Auschwitz.
Erschienen in Ossietzky 11/2006 |
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